Berlin/Essen. . Die Kritik an der von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vorangetriebenen Ökostrom-Förderung wird lauter. Immer mehr Konzerne fürchten die geplante Zusatzbelastung der Stromerzeugung in firmeneigenen Anlagen. Allein auf Thyssen-Krupp kämen zusätzliche Kosten von 30 bis 40 Millionen Euro zu.
Die angekündigte Reform der Ökostrom-Förderung führt zu wachsender Gegenwehr der Industrie. Mehr und mehr Unternehmen melden erhebliche Bedenken gegen das Vorhaben an, das die Bundesregierung unter großem Zeitdruck vorantreibt. Zu Organisationen wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Bundesverband Solarwirtschaft gesellen sich Konzerne wie Arcelor, Thyssen-Krupp, BASF und Bayer.
Die Zeit drängt. Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) will den Referentenentwurf für die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) bereits Ende Februar vorlegen. Ins Kabinett soll das Werk am 9. April. Da bleibt nicht viel Zeit für Einflussnahme der Industrie, um aus deren Sicht Schlimmeres zu verhindern.
Zeitdruck spielt Grünen in die Hand
Hinzu kommt: Gabriel muss die Novelle vor der Sommerpause in trockenen Tüchern haben, da es sonst zeitlich nicht mehr für die nötige Genehmigung aus Brüssel reicht. Dann aber würde die energieintensive Industrie 2015 wohl komplett auf ihre Befreiung von der Öko-Umlage verzichten müssen. Der Zeitdruck spielt den Grünen ein Druckmittel in die Hände: Die acht Grünen-Landesumweltminister könnten den Prozess über den Bundesrat zeitlich verschleppen und haben mithin eine starke Verhandlungsposition.
Klar ist: Die Bundesregierung will den Anstieg der Kosten der Energiewende für Privathaushalte und die Mehrheit der Wirtschaft bremsen. Ein Punkt aber alarmiert alteingesessene energieintensive Unternehmen: Sie sollen einen zusätzlichen Beitrag leisten für den Strom, den sie in firmeneigenen Anlagen gewinnen. Bisher ist die Eigenstromerzeugung grundsätzlich von der Öko-Umlage befreit, die die Förderung der Wind- und Solarkraftwerke finanziert.
Ökostrom-Förderung auf mehr Zahler verteilen
Nach den gegenwärtigen Plänen der Bundesregierung, über die in den kommenden Wochen verhandelt wird, sollen Konzerne künftig zunächst etwa einen Cent für jede Kilowattstunde (kWh) Strom entrichten, die sie selbst erzeugen – etwa 16 Prozent der vollen Öko-Umlage von 6,24 Cent. Dies gilt für bereits laufende Anlagen. Für neue industrieeigene Kraftwerke soll der Beitrag 90 Prozent der Umlage betragen, etwa 5,6 Cent pro kWh. Neue Kraftwärme-Kopplung, Wind- und Solarkraftwerke kommen etwas billiger davon.
Die Logik dieser geplanten Regelung besteht darin, die jährlichen Kosten der Ökostromförderung von etwa 20 Milliarden Euro auf mehr Zahler zu verteilen. Dadurch will die Regierung die Mehrheit der Privathaushalte und Firmen entlasten, die bisher die volle Ökoumlage tragen. Zumal sich nicht wenige Unternehmen über die Eigenerzeugung ein Schlupfloch aus der Öko-Umlage geschaffen haben.
Mehrbelastung für Thyssen-Krupp
Andere Industrie-Unternehmen aus der Stahl- oder Chemiebranche, die lange vor der Erfindung des EEG eigenen Strom produzierten, fühlen sich zu Unrecht getroffen. Einige nutzen Abwärme oder frei werdende Energie aus Produktionsprozessen seit Jahrzehnten aus Gründen der Effizienz.
Ein Unternehmen, das durch die zusätzliche Belastung für Eigenstrom Probleme bekommen könnte, ist Thyssen-Krupp. Im Duisburger Stahlwerk verursachte der eine Cent pro Kilowattstunde Kosten in Höhe von 35 bis 40 Millionen Euro pro Jahr. Der Stahlkonzern Arcelor-Mittal bezifferte den entsprechenden Betrag auf 20 Millionen Euro. BASF nennt einen mittleren bis hohen zweistelligen Millionen-Betrag an zusätzlichen Kosten. Auch Bayer und Wacker Chemie weisen auf möglicherweise steigende Ausgaben hin. Evonik in Essen gibt die jährliche Mehrbelastung mit 15 Millionen Euro an. Evonik erzeugt Strom mit Anlagen der Kraft-Wärmekopplung. Ohne die Befreiung wäre „sogar der Fortbestand derartiger Anlagen wirtschaftlich“ infrage gestellt.
Auch kleine Betriebe betroffen
Neben der Industrie wären von den Regierungsplänen auch kleinere Gewerbebetriebe und Landwirte betroffen, die beispielsweise ihre Scheunendächer mit Solarzellen gedeckt haben. Ferner sollen Immobilienbesitzer für Wohngebäude zahlen, die unter anderem mit selbstproduziertem Solarstrom versorgt werden. Ausgenommen sind kleine Anlagen auf durchschnittlichen Ein- oder Zweifamilienhäusern. So kämpft Gabriel derzeit an vielen Fronten.
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) kritisiert das Reformvorhaben. Solaranlagen seien so günstig geworden, dass jetzt auch Mieter und Unternehmen mit Solarstrom direkt versorgt werden können. „Jede neue Zusatzbelastung bedroht jedoch akut die Wirtschaftlichkeit.“