Essen. . Der Duisburger Mischkonzern Haniel bietet geschädigten Eigentümern, die „Bröselsteine“ verbaut haben, die Instandsetzung ihrer Häuser an. Doch Juristen warnen die Opfer vor einem Vertrag, den Haniel anbietet: Die Klausel zum Generalverzicht darin sei „sehr bedenklich“, sagt ein Anwalt.

Zehn Monate nach dem Zahlungsstopp im Bröselstein-Skandal bietet Haniel den geschädigten Hausbesitzern wieder etwas an: einen Vergleich, der bei Juristen umstritten ist. Der Konzern hat millionenschwere Risiken durch fehlerhafte Kalksandsteine in eine neue Firma ausgelagert. Die legt Betroffenen einen Instandsetzungsvertrag für ihre Häuser vor. „Eine Mogelpackung“, sagen Juristen und warnen vor „unkalkulierbaren finanziellen Risiken für Betroffene“.

Hintergrund: Zwischen 1987 und 1996 verdiente die damalige Haniel-Baustoffsparte viel Geld mit Kalksandsteinen, in denen Zeitbomben ticken. Die mit billigem Bindemittel hergestellten Blöcke zerbröseln unter Nässeeinwirkung. Risse im Mauerwerk und statische Probleme sind die Folgen. Haniel hatte Hinweise auf das Risiko; Kunden erfuhren nichts davon.

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Die Dimension des Skandals ist unklar. In Haniel-Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, tauchen „150 bis 200 Millionen“ Bröselsteine auf; Ex-Beschäftigte rechnen mit bis zu 300 Millionen Stück – und mit 20.000 bis 40.000 Objekten, in denen drohende Schäden schlummern könnten.

Konzern ist nicht Vertragspartner

Als Haniel im April 2013 freiwillige Entschädigungen stoppte, hatten Gutachter der Dekra 430 Schadensfälle anerkannt. Die sollen reguliert werden, weitere jedoch nicht. „Mehr als 100 Millionen Euro“ hat Haniel dafür zurückgelegt. Es gibt auch Fälle jenseits der Konzern-Kulanz: Bei Gericht liegen Haniel zufolge 43 Klagen von Bröselstein-Opfern, die sich auf keinen Vergleich einlassen wollen; sieben weitere sollen derzeit ruhen.

Kläger wie Nichtkläger bekommen nun das Vergleichsangebot – einen „Vertrag, der Ihnen und Haniel Rechtssicherheit bietet“, wie es bei Informationsveranstaltungen heißt. Was Geschädigte misstrauisch macht: Haniel ist nicht Vertragspartner. Jedenfalls nicht die solvente Konzernmutter, sondern eine Haniel Immobilien GmbH & Co. KG, die 2013 gegründet wurde. Im Handelsregister eingetragen ist sie mit einem Stammkapital von 25.000 Euro. „Etwas wenig für Risiken in mehrstelliger Millionenhöhe“, findet Rechtsanwalt Alexander Götz aus Moers, der Bröselstein-Opfer vertritt.

Haniel garantiert im Vertrag die Instandsetzung nicht 

Der Vertragstext, der dieser Zeitung vorliegt, schließt manches ein und einiges aus. Vieles bleibt offen. So garantiert Haniel die Instandsetzung nicht ausdrücklich; „Haniel beabsichtigt“ sie. Die Firmenpflicht besteht darin, „eine Planung zu erstellen“ und die „erforderlichen Arbeiten zu bestimmen“. Verbindliche Zeitfenster fehlen. Konkrete Aussagen zu Beginn und Fertigstellung der Sanierung seien derzeit „nicht seriös machbar“, weil das „von sehr vielen Faktoren abhängig“ sei, heißt es auf Anfrage.

Wer den Vertrag unterschreibt, „verzichtet unwiderruflich auf sämtliche Ansprüche“ aus seinem persönlichen Bröselstein-Fall, „auf Schadenersatz, entgangenen Gewinn, Betriebs- oder Mietausfallschaden, merkantilen Minderwert, Produkthaftung“.

„Versteckte Falltür“

Besonders schwer wiege ein Verzicht auf die Erstattung des merkantilen Minderwertes, warnen Juristen. Der sperrige Begriff meint den Wertverfall reparierter Bröselstein-Objekte am Immobilienmarkt. „Solche Häuser sind eigentlich unverkäuflich“, sagt Detlef Erm, Geschäftsführer im Verband Wohneigentum NRW. „Oder man muss mit dem Preis so weit runtergehen, dass das Haus fast verschenkt wird.“ Seine Mandanten seien entsetzt über die „versteckte Falltür“, sagt Opferanwalt Götz. Der Laie, dem merkantiler Minderwert nichts sage, unterschreibe gutgläubig – „vielleicht sein späteres Verderben“.

Haniel bestreitet das. „Wir sind der Auffassung, dass es keinen merkantilen Minderwert gibt“, sagt ein Sprecher. „Die Ergebnisse der Immobilienverkäufe“ würden dies bestätigen. Belege dafür legt der Konzern auf Anfrage nicht auf den Tisch. „Die Notwendigkeit sehen wir nicht.“ Ein Gutachten, das die These der Wertstabilität stützt, hat Haniel nicht.

„Nur Nachteile“ für Betroffene

Den Verband Wohneigentum überzeugt das nicht. Geschäftsführer Erm senkt den Daumen. „Sehr bedenklich“ sei dieser Vertrag. Zumal Bröselstein-Opfern auch „sämtliche Begleit- und Folgekosten aufgebürdet werden“. Weil „der Hauseigentümer eindeutig nur Nachteile hat“, könne das Papier „allenfalls ein erster Entwurf“ sein. Der müsse „erheblich nachgebessert werden“, damit der „entstandene Schaden auf allen Ebenen durch entsprechende Ersatzleistungen abgefedert wird“, fordert Erm.

Für 93 Geschädigte käme das zu spät. Sie haben laut Haniel den Vertrag bereits unterschrieben.