Essen. . In Essens Innenstadt soll das längste Supraleiterkabel der Welt entstehen. Physik-Nobelpreisträger Georg Bednorz setzt große Hoffnungen in das Projekt, an dem auch der Energiekonzern RWE beteiligt ist. Ein Gespräch über die Potenziale der neuen Technologie – und das, was im schlimmsten Fall passieren könnte.

Es gilt als das Stromkabel der Zukunft. Physik-Nobelpreisträger Georg Bednorz gerät geradezu ins Schwärmen, wenn er über die Potenziale spricht. „Wenn supraleitende Kabel flächendeckend eingesetzt würden, könnten auf einen Schlag etliche Probleme gelöst werden. Denn sie sind leistungsstärker, effizienter und benötigen weniger Platz als herkömmliche Kabel, was gerade in Großstädten ein Gewinn ist“, sagt der deutsche Wissenschaftler, der 1987 vom Nobelkomitee gemeinsam mit dem Schweizer Karl Alexander Müller für seine Entdeckungen in Sachen Supraleitung ausgezeichnet wurde.

Allerdings hat es einige Zeit gedauert, bis die Technologie im Alltag angekommen ist. „Lange Zeit war wenig zu sehen“, räumt der 62-jährige Bednorz im Gespräch mit dieser Zeitung ein. „Das ändert sich jetzt.“ Im Ruhrgebiet soll im kommenden Jahr das längste Supraleiterkabel der Welt entstehen – und zwar mitten in der Essener Innenstadt. „Ampa City“ heißt das Vorhaben, an dem unter anderem der Essener Energieversorger RWE und der Kabelhersteller Nexans beteiligt sind. Vor wenigen Tagen informierte sich der Nobelpreisträger, der heute in Zürich lebt und für den IBM-Konzern arbeitet, über den Stand des Projekts.

13,5 Millionen Euro für ein Forschungsprojekt

Es geht in Essen zunächst einmal um ein Forschungsprojekt. Die Kosten liegen bei 13,5 Millionen Euro, wovon 6,3 Millionen Euro der Bund übernimmt. Das supraleitende Kabel mit einer Länge von einem Kilometer soll unter der Erde verlegt und Ende November 2013 ans Essener Stromnetz angeschlossen werden. Für alle Fälle verläuft parallel zur Teststrecke ein herkömmliches Stromkabel. Risiken für die Bürger könne er nicht erkennen, betont Bednorz. „Was im schlimmsten Fall passieren könnte? Dass die Supraleitung zusammenbricht und Stickstoff verdampft, der als Gas in die Umgebung austritt austritt. Stickstoff ist zu 80 Prozent in unserer Atemluft. Gefahren für den Menschen gibt es also nicht.“

Bednorz richtet den Blick auf die vielen Vorteile der Technologie. „Mit supraleitenden Kabeln lässt sich 100-mal mehr Energie transportieren als durch ein normales Kabel“, sagt er. Außerdem lasse sich Strom praktisch ohne Verluste auch über große Distanzen hinweg transportieren, was mit dem Ausstieg aus der Kernenergie noch wichtiger geworden sei. „Es ist realistisch, dass derzeit etwa sieben bis acht Prozent der Energie auf dem Transportweg verloren gehen. Mit supraleitenden Kabeln ist dies nicht der Fall“, erläutert Bednorz. „Jedes Watt, was wir einsparen, ist lohnenswert.“ Außerdem werde für herkömmliche Überlandleitungen viel Platz benötigt. „Der Flächenbedarf ist enorm. Das reduziert sich mit supraleitenden Kabeln.“

Noch sind die Kabel nicht massentauglich

Das derzeit noch größte Supraleiter-Projekt befindet sich in den USA. „Auf Long Island gibt es ein Projekt, das die Potenziale andeutet“, sagt der Nobelpreisträger. Dort transportieren drei supraleitende Kabel eine Leistung von 600 Megawatt. Das ist die Energiemenge, die ein mittelgroßes Atomkraftwerk produziert. Noch aber sind supraleitende Kabel nicht massentauglich. „Damit sich das ändert, müssen die Kosten für die Herstellung sinken“, erklärt Bednorz. „Ich denke, in zehn oder fünfzehn Jahren wird die Technologie wettbewerbsfähig sein.“ Technologisch sei die Herstellung von supraleitenden Kabeln kein großes Problem mehr. „Auch die Ressourcen sind in ausreichender Menge auf der Welt.“ Die Technologie sei jetzt so ausgereift, dass man die Produktionsmengen hochfahren kann. „Wenn mehr Supraleiter produziert werden, fallen auch die Produktionskosten.“

Bednorz jedenfalls denkt in größeren zeitlichen Zusammenhängen und gibt sich optimistisch. „Lange wurde versucht, Unterseekabel von Europa zu den USA zu legen, über Jahre gab es Rückschläge. Aber letztlich ist es vor 150 Jahren gelungen“, sagt er. „So ähnlich wird es auch bei den supraleitenden Kabeln sein. Sie werden eine wichtige Technologie des 21. Jahrhunderts. Davon bin ich überzeugt.“