Essen. . Das Ruhrgebiet tut sich schwer, wenn es um die Gründung neuer Firmen geht. Wie sich das ändern kann, war Thema des WAZ-Wirtschaftsforums in Essen.
In jungen Jahren musste sich Gerd Pieper entscheiden – für oder gegen den Familienbetrieb. „Als ich mein Studium begonnen habe, wollte ich noch Chef von Karstadt, Horten oder Hertie werden“, erinnert sich der Unternehmer aus Herne. „Heute bin ich sehr froh darüber, dass ich mich für den Seifenladen meines Vaters und die unternehmerische Selbstständigkeit entschieden habe.“ Denn aus dem kleinen Seifengeschäft ist ein großes Parfümerie-Unternehmen entstanden – mit 130 Filialen. „Es gibt doch nichts Schöneres, als mit vollem Risiko selbstständig zu sein“, so der 71-Jährige.
Doch im Ruhrgebiet ist der Mittelstand, für den Unternehmer wie Pieper stehen, unterrepräsentiert. Das hat auch historische Gründe: Im montanindustriellen Ruhrgebiet boten die großen Konzerne vielen Menschen über Jahrzehnte hinweg ein gutes Auskommen. Die Tätigkeit als Selbstständiger blieb eher eine Randerscheinung. Das lässt sich auch an Statistiken ablesen. Bundesweit liegt der Anteil der Selbstständigen unter den Erwerbstätigen bei elf Prozent. Doch im Ruhrgebiet sind es gerade einmal 9,1 Prozent. Auch NRW liegt mit mittlerweile 10,1 Prozent deutlich darüber.
Kraft: „Es gibt noch viel zu tun.“
Wie also steht es um den Gründergeist im Ruhrgebiet? Dieser Frage widmete sich das WAZ-Wirtschaftsforum in Essen – in diesem Jahr mit Unterstützung von Initiativkreis Ruhr und Evonik. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), Evonik-Vorstandschef Klaus Engel, Parfümerie-Unternehmer Gerd Pieper und der Gründer der Softwareschmiede Maximago aus Lünen, Daniel Greitens, diskutierten mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock.
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Hannelore Kraft sagte, sie sehe „noch viel Potenzial im Ruhrgebiet auf dem Weg, das Revier für Gründerinnen und Gründer zu werden. Aber es gibt noch viel zu tun.“ Die NRW-Regierungschefin verweist unter anderem auf einen Gründergipfel am 14. November in der Bochumer Jahrhunderthalle.
In einer aktuellen Forsa-Studie für den Initiativkreis Ruhr geht es auch um die Frage, warum es im Revier vergleichsweise wenige Gründer gibt. Eine Ursache könnte in der Einschätzung liegen, „dass ein selbstständiger Unternehmer bei gleicher Qualifikation durchschnittlich mehr arbeitet als ein Beschäftigter in einem Unternehmen“, analysiert Forsa. „78 Prozent meinen, dies sei der Fall.“ Eine Mehrheit der Befragten glaubt allerdings auch, ein selbstständiger Unternehmer erziele bei gleicher Qualifikation durchschnittlich das höhere Einkommen.
Zersplitterte Initiativen
„Viele talentierte junge Menschen streben nach einer sicheren, festen Anstellung, am liebsten in der Industrie“, bemerkt Evonik-Chef Engel, der auch Moderator des Initiativkreises Ruhr ist. „Das ist verständlich und gut, aber wir brauchen eben auch eine neue Generation von Gründern, die aus ihrer Idee eine eigene Firma machen“, fügt er hinzu. „Hier muss noch mehr Wandel in den Köpfen stattfinden.“ Ein Manko in NRW sei, dass es viele Gründer-Initiativen gebe, die zersplittert seien. „Diese Initiativen müssen wir enger miteinander vernetzen“, schlägt Engel vor.
Daniel Greitens hat sich bewusst gegen eine Festanstellung entschieden. Der 38-Jährige ist Gründer der Software-Schmiede Maximago aus Lünen. 24 Beschäftigte zählt das Unternehmen mittlerweile. „Im Vergleich zu Berlin oder München spüre ich wenig Gründergeist in NRW“, bemängelt Greitens. „An den Universitäten werden viele Experten ausgebildet, aber nur wenige Gründer.“ Er bedauert, dass es schwer sei, Fachkräfte für das Ruhrgebiet zu begeistern. „Es fehlen die Mitarbeiter in der High-Tech-Branche. Sie wollen nicht ins Ruhrgebiet kommen. Unser Unternehmen könnte schon viel größer sein“, sagt Greitens.
Auch Gerd Pieper, der sich selbst als „Kämpfer für mehr Selbstständigkeit“ bezeichnet, fordert: „Wir sollten schon in der Schule und im Studium ansetzen, um die Freude an der Selbstständigkeit bei jungen Leuten zu fördern. Es fehlt das Fach Wirtschaft in den Schulen.“