Essen. . Günter Wältermann, der neue Chef der AOK Rheinland/Hamburg, fordert eine Mengenbegrenzung der Operationen. Die Kliniken wehren sich allerdings gegen den Vorwurf, die Zahl der Eingriffe aus finanziellen Gründen zu steigern.
Warum werden in Deutschland doppelt so oft Gelenkprothesen eingesetzt als im übrigen Europa? Weil wir besser versorgt werden als unsere Nachbarn? Oder wird unnötig oft operiert, weil die Krankenhäuser damit 0gutes Geld verdienen? Günter Wältermann, der neue Chef der AOK Rheinland/Hamburg, glaubt an Letzteres. Mit seiner Forderung, die Zahl der Operationen durch die Ausgabe von Zertifikaten zu begrenzen, hat er Kliniken und Ärzte mächtig aufgeschreckt.
Die Krankenhausgesellschaft NRW (KGNW) wittert eine „Kampagne gegen die Kliniken“. Durch technischen Fortschritt seien die OPs viel schonender als früher. Patienten, die unter starken Schmerzen litten, entschieden sich daher häufiger für einen Eingriff, um wieder schmerzfrei und mobil zu sein. Wenn die AOK diese Leistung rationieren wolle, müsse sie das ihren Versicherten beibringen, sagte KGNW-Sprecher Lothar Kratz.
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Wältermann betont, es gehe ihm trotz des Deckels nicht um eine Rationierung: „Erforderliche OPs müssen immer stattfinden“, sagte er im Gespräch mit dieser Zeitung. Er hofft aber, dass durch den Zertifikatehandel weniger unnötige OPs stattfinden.
Es geht um die 50-Jährigen
Er denkt dabei nicht nur an den 85-Jährigen, der eine neue Hüfte braucht, sondern an die vielen 50-Jährigen, denen Prothesen eingesetzt werden. „So eine Prothese hält vielleicht 15 Jahre, dann muss wieder eine neue eingesetzt werden. Das geht nicht beliebig oft, deshalb lohnt es bei den Jüngeren zu hinterfragen, ob wirklich alle konservativen Heilmethoden ausgeschöpft wurden.“ Damit meint der AOK-Chef Physiotherapie, Rehamaßnahmen und Sport. Häufig sei auch Übergewicht eine Ursache für Gelenkverschleiß.
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Doch woher soll ein Patient nun wissen, ob eine OP wirklich der letzte Ausweg ist? Gerade Jüngeren rät aber auch Klinik-Sprecher Kratz, sich einen Eingriff gut zu überlegen und im Zweifel eine Zweitmeinung einzuholen. Dazu rät auch AOK-Chef Wältermann: „Dafür stehen bei uns 20 namhafte Professoren bereit, die sich gerne die Versicherten anschauen und sie beraten.“ Häufig müssten die Patienten für vorbeugende Maßnahmen motiviert werden.
Dies fällt natürlich umso schwerer, wenn sich der Patient unter dem Eindruck starker Schmerzen schnelle Linderung wünscht. Mit einem künstlichen Knie können viele nach wenigen Wochen wieder schmerzfrei laufen.
Abschläge von 30 Prozent
Doch diese Fortschritte machen an der deutschen Grenze nicht halt. Warum also wird etwa im ebenfalls hoch entwickelten Skandinavien deutlich seltener operiert? Wältermann sieht finanzielle Gründe. Dabei gibt es bereits heute Abschläge, wenn Kliniken häufiger operieren als in den Jahreszielen mit den Krankenkassen vereinbart. Für jede OP, die über das Soll hinausgeht, erhalten sie eine um 30 Prozent gekürzte Pauschale, ab 2013 beträgt der Abschlag 25 Prozent. „Es lohnt sich aber für die Kliniken trotz des Abschlags immer noch“, sagt Wältermann.
Seine Idee mit den Zertifikaten würde die Zahl der OPs deckeln. Hat eine Klinik ihre aufgebraucht, muss sie für weitere OPs Zertifikate von anderen Kliniken kaufen. Die Gesamtmenge bliebe begrenzt.
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Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Wolfgang Zöller (CSU), lehnt ein solches System ab. Allerdings will auch er die Gründe für die deutsche Prothesen-Weltmeisterschaft hinterfragt wissen: „Krankenkassen und Ärzteschaft müssen den Ursachen der steigenden Zahl von Operationen auf den Grund gehen. Wenn die Analyse ergibt, dass in Deutschland häufig medizinisch unnötig operiert wird, besteht Handlungsbedarf.“