Paris. . Die bissige und herablassende Kritik des US-Investors Maurice Taylor hat in Frankreich helle Empörung und eine Debatte über Produktivität ausgelöst. Doch der Wirtschaft geht es schlecht. Die EU dämpft Wachstumsprognose.

Für seine Derbheiten ist Maurice „Morry“ Taylor (69) daheim in den USA gefürchtet. „Grizzly“ nennen sie den streitlustigen Boss des „Titan“-Reifenkonzerns. Wie es sich anfühlt, wenn der Bär seine Krallen ausfährt, bekam jetzt Frankreichs Industrieminister Arnaud Montebourg zu spüren. In größter Verzweiflung hatte dieser den Amerikaner gebeten, die marode Goodyear-Reifenfabrik in Amiens zu übernehmen und so 1000 Arbeitsplätze zu retten. Taylor schlug die Offerte angewidert aus. „Denken Sie, dass wir so blöd sind? Sie können Ihre so genannten Arbeiter behalten“, polterte er.

Sein Brief strotzt vor Schlägen unter die Gürtellinie, gibt aber so manche bittere Wahrheit wieder. „Ich habe diese Fabrik mehrmals besucht“, klagt Taylor und führt an, dass französische Arbeiter zu hohe Löhne erhielten und viel zu wenig arbeiteten. „Sie haben eine Stunde für ihre Pausen und ihr Mittagessen, diskutieren drei Stunden und arbeiten drei Stunden.“

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Vom Amerikaner verhöhnt

Anstatt das von Schließung bedrohte Goodyear-Werk zu übernehmen, werde Titan seine Reifen in Billiglohnländern wie Indien und China produzieren und damit den französischen Markt überschwemmen. In spätestens 2018 sei dann auch Branchenprimus Michelin am Ende. „Dann werdet ihr kein Geld mehr haben, um den guten französischen Wein bezahlen zu können“, höhnte der US-Boss.

Minister Montebourg, ein Linkssozialist, reagierte empört: „Ihre ebenso extremistischen wie beleidigenden Äußerungen offenbaren eine vollkommene Ignoranz gegenüber unserem Land Frankreich.“ Er droht, die Einfuhr von Titan-Dumping-Reifen „mit doppeltem Eifer“ kontrollieren zu wollen.

Die meisten Franzosen fassen die Tirade des „Grizzly“ als Kriegserklärung auf, die kommunistische Gewerkschaft spricht von einer „totalen Beleidigung“ und auch der Arbeitgeberverband sieht Frankreich verunglimpft. Das wollen die Franzosen nicht auf sich sitzen lassen. Die Zeitung „Le Parisien“ rechnet vor, dass französische Arbeiter mehr arbeiteten als deutsche und zudem produktiver und billiger seien. Auf der Titelseite brüllt das Massenblatt: „Nein, die Franzosen sind keine Faulpelze.“

Die Faulheits-Debatte trifft Frankreich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Mit seiner kühnen 0,8-Prozent-Wachstumsprognose hat sich Präsident François Hollande verschätzt, EU-Konjunkturexperten haben sie jetzt auf 0,1 Prozent herunterkorrigiert. Die Folge: Die Neuverschuldung, die 2013 auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt werden sollte, wird bei 3,7 Prozent liegen. Wie Paris die zusätzlichen Defizit-Milliarden nun einsparen will, ist rätselhaft.

Frankreich, zweitgrößte Wirtschaftsnation Europas, schreibt seit geraumer Zeit rote Zahlen, nun droht eine schwere Rezession. Drei Millionen Franzosen sind arbeitslos, die Arbeitslosenquote liegt bei über zehn Prozent – Tendenz steigend. Hinzu kommen sinkende Wettbewerbsfähigkeit, uninteressante Produkte, Rekord-Außenhandelsdefizit, wachsende Staatsschulden. Um aus der Talsohle herauszukommen, setzt Hollande auf den „dialogue social“, der noch in den Kinderschuhen steckt.

„Frankreich braucht Agenda 2020“

Der Vergleich mit Deutschland, das erfolgreich ein ausgeklügeltes Kompromiss-System aus Tarifautonomie, Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft installiert hat, offenbart, dass die Uhren in Frankreich anders gehen. „Arbeitnehmer und Gewerkschaften in Frankreich sehen den Unternehmer prinzipiell als Feind an“, sagt der Politikwissenschaftler René Lasserre, der an der Uni Cergy das Institut für Deutschland-Studien leitet. Immerhin brachten Arbeitgeber und Gewerkschaften kürzlich einen Kompromiss zustande, der in Anlehnung an die Schröder’sche Agenda 2010 Kurzarbeit, Gehaltskürzungen und eine Lockerung des Kündigungsschutzes in Krisenzeiten vorsieht. Lasserre fordert mehr, eine Modernisierung der Sozialsysteme: „Was Frankreich braucht, ist eine Agenda 2020.“