Berlin. . Vor der Eröffnung der Internationalen Automobilausstellung, die am Wahlsonntag endet, stellt sich Deutschlands erster Autolobbyist, VDA-Präsident Matthias Wissmann, unseren Fragen. Von einer neuen Bundesregierung fordert er engagierte Industriepolitik, besonders gegenüber Brüssel.
Matthias Wissmann gilt als der einflussreichste Lobbyist in Deutschland. Seit 2007 ist er Präsident des mächtigen Verbands der Automobilindustrie (VDA). Seine erste Karriere als CDU-Politiker verlief blitzartig vom Vorsitzenden der Jungen Union zum jüngsten Bundestagsabgeordneten seiner Partei bis zum Forschungs- und Verkehrsminister im Kabinett Kohl. In der VDA-Residenz direkt am Brandenburger Tor sprach der 64-Jährige mit Daniel Freudenreich und Gerd Heidecke.
Herr Wissmann, fahren Sie immer noch mit dem Fahrrad zur Arbeit?
Mathias Wissmann: Ja, im Sommer fast immer, auch heute Morgen. Es macht Spaß, in einer Großstadt zu wohnen und nur 12 Minuten mit dem Rad ins Büro zu benötigen. Ich bin natürlich auch begeisterter Autofahrer – zum Beispiel auf dem Weg zu den Berliner Seen.
Das Motto der Internationalen Automobil-Ausstellung lautet „Die automobilste Show der Welt“. Ist das nicht sehr beliebig für das konträre Thema Auto?
Wissmann: Es ist ein Statement. Der Claim spiegelt wider, dass die IAA die bedeutendste Automobil-Ausstellung der Welt ist. Sie ist der internationale Treffpunkt für die automobile Welt, nirgendwo gibt es mehr Weltpremieren, nirgendwo mehr Innovation. Überdies ist nur auf der IAA die gesamte Wertschöpfungskette zu sehen – auch alle wichtigen Zulieferer sind da. Die IAA zeigt automobile Zukunft: Im Mittelpunkt stehen diesmal die beiden großen Themen Elektromobilität und Vernetzung.
Am Schlusstag der IAA wird der neue Bundestag gewählt. Was wünscht sich die deutsche Automobilindustrie von der nächsten Bundesregierung?
Wissmann: Vor allem engagierte Industriepolitik, die die beiden großen Themen Ökologie und Ökonomie in der Balance hält und die auch auf die Europäische Union einwirkt. Auch in Brüssel muss man verstehen, dass ohne eine Reindustrialisierung von Teilen Europas, die Europäische Union auf Dauer nicht zusammenbleibt. Nur Deutschland konnte in den vergangenen zehn Jahren seinen Industrieanteil halten. Ein ganz wesentlicher Standortfaktor sind die Energiekosten, die derzeit massiv steigen. Das trifft die Verbraucher und die Industrie. Wenn beispielsweise die Kohlefasern für energieintensive Leichtbaukarosserien beim neuen Elektroauto von BMW aus Kostengründen nicht in Deutschland gefertigt werden, sondern in den USA, dann ist das ist ein deutliches Warnsignal. Es muss alles getan werden, damit auch ökologisch interessante Technologien am Standort Deutschland gefertigt werden können.
Noch im Frühjahr bekannten auch Sie sich zu den Planungen, dass der Kohlendioxidausstoß von Neuwagen mit 95 Gramm pro Kilometer auf einen Wert sinkt, der vier Liter Benzin pro 100 Kilometer entspricht. In letzter Sekunde hat die Bundesregierung auch auf Ihr Betreiben durchgesetzt, dass dies nicht verabschiedet wurde.
