Düsseldorf. . Die Bundesagentur für Arbeit richtet einen dramatischen Appell an die NRW-Unternehmen, mehr Ausbildungsstellen zu schaffen. “Die Wirtschaft hat dieses Jahr die letzte Chance, etwas nachzuholen“, sagte die NRW-Chefin der Arbeitsagentur, Christiane Schönefeld. Sonst schnappe die Demografiefalle mit immer weniger Schulabgängern zu.
Nach dem in NRW enttäuschenden letzten Ausbildungsjahr, in dem trotz des doppelten Abiturjahrgangs weniger Lehrstellen angeboten wurden, gibt es nun einen kleinen Lichtblick. Die ersten detaillierten Zahlen gibt es erst Anfang April, bis jetzt wurden laut der Bundesagentur für Arbeit in NRW aber mit rund 75.000 Lehrstellen etwas mehr als vor einem Jahr zu dieser Zeit gemeldet. Allerdings gibt es wegen der vielen unversorgten Bewerber aus dem Jahr 2012/13 mit aktuell 95.000 auch mehr junge Menschen, die sich um eine Lehrstelle bemühen. Es klafft also erneut eine Lücke.
Deshalb fordert Christiane Schönefeld, die NRW-Chefin der Bundesagentur, ein Umdenken der Betriebe: „Wir haben Regionen und Branchen in NRW, wo es bereits Fachkräftemangel gibt, aber trotzdem weniger Lehrstellen. Das Bewusstsein, selbst etwas tun zu müssen, um dem demografischen Wandel zu begegnen, ist in vielen Betrieben noch nicht angekommen“, sagte sie dieser Zeitung.
Bilanz 2012/13 „ein Desaster“
Im vergangenen Ausbildungsjahr hatten alle Verbände für mehr Ausbildungsplätze geworben. Am Ende wurden 3,5 Prozent weniger Verträge unterschrieben, die Abschlüsse fielen auf den niedrigsten Stand seit 2006. „Ein Desaster“ nennt das Schönefeld, denn für die Betriebe bot sich die Möglichkeit, aus dem Vollen zu schöpfen, bevor die Demografiefalle zuschnappt und nun jedes Jahr weniger Absolventen von den Schulen kommen.
Die sehr hohe Zahl von 6300 Bewerbern blieb unversorgt, die meisten davon im Rheinland und im Ruhrgebiet. Auch bei den Nachvermittlungen bekamen nur knapp 1000 eine Lehrstelle. Zudem haben sich 2013 viele Schulabgänger für ein soziales Jahr oder einen Auslandsaufhalt entschieden, um dem Gedränge in den Betrieben und an den Unis zu entgehen. Diese Bugwelle sorgt nun doch noch einmal für hohe Bewerberzahlen – die Unternehmen erhalten eine weitere „letzte Chance“.
"Über das Zeugnis auszusieben, geht heute nicht mehr"
Betriebe, die wieder glaubten, nicht den richtigen gefunden zu haben, „sollten sich diesmal fragen, wie sie bei künftig immer weniger Bewerbern fündig werden wollen“, mahnt Schönefeld. Es sei an der Zeit zu begreifen, dass man auch vermeintlich Schwächeren eine Chance geben und diese im Zweifel selbst fit für die Ausbildung machen müsse. „Über das Zeugnis auszusieben, geht heute nicht mehr. Es ist Zeit für neue Wege, auch für uns.“
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Dazu gehöre zwingend, früher auf die Potenziale jedes einzelnen Schülers zu schauen, vor allem durch sinnvollere Praktika. Sie müssten in der Schule vorbereitet, begleitet und nachbearbeitet werden. „Das findet an vielen Schulen, vor allem an Realschulen und Gymnasien, praktisch nicht statt“, sagt Schönefeld. „Der liebevoll geschriebene Praktikumsbericht landet allzu oft im Archiv.“ Weil die Hauptschulen erkannt hätten, dass ihre Schüler sonst chancenlos seien, würden sie am besten auf Praktika vorbereiten. Es gehe dabei nicht nur um einen Einblick in die Arbeitswelt, sondern um die Frage: „Ist der Beruf was für mich?“
Kritik an Gymnasien
Was passiert, wenn Schulabgänger ohne Ausbildung bleiben, zeigt sich im Ruhrgebiet: Fast 70 Prozent der Langzeitarbeitslosen unter 25 Jahren sind ohne Berufsabschluss. „Die Startbedingungen hier sind besonders schlecht“, sagt Schönefeld. Während im Münsterland baden-württembergische Verhältnisse herrschten, also fast Vollbeschäftigung, werde die Vermittlung junger Arbeitsloser im Ruhrgebiet immer schwieriger.
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Darauf legten die Arbeitsagenturen jetzt ihre volle Konzentration, verspricht Schönefeld, doch im Revier bleibe es schwierig. „Selbst für Helfertätigkeiten werden heute spezielle Vorkenntnisse gefordert. Früher konnte man für solche Stellen aus der Masse an Arbeitslosen auswählen – einer passte immer. Heute suchen wir einen, den wir notfalls durch Qualifizierung passend machen.“
Klagen über Fachkräftemangel - aber selbst nicht ausbilden?
Auch Schulabgängern mit schwachen Zeugnissen rät Schönefeld, sich nicht mit geringfügig bezahlten Jobs zufrieden zu geben. „Das hilft für den Moment. Doch wer als Kurier oder als Ungelernter im Lager beginnt, wird später zwischen Job und Arbeitslosigkeit wechseln und auf Dauer immer länger arbeitslos bleiben.“
Was Schönefeld nicht versteht: Von den Branchen, die bereits heute über Fachkräftemangel klagen, habe nur der Bereich Sanitär, Heizung und Klima mit mehr Ausbildungsplätzen reagiert, „alle anderen nicht“. Die Ausrede, man finde nicht genügend qualifizierten Nachwuchs, lässt sie nicht mehr gelten. Und Branchen wie die Gastronomie, das Wachgewerbe und die Gebäudereinigung, in denen von den wenigen Azubis auch noch die Hälfte ihre Ausbildung wieder abbrechen, müssten sich irgendwann fragen, was sie selbst falsch machen.