Essen. Dem Ruhrgebiet fehlt auch heute noch ein auf alle Kommunen abgestimmter Verkehrsplan. Wie lokale Egoismen in 37 Einzelunternehmen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr die Pendler ausbremsen.
Die Probleme des öffentlichen Nahverkehrs im Ruhrgebiet sind besonders in Mülheim an der Ruhr sichtbar. Entlang der Linie 901 führt die Strecke nach Duisburg durch einen Tunnel tief unter der Ruhr hindurch. Die Spur der Schienen ist 1435 Millimeter breit. Die Linie 901 wird von der Duisburger Verkehrsgesellschaft betrieben.
Erstaunlicherweise liegen zwischen den Gleisen der Linie 901 weitere Schienen. Sie gehören der Linie 102. Diese Linie wird von der Mülheimer Verkehrs-Gesellschaft betrieben. Und sie fährt auf einer Spur mit einer Breite von 1000 Millimetern. Ein Tunnel, zwei unterschiedliche Gleise in einem Kiesbett. Das ist das Ruhrgebiet. Anstatt sich auf eine Linienbreite abzustimmen, blieben zwei städtische Verkehrsgesellschaften bei ihrer eigenen, auch wenn das teuer wird. Der frühere Chefplaner des Regionalverbands Ruhr, Thomas Rommelspacher, sagt zur Lage: „Das Problem ist die lokale Borniertheit.“
Solange Geld da war, habe jede kommunale Verkehrsgesellschaft so gebaut, wie sie es für richtig hielt – ohne Rücksicht auf regionale Bedürfnisse. „Leider wurde der Verkehrsbedarf über Stadtgrenzen hinweg erst akzeptiert, als die Kassen leer waren.“
Aneinanderreihung kommunaler Wünsche
Einen Verkehrsplan, der auf das gesamte Revier abgestimmt wäre, hat es laut Rommelspacher nie gegeben. Nur die Aneinanderreihung von kommunalen Wünschen. Und so splittern die Verkehrsverhältnisse auf. Abgesehen von den großen S-Bahn-Linien entlang der Ost-West-Hauptachse von Dortmund nach Düsseldorf gibt es nur wenige direkte kommunale Verbindungen. Und wenn, dann sind häufig die Takte der Anschlüsse nicht aneinander angepasst. In Gelsenkirchen-Horst etwa müssen die Fahrgäste die Bahn wechseln, wenn sie von Essen nach Gelsenkirchen-Zentrum fahren wollen. Die Essener lassen die Linie U 11 kurz hinter ihrer Stadtgrenze in Gelsenkirchen-Horst enden.
Oliver Stieglitz vom Fahrgastverband Pro Bahn beschreibt die Situation so: „Die Kunden nervt das häufige Umsteigen.“ Nur entlang der Hauptstrecken könnten sich Bahnnutzer auf direkte Verbindungen verlassen. Wer am Nordrand des Reviers aber von Gladbeck nach Herten wolle, müsse sich auf mindestens vier neue Verbindungen einlassen.
Zudem bemängelt Stieglitz Probleme mit den Fahrplänen. Zwar gebe es tagsüber genügend Anschlüsse: „Aber am Abend oder am Wochenende dünnt das Angebot aus. Häufig können Anschlüsse nicht erreicht werden.“ Fazit: Es kommt vor, dass Straßenbahnkunden nachts schon mal in einer Einöde ohne Chance auf Weiterfahrt stranden.
37 Unternehmen im VRR
Die Ursache für das Kuddelmuddel liegt in den Augen von Rommelspacher in der Historie des Nahverkehrs im Ruhrgebiet: In der Phase des schnellen Wachstums habe nahezu jede Gemeinde eine eigene kommunale Verkehrsgesellschaft gegründet.
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Diese existiere heute mit einem eigenen Vorstand, einem eigenen Aufsichtsrat und häufig auch noch einem eigenen Beirat – fast immer besetzt mit lokalen Würdenträgern. Diese lokalen Verkehrsgesellschaften würden nun von den lokalen Gemeinderäten die Aufträge für den Nahverkehr auf dem eigenen Stadtgebiet bekommen. Ein System, das sich selbst erhält, und an der Stadtgrenze endet.
Gerade im dicht zusammengewachsenen Ruhrgebiet ist das teilweise absurd. So kann ein Pendler oft nur über das Zentrum seiner Stadt in ein Nachbarviertel fahren. Lange Umwege sind programmiert. „Erst zum Ende der Sechziger Jahre wurde mit der Stadtbahn ein gemeinsames Verkehrskonzept beschlossen. Doch leider ging dem Plan mit den großen Wirtschaftskrisen das Geld aus“, sagt Rommelspacher. Von 350 geplanten Kilometern Schienenstrecke wurden nur etwa 100 Kilometer realisiert.
Thomas Nückel, Verkehrspolitiker der FDP im Landtag und passionierter Bahnfahrer aus Herne sagt: „Das Problem liegt darin, dass es zu viele Verkehrsgesellschaften gibt.“ Bis heute gibt es im Verkehrsverband Rhein-Ruhr (VRR), dem Dachverband, 37 Unternehmen. Mit jeweils eigenen Gremien und einer großen Verbandsversammlung im VRR. Die Summe der Funktionäre liegt bei weit über 300 Personen.
Lokale Egoismen
Nur selten haben sich wie im Fall der Bogestra mehrere Städte, hier Bochum und Gelsenkirchen, zusammengetan, um gemeinsam eine Verkehrsgesellschaft zu betreiben. Doch auch hier überwiegen die lokalen Egoismen. Die Strecken von Gelsenkirchen nach Bochum sind gut ausgebaut. Von Bochum nach Castrop-Rauxel enden die Schienen im Nirgendwo hinter Bochum-Gerthe.
Der VRR als Dachverband der kommunalen Gesellschaften ist machtlos. „Jedes Unternehmen sorgt auf seinem Gebiet für Ordnung“, sagt ein Sprecher. Laut Statuten ist der VRR nur für gemeinsame Tarife und die S-Bahnen zuständig. Doch schon das sei ein Erfolg, sagt der VRR-Sprecher. „Früher gab es mehr als 30 verschiedene Tarife.“