Essen.. Nicht nur bei der Kommunal- und Europawahl dürfen die Essener dieses Jahr ihr Kreuzchen machen. Arbeitnehmer entscheiden über die Besetzung der Betriebsräte. Nur starke Interessenvertretungen, so die Gewerkschaften, schützen die Beschäftigten. Aber nicht überall trauen sie sich zu kandidieren.

In diesem Frühjahr haben die Essener reichlich Gelegenheit, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen: am 25. Mai bei der zusammengelegten Kommunal- und Europawahl und - sofern sie Arbeitnehmer sind - von Anfang März bis Ende Mai bei den Betriebsratswahlen.

„Wir wollen die Menschen in den Betrieben wachrütteln“, sagt DGB-Geschäftsführer Dieter Hillebrand. Zwar gehört die betriebliche Mitbestimmung zu den großen sozialpolitischen Errungenschaften der Bundesrepublik nach dem Terror der Nazi-Diktatur, eine Selbstverständlichkeit sind Betriebsräte deshalb noch lange nicht. Das gilt besonders in solchen Betrieben, in denen die Unternehmer die Arbeitsverträge gerne befristen.

Die Schlagkraft intakter Betriebsräte

„Die Leute haben schlichtweg Angst, den Job zu verlieren, wenn sie für den Betriebsrat kandidieren“, sagt Frank Lasthaus, Betriebsrat bei Dussmann. Ein Mischkonzern, der sich auf Gebäudereinigung und Sicherheit spezialisiert hat und sich in Berlin mit einem „Kulturkaufhaus“ schmückt. Lasthaus zufolge stehen „40 bis 45 Prozent“ der rund 20.000 „Dussmänner“ in befristeten Verträgen.

Wie schlagkräftig intakte Betriebsräte sein können, erläutert der IG Metall-Bevollmächtigte Bruno Neumann am Beispiel des erfolgreichen Arbeitskampfes bei ESW Jenoptik im letzten Jahr. „Auch dank des starken Rückhalts bei der Belegschaft konnten wir die geplante Werksverlegung von Essen nach Hamburg verhindern“, sagt ESW-Betriebsrat Dieter Kröhn. Der 80 Mitarbeiter zählende Betrieb in der Bamlerstraße verbleibt durch den erkämpften Standortsicherungsvertrag nun bis mindestens 2020 am Standort Essen. Erfreulicher Nebeneffekt aus Sicht der „Metaller“: Der ohnehin schon hohe Organisationsgrad schnellte rasant in die Höhe: von 70 auf 95 Prozent.

Turbo-Kapitalismus ist eingezogen

Über schwierige Bedingungen im Werk berichtet Helmut Rahsek, seit 20 Jahren Betriebsrat beim schwedischen Kompressoren-Hersteller „Atlas Corpo“, einst Teil des Krupp-Imperiums. „Jetzt ist bei uns der Turbo-Kapitalismus eingezogen, nur noch der Profit zählt und den Kollegen wird Angst gemacht“, klagt er an. Im Laufe von zehn Jahren sei die Belegschaft von 450 auf 250 Mitarbeiter geschrumpft. „Immer wieder wird der Betriebsrat erpresst, etwa wenn’s um die Übernahme von Azubis geht“, so Rahsek.

Lohndumping und Arbeitsplatzabbau, Arbeitsverdichtung und Gesundheit am Arbeitsplatz - die Sorgen der Betriebsräte nehmen eher zu. Heute ziehen Thyssen-Krupp-Beschäftigte durch Essen, um vor der Zentrale gegen die Verlagerung von Jobs nach Berlin und Osteuropa zu demonstrieren. Am Standort Essen, so heißt es, seien 400 bis 500 Jobs gefährdet.