Essen. . Die zunehmenden Starkregen überfordern unser Abwassersystem. Größere Kanäle aber sind keine Lösung, sagen Experten. Um Regenmengen wie die in Münster aufnehmen zu können, müssten Gullis kratergroß sein. Die Bergsenkungen im Ruhrgebiet bleiben eine zusätzliche Herausforderung.

Die sintflutartigen Regenfälle der vergangenen Monate haben eine Debatte über besseren Unwetterschutz losgetreten. NRW-Städtebauminister Michael Groschek kündigte unlängst eine Initiative an, um Städte an Rhein und Ruhr regensicherer zu machen. Doch kann man sich gegen die immer stärkeren Sturzfluten wirksam schützen? Fragen und Antworten.

Ist unser Kanalsystem zu klein dimensioniert?

Die Kanäle sind ausgelegt für Regenfluten, wie sie alle fünf bis zehn Jahre vorkommen. „Inzwischen reden wir von Jahrhundertereignissen, die sich alle paar Monate wiederholen“, sagt Jochen Stemplewski, Chef der Emschergenossenschaft, die für einen Großteil der Abwasserwirtschaft des Ruhrgebiets zuständig ist. Für Sturzfluten wie in diesem Sommer seien die Gullidurchmesser zu klein und Kanalrohre zu eng. Stemplewski: „Wir kommen an technische Grenzen.“

Kann man Gullis und Kanäle nicht einfach größer bauen?

Um Regenmengen wie die in Münster aufnehmen zu können, müssten Gullis kratergroß sein. Das gibt der Straßenbau nicht her. „Rundum hochwassertaugliche Städte wären keine lebenswerten Städte mehr“, so Stemplewski. Außerdem wären solche groß dimensionierten Abwassersysteme so teuer, dass niemand sie bezahlen wollte.

Ist das Ruhrgebiet besonders gefährdet?

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Ja. Als Folge des Bergbaus haben sich vor allem große Teile des nördlichen Ruhrgebiets abgesenkt, teilweise um bis zu 20 Meter. Fast 40 Prozent des Einzugsgebiets der Emschergenossenschaft liegen als Polderfläche unter der Wasserlinie der eingedeichten Emscher.

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Die Emschergenossenschaft hält dort mit Pumpen den Grundwasserspiegel niedrig. In diesen Bergsenkungen sammelt sich der Regen besonders schnell. Der Dortmunder Stadtteil Marten liegt in einer solchen Schüssel. Ein Unwetter am 12. Juli setzte dort ganze Straßenzüge unter Wasser. 2008 legte ein verheerender Starkregen den ganzen Ortsteil lahm. Auch Teile Essens, Gelsenkirchens, Duisburgs und Oberhausens liegen in Poldergebieten.

Das Ruhrgebiet schrumpft. Schon ist vom Rückbau des Kanalsystems die Rede. Kann man diese Kapazitäten nicht bei Sturzfluten nutzen?

Das geschieht bereits. Die Emschergenossenschaft funktioniert bei Wetterextremen Rohrsysteme zu Stauraumkanälen um.

Wie sieht es mit dem Überflutungsschutz an der Oberfläche aus?

Im Gebiet der Emschergenossenschaft gibt es Regenstaubecken mit einem Fassungsvermögen von 2,5 Millionen Kubikmetern. Diese Menge soll verdoppelt werden. Das kostet.

Allein im Dortmunder Norden investiert die Emschergenossenschaft 60 bis 70 Millionen Euro – Geld, das über Abwassergebühren wieder hereinkommen soll. Solche Wasseranlagen fügen sich manchmal ganz harmonisch in die Landschaft ein: Der Afrika-See im Gelsenkirchener Zoo ist in Wirklichkeit ein Regenauffangbecken.

In Ballungsräumen kann Regenwasser kaum noch versickern. Müssen wir wieder Flächen entsiegeln?

Christian Falk, Leiter der Stadtentwässerung Dortmund, wünscht sich mehr Grünflächen und grüne Achsen in den Innenstädten. Das würde nicht nur das Stadtbild verschönern, sondern auch Regenwasser aufnehmen. Beim Starkregen der vergangenen Wochen stehen aber bisweilen selbst nichtversiegelte Flächen unter Wasser.

Wie kann sich der einzelne Bürger schützen?

Zum Beispiel, indem er den Trend zum barrierefreien Bauen überdenkt. Christian Falk: „Wer die ebenerdigen Lichtschächte seiner Kellerfenster mit Bordsteinen ummauert, erreicht schon viel gegen Regenfluten.“