Berlin. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel holzt gegen die Attacken der EU-Kommission bei seiner Ökostrom-Reform. Und kündigt weitere Maßnahmen an. “Hartz-IV“ für unrentable Kraftwerke werde es aber nicht geben: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen, das gehe nicht.
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die EU-Kommission dazu aufgerufen, Deutschland bei der Energiewende nicht ständig neue Steine in den Weg zu legen. Brüssel versuche vor dem Hintergrund des Streits um die nationalen Ökostrom-Förderregeln, Deutschland in Geiselhaft zu nehmen, sagte Gabriel am Donnerstag bei einem Kongress des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) in Berlin. Die jüngsten Einwände der Wettbewerbshüter bei der Abgabe für Strom-Selbstversorger sei "ein Revanchefoul, für das, was wir beim Thema Industrierabatte durchsetzen konnten".
Ein Konflikt ist noch ungelöst: Die Kommission hatte Anfang der Woche überraschend die Bundesregierung aufgefordert, aus anderen EU-Ländern importierten Strom künftig von der Ökostrom-Umlage zu befreien, die derzeit 6,24 Cent je Kilowattstunde beträgt. Diese Umlage wirke wie eine Zollabgabe und sei ein Handelshemmnis, das gegen EU-Verträge verstoße. Im Endeffekt könnte das bedeuten, dass zum Beispiel importierter Atomstrom weit günstiger in Deutschland angeboten werden könnte - und das gesamte Fördersystem aus den Angeln gehoben würde.
Freitag soll der Bundestag das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz beschließen
Gabriel betonte, Deutschland werde hart bleiben und eine Einmischung der Kommission verhindern: "Das dürfen wir nicht zulassen." Auch die vorerst nur bis 2017 erlaubte Befreiung bestehender Anlagen zur Eigenstrom-Versorgung von Abgaben (Bestandsschutz) müsse rasch geklärt werden. Mit Blick auf die Kritikpunkte der Kommission meinte Gabriel: "Das, was die da vorschlagen, ist ein Programm zur Deindustrialisierung."
Am Freitag soll im Bundestag das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossen werden. Der SPD-Chef erklärte, es bleibe in den nächsten Jahren noch viel zutun. Die Energiewende sei "ziemlich in den Treibsand geraten". Vergleiche man das Projekt mit einem 100-Meter-Lauf, seien erst 10 Meter geschafft.
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"Nicht arbeiten, aber Geld verdienen. Das geht nicht."
Als nächstes steht eine Reform an, damit sich bei immer mehr Ökostrom fossile Kraftwerke weiter rechnen - sie sind gerade für die Versorgung im Winter notwendig. Gabriel will aber kein neues üppiges Subventionssystem schaffen, das den Strompreis weiter aufbläht: "Was der Kapazitätsmarkt auch nicht werden kann, ist so 'was wie Hartz-IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen. Das geht nicht."
Auch von anderer Seite droht der Ökostrom-Förderung neue Gefahr. Am Dienstag will der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein Urteil zur Förderung erneuerbarer Energien in Europa fällen, das wegweisend sein könnte. Wenn der EuGH so entscheide wie erwartet, dann "muss die Politik einen ganz neuen Ansatz suchen", sagte der Chef der halbstaatlichen Energie-Agentur Dena, Stephan Kohler, der "Bild".
Hintergrund ist die Klage eines finnischen Windpark-Betreibers. Er liefert Strom nach Schweden, bekommt dort aber keine Förderung. Sollte der EuGH ihm Fördergelder zubilligen, könnte das letztlich zu einer Kostenexplosion auch in Deutschland führen, die Verbraucher und Wirtschaft über den Strompreis mitbezahlen müssten. Denn dann könnten auch ausländische Anbieter in den Genuss der Förderung bekommen - ein Haushalt mit 3500 Kilowattstunden Verbrauch zahlt derzeit schon knapp 220 Euro Ökostrom-Umlage im Jahr über seinen Strompreis.
Linke verließ aus Protest die Sitzung des Wirtschaftsausschusses
Grüne und Linke sehen die trotz kurzfristiger Änderungen für Freitag geplante Verabschiedung als grobe Verletzung ihrer Rechte. "Das ist ein Handstreich gegen die parlamentarische Demokratie", beklagte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer in Berlin. Den Wunsch von Grünen und Linken nach einer angemessenen Beratung habe die große Koalition abgeschmettert, obwohl sie der Opposition die Wahrung der Minderheitenrechte zugesichert habe. Die Linke verließ aus Protest die entscheidende Sitzung des Wirtschaftsausschusses. Die Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin der Linken, Petra Sitte, beantragte in einem Schreiben an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), die Verabschiedung des EEG von der Tagesordnung abzusetzen. (dpa)