Essen. Das Instrument der Selbstanzeige spaltet das Land und auch die SPD: Im Bund will sie dieses Privileg abschaffen, doch den Ländern bescheren reuige Sünder Milliarden. Durch prominente Fälle wie Alice Schwarzer ist die Debatte neu angeheizt worden. Ein Pro & Contra von Stefan Schulte.

Pro

1. Moralisch: Der reiche Steuersünder bleibt bei einer Selbstanzeige straffrei, der kleine Ladendieb nicht. Der Vorwurf stimmt, das Strafrecht ermöglicht dem Ladendieb bei Selbstanzeige Strafmilderung, aber keine Befreiung. Der Vergleich verschweigt aber, dass eine Gleichbehandlung von Steuersündern mit Straftätern Erstere nicht nur mit dem Ladendieb, sondern auch mit dem Mörder auf eine Stufe stellen würde. Das wiederum dürften viele falsch finden. Moralisch ist auch, Sündern die Chance auf Reue zu geben.

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2 . Finanziell: Die Länder, allen voran NRW, haben zuletzt Milliarden durch Selbstanzeigen kassiert. Die Zahl derer, die dem NRW-Fiskus ihre Versäumnisse gebeichtet haben, hat sich 2013 auf 4500 verdreifacht. Deshalb sind die Landes- finanzminister, auch der SPD, gegen die Abschaffung. Wem der Umgang mit den Steuersündern zu milde ist, kann ja die Strafzinsen erhöhen, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun.

3 . Taktisch: In Verbindung mit der abschreckenden Wirkung der Steuer-CDs sind die Selbstanzeigen ein für den Staat sehr bequemes Instrument, zusätzliches Geld einzutreiben. Ohne Selbstanzeigen bräuchte es deutlich mehr Personal in den Finanzämtern – genau daran pflegen die klammen Länder aber seit vielen Jahren zu sparen.

4 . Juristisch: Als Gegenleistung für die Straffreiheit muss der Sünder sämtliche Daten offenlegen. Tut er das nicht, verwirkt er die Straffreiheit. Umgekehrt fiele mit der Straffreiheit auch die Pflicht weg, reinen Tisch zu machen. Das normale Strafrecht gäbe dem Verdächtigen auch das Recht, Aussage und Zeugnis zu verweigern. Lückenhafte Nachversteuerung und Freisprüche aus Mangel an Beweisen wären die Folge.

5 . Perspektivisch: Weil das Risiko für Steuerflüchtlinge durch vermehrten Datenaustausch größer wird, kann sich der Staat neue Steuerfahnder-Kompanien sparen. Gerade weil sich die Steuerflüchtlinge in der Vergangenheit so sicher gefühlt haben, jetzt aber nicht mehr, ist die Selbstanzeige so hilfreich. Sie wird noch viele teils weit zurückliegende Fälle ans Licht bringen, auf deren Geld der Staat nicht verzichten darf.

Contra

1. Moralisch: Die Möglichkeit, bei einer Selbstanzeige straffrei zu bleiben, ist ein Privileg für die Reichen. Ein Ladendieb kann das gesamte Diebesgut zurückgeben – er wird trotzdem bestraft. Reue als moralisches Motiv von sich selbst anzeigenden Steuersündern dürfte die große Ausnahme sein. Die meisten stellen sich nach Erfahrung der Behörden erst, wenn sie befürchten, erwischt zu werden. Dass sie sich stellen, ist eher ein taktisches Manöver zum Selbstschutz und nicht aus Reue.

2. Finanziell: Würden die Finanzämter personell besser ausgestattet, könnten sie auch mehr Steuersünder überführen, das brächte mehr Geld ein als die Selbstanzeigen. Ein Fahnder kostet den Staat nach Angaben der Deutschen Steuergewerkschaft im Schnitt 80 000 Euro im Jahr, er treibt aber im Durchschnitt 1,5 Millionen Euro jährlich ein. Wenige Staatsdiener arbeiten derart rentabel.

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Von Tobias Blasius, Jan Jessen und Theo Schumacher

3. Taktisch: Die Möglichkeit zur Selbstanzeige dürfte viele Reiche erst zu Schwarzkonten verleitet haben und weiter verleiten. Schafft man sie ab, werden auch weniger Steuern hinterzogen. Dem Staat entgingen zwar die öffentlichkeitswirksamen Einnahmen durch Selbstanzeigen, er nähme aber durch eine wachsende Steuerehrlichkeit von ganz allein mehr ein, auch wenn das keine Statistik belegen könnte.

4. Juristisch: Die Straffreiheit für Steuerbetrüger ist eine Besonderheit im deutschen Recht, sie zieht einen Trennstrich zwischen Strafrecht und Steuerrecht, den viele Juristen für bedenklich halten. Ein Straftatbestand, aus dem man sich im wahrsten Sinne freikaufen kann, bagatellisiert sich selbst, schwere Steuerhinterziehung erscheint dadurch als ein Kavaliersdelikt, das sie ganz bestimmt nicht ist.

5. Perspektivisch: Wenn die Staaten ihren Datenaustausch künftig weiter verstärken und nach und nach gegenseitige Abkommen schließen werden – selbst die Schweiz ist dazu grundsätzlich bereit –, steigt das Risiko von Steuertouristen, erwischt zu werden. Gerade deshalb braucht der Staat die Selbstanzeigen nicht mehr, weil er den Sündern künftig selbst viel leichter auf die Schliche kommt. Der Datenaustausch macht auch die Steuer-CDs als Abschreckungs-Mittel überflüssig.