Berlin. . Deutschlands Unternehmen schrauben angesichts der schwierigen Suche nach Lehrlingen ihre Ansprüche zunehmend nach unten. Trotzdem können Zehntausende Stellen nicht besetzt werden. Die Betriebe mutierten immer mehr zu „Nachhilfeschulen“, klagt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag.
In deutschen Firmen werden trotz sinkender Ansprüche an die Lehrlinge in diesem Jahr Zehntausende Ausbildungsplätze frei bleiben. Angesichts des anhaltenden Mangels an Bewerbern für Lehrstellen schrauben die Betriebe ihre Anforderungen an Schulabgänger zunehmend nach unten, wie aus einer am Dienstag in Berlin vorgelegten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bei mehr als 14.500 Unternehmen hervorgeht. Dennoch würden 2012 im Bereich der Kammern rund 80.000 Ausbildungsplätze nicht besetzt, nach etwa 60.000 im vergangenen Jahr.
Die im DIHK erfassten Firmen wollten im laufenden Jahr etwa 25.000 Lehrstellen mehr anbieten, sagte Verbandspräsident Hans-Heinrich Driftmann. Unter dem Strich aber werde die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge leicht sinken. Im Vorjahr waren es bei den Kammern 340.000 Lehrverträge.
Laut der DIHK-Umfrage waren vor zwei Jahren lediglich acht Prozent der Betriebe zu Zugeständnissen an die Qualität der Bewerber bereit. In diesem Jahr lag die Zahl schon doppelt so hoch. In Ostdeutschland wollten sogar 28 Prozent der Betriebe ihre Anforderungen senken, um Lehrstellen zu besetzen.
Soziale Kompetenz wird immer wichtiger
Die Firmen legten bei den Bewerbern zunehmend Wert auf einen guten Charakter statt auf glänzende Schulnoten. Vor zwei Jahren stellten nur 21 Prozent der Betriebe die soziale Kompetenz über die schulische Leistung. In diesem Jahr waren es der Umfrage zufolge schon 39 Prozent.
„Jemand, der schlecht in Mathematik ist oder Probleme in Fremdsprachen hat, kann aufgrund seiner Persönlichkeit durchaus ein guter Verkäufer sein“, sagte Driftmann. Daher sollten Schulzeugnisse mehr Informationen über die Sozialkompetenz der Jugendlichen liefern, um auch Schulabgängern mit schlechten Zensuren die Chance auf eine Lehrstelle zu geben.
Trotz aller Zugeständnisse bei den Anforderungen bleibe es bei der Klage der Unternehmen, dass zu viele Jugendliche schlichtweg nicht reif seien für eine Ausbildung, erklärte der Verbandspräsident. Drei Viertel der Betriebe gaben nach wie vor an, dass mangelnde Deutsch- und Mathematikkenntnisse oder fehlende soziale Kompetenz die Ausbildung erschwerten oder verhinderten.
Die Firmen werden dadurch dem DIHK zufolge immer mehr zu „Nachhilfeschulen“. So bot die Mehrheit der Unternehmen (57 Prozent) den Lehrlingen Möglichkeiten, ihre schulischen Wissenslücken zu füllen. Doch Defizite bei Disziplin oder Leistungsbereitschaft seien nur schwer auszugleichen, sagte Driftmann. (dapd)