Wissmann: Wir stellen dieses anspruchsvolle Ziel nicht in Frage. Es kann aber nur umgesetzt werden, wenn genügend Fahrzeuge mit alternativen Antrieben in den Markt kommen. Da fehlt der Europäischen Kommission offenbar die Fantasie, wie solche Konzepte gefördert werden könnten. Ein kluger Regulierungsansatz wäre, Innovationen zu stimulieren, und sie nicht zu strangulieren. Die Mehrfachanrechnungen, auch Supercredits genannt, etwa für Elektroautos sind dabei ein wichtiger Stellhebel. Supercredits bieten Anreize und tragen dazu bei, das geforderte Ziel zu erreichen. China legt dabei den Faktor 5 an, in den USA ist es mindestens Faktor 2. Der Vorschlag der Kommission bleibt weit dahinter zurück.
Der geringe Kohlendioxidausstoß von Elektroautos soll also mehrfach gezählt werden. Welchen Faktor für diese so genannten Supercredits halten Sie für notwendig?
Wissmann: Wir benötigen eigentlich Faktor 3.
Ist das nicht ein Taschenspielertrick? Elektroautos werden mehrfach angerechnet, damit beispielsweise die großen SUV weiter so viel verbrauchen können wie bisher.
Wissmann: Gerade die SUV haben in den letzten Jahren die größten CO2-Minderungen geschafft und diese seit 2008 um 24 Prozent verringert, während die gesamte Flotte 14 Prozent CO2 eingespart hat. In einer Marktwirtschaft sollten wir den Kunden entscheiden lassen, was er kaufen will. Ich habe den Eindruck, mancher glaubt daran, die automobile Zukunft in Europa sei ein langweiliges, kleines europäisches Einheitsauto. Wir wollen das nicht, der Kunde will das auch nicht. Die deutsche Automobilindustrie steht für 80 Prozent Weltmarktanteil bei Premiumautos, die übrigens sehr effizient sein können. Der Großteil der Arbeitsplätze bei unseren Herstellern im Inland hängt an Premium. Wenn wir darüber nachdenken, welche Autos auch noch in 20 Jahren in Deutschland gebaut werden, dann werden das sicher keine Kleinwagen sein.
Das jetzt gültige Verfahren zur Ermittlung des Normverbrauchs führt zu immer praxisferneren Ergebnissen, besonders bei alternativen Antrieben wie Hybrid und Elektro. Wie muss ein neues Messverfahren aussehen, das noch in diesem Jahrzehnt praktisch weltweit gelten soll?
Wissmann: Der jetzt gültige Neue Europäische Fahrzyklus ist fast 20 Jahre alt, es ist Zeit für eine Erneuerung, die wir unterstützen. Für die Automobilindustrie wäre ein weltweiter Standard am besten, schließlich exportieren wir drei von vier Autos, die wir hier in Deutschland produzieren.
Ein praxisgerechteres Testverfahren bringt mit einem höheren Normverbrauch auch einen größeren Kohlendioxidausstoß mit sich.
Wissmann: Beim Fußball werden ja auch nicht zu Beginn der zweiten Halbzeit plötzlich die Regeln geändert. Ein neuer Zyklus, der höhere Verbrauchswerte bringt, muss natürlich so umgerechnet werden, dass die CO2-Ziele nicht plötzlich verschärft werden, nur weil die Basis sich ändert.
Steht in Ihrer Garage ein Elektroauto?
Wissmann: Ich bin bereits den Elektro-Smart und den Opel Ampera gefahren. Und ich bin sehr gespannt auf den neuen BMW i3. Er bringt Emotion und ist – wie die anderen beiden – alles andere als ein Verzichtsauto.
Und wann fahren eine Million Elektroautos auf unseren Straßen?
Wissmann: Ich erwarte, dass sich die bereits steigenden Verkaufszahlen in der zweiten Hälfte dieses Jahres und vor allem 2014 deutlich nach oben entwickeln werden. Unsere Hersteller bringen bis Ende 2014 16 Elektro-Serienmodelle auf den Markt, als Plug-in-Hybrid, Range-Extender oder rein batterie-elektrisch. Wir werden dann über einige zehntausend Fahrzeuge pro Jahr reden und Mitte des Jahrzehnts hoffentlich auch über eine sechsstellige Zahl.
