Brüssel. Die EU-Energiepolitik lässt grünen Strom von der Nordsee quer durch Deutschland fließen. Doch die Gesundheitsrisiken, verursacht durch die Strahlung der Hochspannungsleitungen, bleiben im Lande. Die Schutzvorschriften sind unzureichend - auch in Deutschland.
In deutsche Steckdosen soll mehr grüner Strom fließen. Hierfür setzt das Energiekonzept der Bundesregierung vom Herbst 2010 vor allem auf Windparks in der Nordsee und Sonnenenergie aus Deutschlands Süden. Darum wird derzeit das Stromnetz umgebaut. Gut 214 Kilometer der neuen Hochspannungstrassen sind fertig. Insgesamt werden bis 2014 allerdings 1807 Kilometer Leitungen gebaut, ein großer Teil davon in NRW. So sieht es das sogenannte Energieleitungsausbaugesetz vor.
Europaweit ist der Bau von 42.100 neuen Leitungskilometern geplant – vor allem für die Nord-Süd-Verbindungen durch Deutschland und das verstärkte Netz rund um die Offshore-Windparks in der Nordsee. Der Ausbau ist zugleich Voraussetzung für das Erreichen der EU-Energieziele. Denn ein Teil des grünen Stroms soll durch Deutschland fließen und andere EU-Staaten mit regenerativer Energie versorgen. Doch die Gesundheitsrisiken, die durch die Strahlung der Hochspannungsleitungen verursacht werden, bleiben im Lande. Verbindliche EU-Regeln zum Schutz der Bevölkerung gibt es nicht, nur unzureichende Grenzwert-Empfehlungen.
In der Nähe von Stromkästen bekommen mehr Menschen Alzheimer und Blutkrebs
Alzheimer bei Älteren und Blutkrebs bei Kindern sind nach dem Stand der Forschung die Risiken für jene, die nah an Strommasten leben. Sie werden durch die Strahlung der elektromagnetischen Felder hervorgerufen. Wer näher als 50 Meter an einer Hochspannungsleitung lebt, trägt ein doppelt so hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wie die restliche Bevölkerung. Dies ergab eine Untersuchung der Universität Bern. In Schleswig-Holstein kam eine Studie des Bremer Instituts „Prävention und Sozialmedizin“ 2002 zum Ergebnis, dass Starkstromleitungen Kinderleukämie verursachen können. Weil das allerdings später durch Tierversuche nicht eindeutig bestätigt werden konnte, lautet die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Strahlung einer Hochspannungsleitung nur: „kann möglicherweise Krebs erzeugen“.
Immerhin hat die deutsche Bundesregierung vor 15 Jahren Grenzwerte eingeführt, wie viel Strahlung ein Mensch überhaupt ausgesetzt werden darf. Im Alltag betrifft dies ganz allgemein Gerätevorschriften, auch für Computerbildschirme oder Fußbodenheizungen. Für Starkstrommasten legt das Bundesimmissionsschutzgesetz fest: Wie hoch darf die Strahlung sein, die an Orten ankommt, wo sich Menschen aufhalten, also in Wohnungen, Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist skeptisch: „Unterhalb der Grenzwerte gibt es Hinweise darauf, dass niederfrequente magnetische Felder möglicherweise Leukämie bei Kindern hervorrufen können.“ Sprich: Die Grenzwerte sind womöglich nicht streng genug. Sie werden indes nicht verschärft, weil bislang nicht genügend Forschungsdaten vorliegen.
In vielen EU-Staaten gibt es keine Grenzwerte
Das gilt auch für die europäische Ebene. „Es gibt keine europäische Norm, sondern nur eine Empfehlung des EU-Gipfels“, sagt der Sprecher von EU-Gesundheitskommissar John Dalli. Was die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten 1999 beschlossen, kann jeder Staat seither nach Gutdünken umsetzen. Brüssel rüttelt daran nicht. „Unsere Experten werten ständig alle Informationen aus, um sicherzustellen, dass die Grenzwerte der Bevölkerung ein hohes Schutzniveau bieten“, sagt Dallis Sprecher. Von strengeren Empfehlungen ist bislang nicht die Rede. Erst seit 2010 fördert die EU-Kommission überhaupt Forschungsprojekte, die sich mit den potenziellen gesundheitlichen Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern befassen.
Den EU-Staaten steht also frei zu handeln, manche tun das. In Ländern wie der Tschechischen Republik, Griechenland, Luxemburg, Portugal oder Rumänien wurden die Grenzwerte gesetzlich festgeschrieben. In Frankreich gelten die Grenzen nur für neue Strommasten, oder wenn diese umgebaut werden. Einige andere EU-Staaten wie Dänemark, Polen oder die Niederlande gehen weiter. Bereits 1993 verbot Dänemark, neue Hochspannungsleitungen in der Nähe von Häusern, Schulen und Kindergärten. Doch viele EU-Staaten haben derzeit gar keine Limits festgelegt.
Auch Erdkabel sind nicht unbedenklich für Kinder
In Deutschland werden die Grenzwerte der WHO zwar eingehalten. Die Leitungen geben laut Bundesamt für Strahlenschutz in 20 Metern Entfernung nur noch etwa zehn Prozent der erlaubten Strahlung ab. Die Strommasten stehen aber zu eng, um die niedrigeren Schwellenwerte einzuhalten, die nötig wären, um Leukämie bei Kindern auszuschließen. Dazu wären „Abstände von mehreren hundert Metern“ notwendig, heißt es im Bundesamt. Das Problem kann auch nicht dadurch gelöst werden, dass man die Kabel einfach in der Erde verlegt - dadurch wird nur ein Teil der Strahlung absorbiert. So sind auch Erdkabel für Kinder nicht unbedenklich.