Viele Geschäfte in Hochwasserregion ohne Versicherungsschutz
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Frankfurt. Über 99 Prozent der deutschen Haushalte könnten problemlos gegen Hochwasser versichert werden, sagt Jörg Jörg von Fürstenwerth, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Mit den Erfahrungen einiger Hochwasser-Geschädigter passt das jedoch nicht zusammen.
"Wir können über 99 Prozent aller Haushalte in Deutschland problemlos gegen Hochwasser und Überschwemmung versichern", sagt Jörg von Fürstenwerth, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Mit den Erfahrungen der Menschen, die in diesen Tagen durch den Schlamm in ihren Kellern und das Wasser in ihren Wohnungen waten, passt das nicht zusammen. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich sagte bei einem Besuch im von der Mulde überschwemmten Döbeln, 99 Prozent der Geschäfte in den hochwassergefährdeten Gebieten bekämen keinen Versicherungsschutz.
Beim Blick auf die absoluten Zahlen wird klar: Schütteln die Versicherer nur bei einem Prozent der Haushalte den Kopf, dann trifft das immerhin 400.000 Wohnungen und Häuser an Flüssen, Bächen oder in Flussauen, die mindestens einmal in zehn Jahren von Überschwemmungen oder sintflutartigem Regen heimgesucht werden. In der Passauer Altstadt etwa, in Grimma in Sachsen, an der Mosel oder rund um den Kölner Dom. Für einen beträchtlichen Teil von ihnen ist es 2013 wieder einmal so weit.
Forderungen nach Pflichtversicherung gegen Hochwasser
Nicht nur der sächsische CDU-Politiker Tillich ruft nach einer Pflichtversicherung gegen Hochwasser. In Baden-Württemberg gab sie es bis 1994. Dort sind noch 95 Prozent aller Haushalte gegen Elementarschäden versichert. Im Bundesdurchschnitt liegt die Quote gerade bei 32 Prozent. Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat für Montag unter anderem Fürstenwerth und GDV-Präsident Alexander Erdland zu einem Krisentreffen eingeladen, in dem es auch um die Frage gehen soll, warum die Versicherer vielen Haus- und Ladenbesitzer den ersehnten Schutz verweigern.
Hochwasser hält Deutschland in Atem
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Erdland, auch Vorstandschef der Stuttgarter W&W (Württembergische Versicherung), sieht das Problem woanders: "Versicherbarkeit ist das eine - Versicherungsschutz tatsächlich abzuschließen das andere. Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt, dass sie im Schadenfall generell mit finanzieller Unterstützung durch Bund, Land oder Kommune rechnen kann", sagte er Reuters am Freitag. Viele Menschen verdrängten die Risiken. "Trotz der erlebten Hochwasserkatastrophen in den vergangenen 15 Jahren war der häufigste Satz, den man derzeit von den Betroffenen in den Überschwemmungsgebieten hört: 'Wir haben nicht gedacht, dass so etwas wie 2002 noch einmal passieren kann.'"
Standardbeitrag liegt bei 100 Euro im Jahr
Vor zehn Jahren haben die Versicherer ganz Deutschland in vier Hochwasser-Zonen eingeteilt. "ZÜRS" (Zonierungssystem für Überschwemmung, Rückstau und Starkregen) heißt das System, mit dessen Hilfe sie den Daumen für die Kunden heben oder senken. In der Zone 4 heißt die Standardantwort "Nein". Denn so hoch können die Beiträge dort gar nicht sein, dass sich das Geschäft für die Versicherer rechnen würde. "Da wird es richtig eng", sagt Robert Heene, Vorstandsmitglied der Versicherungskammer Bayern (VKB). Der Standardbeitrag liegt im Schnitt bei 100 Euro - im Jahr. 3000 Euro Schaden werden schon für einen vollgelaufenen Keller veranschlagt. Ist das Haus als Ganzes betroffen, reichen 10.000 Euro bei weitem nicht aus.
Doch ein Nein muss nicht endgültig Nein heißen. "Wir sagen eigentlich nie, es geht nicht. In der Zone 4 arbeiten wir in der Regel mit individuell berechneten Selbstbehalten", sagt Jürgen Hinzmann von der SV SparkassenVersicherung in Stuttgart. Die ersten 5000 oder 10.000 Euro zahlt der Eigentümer dann selbst - doch wenn das überflutete Haus abgerissen werden muss, leistet die Versicherung. "Da geht es um Existenzsicherung." In schwierigen Fällen schickt der Versicherer einen Ingenieur ins Haus, um die Frage der Versicherbarkeit zu prüfen. In der Hälfte der Fälle reiche es, nur den Keller zu fliesen oder die Fenster abzudichten, um den Schaden im Ernstfall in Grenzen zu halten.
Im Hochwasser um Wählerstimmen werben
VKB-Vorstand Heene ist gegen eine Pflichtversicherung: "Wir haben uns bei den Rückversicherern erkundigt. Dafür würde die Rückversicherung sehr teuer." Da müsste der Staat einspringen. Eine Versicherungspflicht würde auch die Frage nach der Gerechtigkeit aufwerfen: Denn dann müssten die Menschen in den Hochhäusern für die Eigentümer attraktiver Seegrundstücke mitzahlen. Heene ärgert die geringe Akzeptanzquote der Hauseigentümer, die sich versichern könnten. In Bayern liegt sie mit 21 Prozent noch unter dem Bundesdurchschnitt. Baiersdorf, eine Gemeinde bei Nürnberg, war 2007 von einem verheerenden Unwetter heimgesucht worden. "Da hat die Betroffenheit gerade sieben Tage angehalten. Und zehn Kilometer weiter wollte niemand etwas davon wissen", berichtet der VKB-Vorstand.
"Das Gedächtnis der Leute ist leider sehr kurz", sagt auch SV-Manager Hinzmann. In fünf Bundesländern haben Politik und Versicherer gemeinsam für mehr Hochwasserschutz geworben. Mit mäßigem Erfolg: Bei der VKB haben acht Prozent aller Gebäudeversicherungen einen Elementarschutz - vorher waren es 1,5 Prozent. "Mit Werbung allein wird es nicht getan sein", sagte Heene. "Ohne die Politik wird das ein zähes Unterfangen." Immerhin gilt in Bayern seit Baiersdorf die Regel, dass der Staat Betroffenen finanziell nur dann hilft, wenn sie - sofern möglich - versichert sind. Doch im Wahlkampf gelten andere Gesetze, seit Gerhard Schröder und Matthias Platzeck 2002 im Oder-Hochwasser in Gummistiefeln erfolgreich um Wählerstimmen warben. In Bayern wird im September der Landtag gewählt, und die Staatsregierung verteilt in Rosenheim, Passau oder Deggendorf gerade 1500 Euro Soforthilfe an alle Hochwasser-Opfer. (Reuters)
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