Berlin. . Die Ökostrom-Reform kann für Hunderttausende Verbraucher zum „Fiasko werden“, warnt der oberste Verbraucherlobbyist der Republik, Klaus Müller, im Interview. „Vor allem in Nordrhein-Westfalen und in Ostdeutschland sind Stromsperren ein großes Problem. Viele können die Rechnung nicht mehr zahlen.“
Die Ökostrom-Reform kann für Hunderttausende Verbraucher zum „Fiasko werden“, warnt der oberste Verbraucherlobbyist der Republik, Klaus Müller, im Gespräch mit Hanna Gersmann. Vorschläge, mit Strom intelligenter umzugehen, seien nicht hilfreich. „Das ist als würde man raten: Guckt um Mitternacht Tatort!“
Wie gerecht ist die Ökostrom-Reform des SPD-Chefs und Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel?
Klaus Müller: Die Ökostrom-Reform nimmt zu wenig Rücksicht auf soziale Belange. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Paar - beide um die Dreißig, kinderlos und mit doppelten Einkommen – eine deutlich erhöhte Stromrechnung zahlen muss oder eine sechsköpfige Familie. Für Hunderttausende Verbraucher kann das zum Fiasko werden: Vor allem in Nordrhein-Westfalen und in Ostdeutschland sind Stromsperren ein großes Problem. Viele können die Rechnung nicht mehr zahlen.
Energiepolitik ist eben keine Sozialpolitik?
Müller: Die Ökoenergien sind günstiger geworden, es wäre an der Zeit gewesen, die Kostensenkungen bei der Technik an die Verbraucher weiter zu geben.
Sie vergessen die Altlasten, die sich angehäuft haben, so dass die Ökostromförderung die Republik noch mehrere Jahre lang teuer zu stehen kommt.
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Müller: Dazu hat der frühere CDU-Umweltminister Klaus Töpfer einen guten Vorschlag gemacht, dem wir uns angeschlossen haben: Er will einen Vorsorgefonds einrichten und die Umlage auf der Stromrechnung für Erneuerbaren Energien abschaffen. Dieser Fonds sollte aus Steuergeld gespeist werden. So ließen sich die Kosten strecken.
Sigmar Gabriel hat bereits einen neuen Zehn-Punkte-Plan zur Energiewende vorgelegt. Kann sich die Republik die nächste Reform noch leisten?
Müller: Die größte Gefahr verbirgt sich hinter dem Stichwort Kapazitätsmärkte...
... Kohle- und Gaskraftwerke, die künftig ein Back-Up für Ökoanlagen sein sollen, falls kein Wind weht und keine Sonne scheint ...
Müller: In erster Linie ist das eine Überlebenshilfe für alte Kohlekraftwerke, die sich nicht mehr rentieren, weil die Ökoenergien günstiger sind. Dabei ist es nicht notwendig diese Kraftwerke ewig vorzuhalten. Die Bundesnetzagentur erkennt Engpässe frühzeitig genug um zu reagieren.
Sie fürchten die Kosten?
Müller: Es gibt unzählige Vorschläge zu den Kapazitätsmärkten. Alle laufen darauf hinaus, dass wieder die privaten Haushalte zahlen, auch wenn keiner die Kosten genau beziffert.
Verbraucher müssen halt intelligenter mit Strom umgehen, heißt es oft. Dazu wollen Sie nicht aufrufen?
Müller: Manche meinen, man könne wunderbar die Waschmaschine nachts anwerfen, wenn ansonsten wenig Strom verbraucht wird. Das ist als würde man raten: Guckt um Mitternacht Tatort!
Warum?
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Müller: Mit digitalen Stromzählern, den Smart-Metern, sollen Verbraucher sehen, wann sie wie viel verbrauchen und so ihr Verhalten ändern. Doch ich spare allenfalls im Cent-Bereich, wenn ich nachts Wäsche wasche. Für die Technik muss ich aber eine dreistellige Summe auf den Tisch legen. Dem Verbraucher bringt das bisher kaum etwas.
Der Verbraucher kann für Energieeffizienz nichts tun?
Müller: Er kann beim Kauf einer neuen Waschmaschine oder anderer Haushaltsgeräte auf die Kennzeichnung zum Energieverbrauch achten. Das alles spart Bares.
Warum empören sich dann hiesige Politiker über die Europäische Kommission, die Auflagen für Lampen, Kaffeemaschinen oder Duschköpfe macht?
Müller: Die Empörung ist reiner Populismus. Brüssel hat nicht eigenmächtig entschieden, Mindestanforderungen für den Energieverbrauch von Geräten zu entwickeln. Das haben alle 27 EU-Mitgliedstaaten so beschlossen. Die Kommission darf nicht nachgeben, sonst nehmen wir in Kauf, dass hier nur zweitbeste Ware verkauft wird.
Die Kaffeemaschine wird dann teurer?
Müller: Ja, aber nur in der Anschaffung. Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus, lohnt sich die Anfangsinvestition. Ich spare Stromkosten.
Die Heizkosten sind auch enorm gestiegen. Warum redet darüber niemand?
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Müller: Ein Fehler. Das Problem können Mieter und Vermieter nicht alleine stemmen. Der Vermieter müsste in eine moderne Heizung investieren. Er profitiert aber nicht davon. Darum muss der Staat als parteiischer Dritte Unterstützung geben. Er kann das durch Förderprogramme tun. Deren finanzielle Ausstattung schwankt erfahrungsgemäß aber je nach Haushaltslage von Jahr zu Jahr. Den Verbraucher verunsichert dies. Darum fordern wir steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten. Die wirken besser.
Wie teuer würde das?
Müller: Für den Finanzminister würde sich das sogar rechnen: Wird mehr Geld investiert, werden auch mehr Steuern gezahlt. Dieses neue Steuereinkommen, so haben Wissenschaftler längst nachgewiesen, überschreitet die notwendigen steuerlichen Subventionen.
Sie produzieren die nächste Kostenfalle: Saniert der Vermieter das Gebäude, steigt die Kaltmiete.
Müller: Wir fordern eine Warmmiete-Neutralität. Der Vermieter mutet dem Mieter Investitionsumlagen in einer Höhe zu, die den Einsparungen bei den Mietnebenkosten durch einen geringeren Verbrauch entsprechen.
Setzen Verbraucherschützer die Akzeptanz der Energiewende aufs Spiel, wenn sie vor allem über die Kosten reden?
Müller: Der Blick von Verbraucherschützern ist nicht primär auf Aspekte des Klimaschutzes gerichtet. Unsere Umfragen aber zeigen: Auch wenn das Vertrauen in die Kompetenz der Regierung, die Energiewende vernünftig umzusetzen, bei vielen abnimmt, will die Bevölkerung in Deutschland nach wie vor etwas für den Klimaschutz tun.