Riga. . Lettland tritt 2014 als 18. Land der Euro-Zone bei. Touristen schätzen den billigen Alkohol in dem baltischen Land und fallen am Wochenende gerne ein. Lettlands Wirtschaft gilt als stabil. Allerdings wollen viele Bürger den Euro nicht.
Jeden Freitagabend wird es recht laut in der Altstadt von Riga, denn dann ist jener Teil des englischen Volkes eingeflogen, der gern zu tief ins Fass schaut. Lettlands Hauptstadt gilt nämlich als billig, und die Zahlen auf den Getränkekarten sind angenehm niedrig: das große Bier zu 1,80, zu 2,10. Freilich reden wir hier über die einheimische Währung Lat, und absonderlicherweise ist ein Lat deutlich mehr wert als ein Pfund oder ein Euro – nämlich 1,42 Euro.
Zum 1. Januar 2014 wird das leider zu überflüssigem Wissen: Denn dann ersetzt der Euro den Lat, und dann gehen die reinen Zahlen hoch. Dass Riga-Mitte gar nicht mehr billig ist, werden die zielstrebig bechernden Jungbriten wohl auch dann nicht merken. Jedenfalls nicht mehr zur Kampftrinkzeit nach 8 oder 9 Uhr abends – oder vor 12 Uhr mittags.
„Die Rahmendaten sind exzellent“
Lettland nimmt den Euro. Als 18. Land. „Die Rahmendaten sind exzellent“, sagt Burkhard Balz, der Berichterstatter des Europaparlaments für den Euro-Beitritt. Und die Europäische Zentralbank bescheinigt an dieser Stelle gern: Inflation, Haushaltsdefizit, Verschuldung, alles liegt unter den Grenzwerten.
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An diesem Nachmittag sitzt Nils Sakss aus dem Finanzministerium ebendort unter der großen blauen Europafahne neben der rot-weiß-roten Lettlands. Er ist wieder mal in der Situation, erklären zu sollen, warum ein gut laufendes Land einer vermeintlich krisenhaften Währung beitritt. „Island hatte die Krise ohne den Euro, Lettland hatte die Krise ohne den Euro“, sagt Sakss. Und dann nähert er sich dem politischen Kern: „Unser geopolitisches Interesse ist es, innerhalb der EU bei den Besser-Integrierten zu sein.“
Der Grund ist Russland.
Denn Russland beginnt gleich hinter der Grenze, Russland zeigt mit Dominanzgesten, dass es ein unabhängiges Lettland eigentlich nicht akzeptiert. Damit nicht genug: Etwa jeder zweite der zwei Millionen Einwohner Lettlands ist ethnischer Russe, noch aus Zeiten der UdSSR, die die Letten mit massenhaftem Zuzug, eben, russifizieren wollte.
Hunderttausende Russen ließen sich bis heute nicht einbürgern, was die Letten zu der schelmischen Einführung eines „Nichtbürgerpasses“ brachte. Klingt negativ, ist aber gar nicht so: Denn solche „Nichtbürger“ haben alle Rechte bis auf das Wahlrecht – aber dafür eine einzigartige Reisefreiheit von Lissabon bis Wladiwostok. Schengen-Raum plus Russland also. Man sieht es schon: Im Alltag kommen Letten und Russen besser klar als in der Politik. „Manche sagen, das Verhältnis ist gut, andere, es ist schlecht“, sagt die Übersetzerin Anna Muhka: „Aber es brennen keine Autos.“
Riga wirkt sogar ein bisschen deutsch
Doch genug zu Russland, Lettland steht im Westen so schon genug unter Osteuropa-Verdacht. Der ist nun falsch: Das Land hinter Ostpreußen und vor St. Petersburg wirkt eher skandinavisch, Riga sogar ein bisschen deutsch – bis 1918 lebte eine deutsche Großgrundbesitzer-Schicht im Land.
Man sieht es auf dem Land vielen Burgen an und Höfen, und Landstriche gehören zu Lettland, deren Namen man kennt: Kurland etwa oder Livland. Nach der ersten Unabhängigkeit gab es antideutsche Reflexe (der damals erstmals eingeführte Lat zerlegte sich in 100 Santimes), nach der zweiten 1991 nicht mehr. Was den Historiker Ilgvars Misans zu dem Satz verführt, dass „man den vorletzten Okkupanten immer mehr mag als den letzten“.
Mehrheit der Letten ist aber gegen den Euro
Eines will die Regierung noch wenden vor dem 1. Januar: Eine Mehrheit der Leute ist gegen den Euro. Weil sie erst 20 Jahre wieder eine eigene Währung haben, weil sie nicht mithaften wollen für irgendwelche Mittelmeer-Schulden; sowieso wird allgemein erwartet, dass Lettland eher die nordische Version von Finanzpolitik stärkt. Verträge mit Wirtschaft und Wirtschaften sollen zudem dafür sorgen, dass im Januar nicht die Preise anziehen. Und die Russen in Lettland tragen dann endlich jenen Namen zu Recht, den sie schon haben, seit das Land in der EU ist.
Euro-Russen.