Essen. Professor Dieter Kempf, Präsident des Verbands Bitkom der IT- und Telekommunikationsbranche,  fordert  weniger Technikfeindlichkeit in der Schule  und Informatik als Pflichtfach in der Oberstufe. Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels  müssten Chancen  für  Frauen und  Einwanderer verbessert werden.

Am Dienstag treffen sich Größen aus Wirtschaft und Politik in Essen zum nationalen IT-Gipfel. Unterstützer der Veranstaltung, auf der jedes Jahr wichtige Zukunftsthemen der Informationstechnologie- und Telekommunikationsbranche diskutiert werden, ist der Branchenverband Bitkom. Sven Frohwein sprach mit dessen Präsidenten Professor Dieter Kempf über fehlende Fachkräfte, Datensicherheit und den IT-Standort Deutschland.

Herr Professor Kempf, in Deutschland fehlen laut Ihrem Verband rund 43 000 IT-Fachkräfte. Wie wollen Sie diese Lücke schließen und junge Menschen für einen IT-Job begeistern?

Dieter Kempf: Wir haben in Deutschland ein Ungleichgewicht: Große Unternehmen mit starken Marken können ihre offenen Stellen deutlich leichter besetzen als Mittelständler. Grundsätzlich ist noch immer eine gewisse Technikfeindlichkeit während der Schulausbildung zu beobachten. Das müssen wir ändern.

Das heißt nicht, dass in jedem Klassenzimmer ein PC neuester Bauart stehen muss, aber die Benutzung von Kommunikationsgeräten ist mittlerweile eine Kulturtechnik wie Lesen, Schreiben und Rechnen geworden. Der Umgang mit solchen Geräten muss Schülern deshalb spielerisch beigebracht werden. Zudem brauchen wir ein Pflichtfach Informatik an den Oberschulen. Wir können uns nicht in dreißig Jahren über Wasser halten, indem wir uns nur gegenseitig Cola und Burger servieren.

Auch Frauen sind noch immer rar in IT-Unternehmen. Befürworten Sie eine Frauenquote in Führungspositionen?

Kempf: Nein. Was wir brauchen, sind völlig neue, intelligente Lebensarbeitszeitmodelle. Wir verlieren Frauen als Arbeitskräfte, weil wir ihnen keine vernünftigen Angebote machen, Karriere und temporäres Aussetzen im Job sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Das ist in erster Linie ein Appell an die Unternehmen in unserer Branche, weil sie diejenigen sind, die Produkte erfinden, die mehr Flexibilität im Job erst ermöglichen.

Und wie steht’s mit ausländischen Fachkräften?

Kempf: Deutschland hat ein Problem: Hier fehlt eine Willkommenskultur. Viele Menschen unterscheiden nicht zwischen Asyl, der Integration hier lebender Ausländer und einer gesteuerten Zuwanderung von Fachkräften. Ein Akademiker, der zu uns kommen möchte, muss auch spüren, dass er hier willkommen ist. Eine offizielle Webseite als Informationsquelle für Menschen in aller Welt ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus.

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Vor kurzem sorgte Telefónica-O2 für Aufsehen mit dem Vorhaben, Standortdaten von Handynutzern der Werbeindustrie anzubieten. Der Konzern ruderte zurück. Wie bringen wir künftig Nutzer- und Unternehmensinteressen überein?

Kempf: Im Fall von O2 ging es nicht darum, Persönlichkeitsprofile zu nutzen, sondern anonymisierte Daten. Das ist ein großer Unterschied. Der Fall zeigt aber, dass in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Regeln zum Datenschutz gelten. Es ist vielleicht utopisch zu glauben, eine weltweit einheitliche Regelung hinzubekommen, aber der Entwurf der EU-Datenschutzrichtlinie ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Ein europaweit einheitlicher Rechtsrahmen würde einiges leichter machen.

Aber an EU-Recht stören sich US-IT-Konzerne wie Facebook doch eher selten.

Kempf: Jedes Unternehmen, das ein Interesse am dauerhaften Funktionieren seines Geschäftsmodells hat, tut gut daran, die Erwartungen seiner Nutzer an den Datenschutz zu erfüllen. Das gilt auch für Facebook. Wir bemerken auch in den USA einen wachsenden Widerstand der Nutzer gegen allzu laxe Datenschutzregeln.

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Tut die Bundesregierung aus Ihrer Sicht zu wenig, um deutsche IT-Innovationen zu fördern? Warum kommen noch immer die meisten Trends aus den USA?

Kempf: Wir haben zwar eine respektable Gründungskultur in Deutschland, aber im Gegensatz zu den USA fehlt vielen Unternehmen die Wachstumsdynamik in den ersten Jahren. Junge Unternehmen finanzieren sich fast ausschließlich mit Eigenkapital. Das reicht nicht aus, um zügig einen Markt zu besetzen und international aktiv zu werden.

Das heißt aber im Umkehrschluss, dass es zu wenig Risikokapitalgeber hierzulande gibt?

Kempf: Das ist noch immer so. Uns fehlt bislang ein Marktplatz, der Kapitalgeber und Gründer zusammenführt.