Essen. Marode Schienen, sanierungsbedürftige Brücken: Die Bahn sieht einen milliardenschweren Investitionsbedarf - und fordert Unterstützung vom Bund, sonst müsse das Streckennetz ausgedünnt werden. Doch der Verkehrsminister will erst eigene Gutachten einholen, bevor er das Geld locker macht.
Vor drei Monaten ist Rüdiger Grube mit heftigen Worten erstmals in die Offensive gegangen. „Die Unterfinanzierung der Schiene ist dramatisch“, warnte der Bahnchef. „Bei Gleisen, Weichen und Stellwerken haben wir einen Investitionsstau von über 30 Milliarden Euro. Ohne zusätzliches Geld vom Eigentümer wird es nicht gehen“.
Jetzt meldet sich der Eigentümer – doch anders als von Grube erhofft. Der neue Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will, bevor er frisches Geld ins Staatsunternehmen zuschießt, unabhängige Experten beauftragen. Sie sollen testen, wie der Zustand des Bahn-Netzes in Deutschland tatsächlich ist. Auf 5000 Kilometern des insgesamt 33 000 Kilometer großen Streckennetzes sollen nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung Gleise und Weichen überprüft werden und wie fest der Untergrund wirklich ist.
550 Störfälle am Tag
Dobrindt macht damit erstmals von einer Klausel Gebrauch, die in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Bahn verabredet wurde: Der Bund zahlt jedes Jahr 2,5 Milliarden Euro für die Instandhaltung des Schienennetzes. Die Bahn, die selbst auch noch mal 500 Millionen Euro dazutut, hält im Gegenzug vereinbarte Leistungen ein. Diese werden mit Kennzahlen gemessen. Das Eisenbahnbundesamt checkt, ob die Kennzahlen unter- oder überschritten werden – oder eben der Bund selbst tut das, wenn er will. Wie jetzt erstmals.
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D er letzte Check durch das Eisenbahnbundesamt ergab 200 000 Störfälle im Jahr 2012, rund 550 am Tag – 2008 waren es noch insgesamt 186 000. Dagegen sind die Verspätungen zurückgegangen. Auch konnte „die Zahl der Oberbaumängel um sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr reduziert werden“, heißt es in dem Report des Bonner Bundesamtes. Die gute Zahl gilt allerdings nur für das Fernverkehrsnetz. Regionalnetze zeigen mehr Mängel in der Infrastruktur auf.
1400 Brücken müssen laut Bahn sofort saniert werden
Besonders geärgert hat man sich im Verkehrsministerium wohl über den Hinweis, den Bahnchef Grube in Sachen Brücken gegeben hat. Rund 1400 seien in so kritischem Zustand, dass sofort saniert werden müsse, hat er gesagt. Viele stammten aus Kaisers Zeiten. Und: „Wenn nichts passiert, dann hätten wir die Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen: Entweder gibt es mehr unpünktliche Züge, oder wir dünnen das Streckenetz aus“.
Ist es tatsächlich so, dass viele Bahn-Brücken sehr alt und im schlechten Zustand sind? Ja. Die Zustandsnote hat sich gegenüber den Vorjahren auf 2,06 Punkte verschlechtert. Gewölbebrücken seien im Schnitt 85,3 Jahre alt, stellt das Eisenbahnbundesamt fest. Weit anfälliger seien aber die mit 63 Jahren Durchschnittsalter etwas jüngeren Walzträger- und Stahlbrücken.