Essen. Europas Binnenmarkt ist ein weites Terrain für Steuerbetrug. Eine deutsch-türkische Bande konnte mit Wein und Bier 200 Millionen Euro scheffeln. Doch die Zollfahnder kamen den Betrügern diesmal auf die Schliche.
Uli Hoeneß hat 28 Millionen Euro Steuern hinterzogen. Die entsetzte Republik fragt: Wie geht das? Es geht noch mehr. Mit dem Schmuggel von 120 Millionen Litern Bier und 716 000 Litern Wein nach Großbritannien hat eine deutsch-türkische Bande 200 Millionen Euro kassiert – ein Steuerschaden in zehnfacher Höhe der Hoeneß’schen Hinterziehung. Was zeigt: Europas Binnenmarkt ist weites Terrain für Steuerbetrug.
Dabei nutzten die 16 Verdächtigen, die das trickreiche Geschäft über eine alte Brauerei bei Karlsruhe abwickelten, nur Lücken, die der gemeinsame Markt Kriminellen bietet. Denn damit Verbrauchsteuern nur einmal, im Abnahmeland, gezahlt werden müssen, läuft der Versand über „Steuerlager“ – das sind Orte, an denen eine grenzüberschreitend gelieferte Ware hergestellt, gelagert oder abgenommen wird. Dort darf der Zoll kontrollieren. Mit dem EMCS-Verfahren werden Warenströme den Zollbehörden elektronisch gemeldet.
Pech für die Bier-Bande
Die Bier-Bande hatte Pech, wie Edwin Bader von der Zollfahndung erzählt. Denn seinen Leuten fielen bei der elektronischen Kontrolle die gewaltigen Mengen auf, die in der von den Lieferanten als Steuerlager deklarierten viel zu kleinen Ex-Brauerei gestaut sein sollten. Sie entsprachen dem Alkohol-Jahreskonsum der Einwohner von Köln und Bonn. Tatsächlich landeten das kühle Blonde und die guten Tropfen nur auf dem Papier in Karlsruhe. Stattdessen wurden sie verdeckt über den Kanal geschleust und steuerfrei unter die Briten gebracht. Das rechnet sich: London schlägt bei der Einfuhr pro Liter Bier 1,14 Euro Steuer auf und pro Liter Wein drei Euro. Deutschland verlangt nur neun Cent fürs Bier und keine Weinsteuer. Die Differenz ist Schmuggler-Reingewinn.
Verdachtsmeldungen auf solche grenzüberschreitenden EU-Betrügereien werden häufiger. 1284 Hinweise haben die Betrugsjäger aus Brüssel 2013 erhalten, teilweise sind sie anonym. Andere kommen aus Behörden, viele aus deutschen. Giovanni Kessler, Chef von „Olaf“, der Anti-Betrugs-Truppe der EU, spricht von einem „Allzeit-Hoch“. Mal geht es um Tabak-Schmuggel aus Osteuropa via Ukraine in die „Hotspots“ Berlin und Ruhrgebiet, mal um Felgen aus China, bei denen Anti-Dumping-Zölle „gespart“ wurden, und ziemlich oft um Strukturfonds-Betrug. Nicht selten geht es auch um Jobs.
Europäischer Staatsanwalt
Wie bei Schrauben und Felgen, wenn chinesische Produzenten Anti-Dumping-Zölle durch die Fälschung der Herkunftsangaben umgehen und hier Schrauben und Felgen ein Viertel unter Preis anbieten. Das kann heimische Anbieter in den Ruin treiben. Zoll-Ermittlungen gegen Schrauben-Importe laufen derzeit im Rhein-Ruhr-Raum auf Hochtouren. Was Felgen betrifft: Seit 2010 konnten 15 Millionen Euro Anti-Dumping-Zoll nachträglich erhoben werden.
Ärgerlich: Sind Täter einmal ertappt, springen Gerichte unterschiedlich mit ihnen um. Was in München als Straftat gilt, wird in Sofia nicht als solche verurteilt. Kessler und Kollege Norbert Drude vom Zollkriminalamt setzen sich für die Gründung einer Europäischen Staatsanwaltschaft ein. Sie soll vor zuständigen nationalen Gerichten klagen. Der Vorschlag ist strittig. Aber: „Nicht überall arbeitet die Justiz so effektiv wie in Deutschland“, sagt Kessler.