Das BMW-Elektroauto i3 ist auf 150 km/h Spitzengeschwindigkeit begrenzt. Was spricht eigentlich noch für die freie Fahrt auf der Autobahn?
Wissmann: 98 Prozent der Straßen in Deutschland unterliegen bereits einer Geschwindigkeitsbegrenzung. Die deutschen Autobahnen sind die sichersten Straßen, die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt dort unter 120 km/h. Alle Untersuchungen zeigen: Ein Tempolimit auf den wenigen Strecken, die noch nicht reguliert sind, bringt kaum CO2-Einsparung, auch die Verkehrssicherheit steigt nicht wirklich. Es geht bei dieser Frage wohl eher um die Befriedung einiger ideologischer Gemüter.
Peter Ramsauer als einer Ihrer Nachfolger im Amt des Bundesverkehrsministers möchte die Pkw-Maut einführen, um damit Erhalt und Ausbau des Straßennetzes zu finanzieren.
Wissmann: Die Ausgaben in die Verkehrsinfrastruktur müssen massiv erhöht werden. Wir haben dafür inflationsbereinigt heute mindestens 25 Prozent weniger Mittel als vor 20 Jahren. Der Spielraum für eine Erhöhung der Verkehrsinvestitionen ist vorhanden: Die Steuereinnahmen sind mit über 600 Milliarden Euro schon heute auf Rekordniveau, bis 2017 steigen sie weiter auf 700 Milliarden. Statt höherer Abgaben sollte die Politik die Ausgabenseite neu sortieren. Die Pkw-Maut ist deshalb keine überzeugende Lösung, weil sie auf ein Nullsummenspiel hinausläuft: Der steuerliche Teil des Verkehrshaushalts wird um den Betrag der zusätzlichen Mauteinnahmen gekürzt. So ist es bei der Lkw-Maut geschehen, so würde es bei einer Pkw-Maut wieder sein. Es sei denn, die deutschen Autofahrer werden mit Mehrkosten belastet.
Welche zusätzliche Summe ist denn aus Ihrer Sicht notwendig?
Wissmann: Etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr, mit Schwerpunkt auf Erhaltung und Sanierung vor Neubau.
In Ihrer Amtszeit als Verkehrsminister wurden erstmals mit den sogenannten PPP-Projekten Privatinvestoren für den Bau von Verkehrswegen gewonnen. Heute gibt es einige, aber insgesamt nur wenige dieser Projekte wie den Ausbau der Autobahn 1 zwischen Bremen und Hamburg. Zu wenige?
Wissmann: Das Potenzial für private Finanzierungen haben wir sicher noch nicht vollständig ausgeschöpft. Dabei gibt es viele Vorteile. Bei Privatprojekten wird beispielsweise in der Regel schneller gebaut.
Vor sechs Jahren hat die deutsche Automobilindustrie vor der IAA die Einführung einer umweltfreundlichen CO2-Klimaanlagen-Technik feierlich angekündigt, ist aber dann schrittweise davon abgerückt. Jetzt gilt das andere Kältemittel, R1234yf, als feuergefährlich beim Crash. Kommt die auch von Greenpeace unterstützte Öko-Klimaanlage jetzt zur IAA zurück?
Wissmann: Das Kältemittel einer Klimaanlage im Auto muss zwei Ziele erfüllen: Es muss sicher und klimafreundlich sein. Ein Weg könnte die von Greenpeace unterstütze Klimaanlage sein, die CO2 als Kältemittel verwendet. Einige unserer Pkw-Hersteller haben beschlossen, die Entwicklungsarbeiten für eine solche Technologie jetzt voranzutreiben. Andere Hersteller sind dagegen überzeugt, dass sie mit dem von Honeywell entwickelten Kältemittel sicher und klimafreundlich fahren.