Essen. . Aida, der deutsche Marktführer bei den Kreuzfahrtschiffen, bringt jedes Jahr stellt jedes Jahr ein neues Schiff in Dienst. Die Kreuzfahrt-Branche hierzulande boomt. Zweistellige Wachstumsraten sind keine Seltenheit. Experten rechnen damit, dass die Katastrophe der Costa Concordia daran nichts ändert.
Es war das zweitgrößte Unglück in der Geschichte einer erfolgreichen Branche: Vor einer Woche havarierte das Kreuzfahrtschiff „Costa Concordia“, legte sich am Rande der italienischen Insel Giglio auf die Seite. Mindestens elf Menschen starben. Allerdings bezweifeln Experten, dass dadurch die ganze Branche Schlagseite bekommt.
Freitagmittag, Papenburg im Emsland: Langsam setzt sich die „Disney Fantasy“ in Bewegung. Ein Schlepper zieht den neuen Ozeanriesen aus dem Hause Meyer vom Werfthafen über die Ems bis ins niederländische Eemshaven. Hunderte Schaulustige verfolgen das Manöver. Kreuzfahrt begeistert auch an Land.
Disney Fantasy wird ins Meer geschleppt
Und auf dem Meer – immer mehr: 1,2 Millionen deutsche Kreuzfahrer waren es 2010; 19 Prozent mehr als im Vorjahr. „In Deutschland machen etwa drei bis vier Prozent aller Pauschaltouristen Urlaub auf einem Schiff“, sagt Kreuzfahrt-Experte Oliver Scholl aus Hamburg. „In den USA sind es zwölf.“ Da ist also Luft nach oben. „Wenigstens acht Prozent sind auch in Deutschland drin“, prophezeit er.
Die „Disney Fantasy“ hat ein großes Stück Ems hinter sich gelassen. Und in Dock II der Werft, wo das Schiff in gut einjähriger Arbeit zusammengeschweißt wurde, liegen bereits erste Blöcke der „Celebrity Reflection“. Aus ihnen wird bis zum Herbst ein weiteres riesiges Schiff entstehen. Bis 2015 sind die Auftragsbücher der Meyer-Werft voll. Und das, obwohl gerade ein Stammkunde abgesprungen ist.
Marktführer Aida stellt seit 2007 jedes Jahr ein neues Schiff in Dienst
Aida, Deutschlands Marktführer, stellt seit 2007 jedes Jahr ein neues Schiff in Dienst. Sieben Aufträge vergab die Reederei ins Emsland; zwei Ablieferungen stehen noch aus. Geschätzte Kosten für jedes der 2200 Passagiere fassenden Schiffe: 350 Millionen Euro. Das sind – wie in der Branche gern umgerechnet – knapp 160 000 Euro pro Bett. Im August 2011 die Überraschung: Aida lässt zwei neue Dampfer bei Mitsubishi in Japan bauen. Für die neuen, größeren Schiffe zahlt das Unternehmen nun je 455 Millionen Euro. Bei 3250 Passagieren sind das nur noch 140 000 Euro pro Bett. Der Preiskampf tobt mit aller Härte.
Geht das auf Kosten der Sicherheit? Nein, sagt Oliver Scholl. „Die Sicherheitseinrichtungen sind auf dem neuesten Stand.“ Aber: „Sie sind nur so gut wie der Mensch, der sie bedient.“ Für die einfachen Arbeiter an Bord, die meist von den Philippinen und aus Indonesien stammen und, so Scholl, für drei bis vier Euro die Stunde schuften, müsste die Ausbildung besser sein.
Die niedrigen Löhne der Hilfsarbeiter sorgen natürlich für die hohe Wirtschaftlichkeit. Scholl schätzt, dass ein Schiff mit einer Auslastung von 80 Prozent kostendeckend fährt. Michael Thamm, Präsident von Aida, erwähnt gerne, dass seine Schiffe mit einer Auslastung von über 100 Prozent fahren. Wie das geht? Etwa durch Viererbelegungen oder Beistellbetten für Kinder in Zwei-Bett-Kabinen.
Wie verdienen die Veranstalter ihr Geld?
Um solche Quoten zu erreichen, werden Kreuzfahrten kurz vor Fahrtbeginn oft zu Schleuderpreisen rausgehauen. Da ist dann schon mal eine zehntägige Kanaren-Rundfahrt für 399 Euro drin. Oder eine 14-tägige Orient-Tour für 849 Euro – letztere gar inklusive Flug! Klar, dass solche Angebote nicht die Kosten decken. Wie aber verdienen die Veranstalter dann ihr Geld?
In die Gewinnzone bringen die Passagiere eine Kreuzfahrt, wenn sie viel Geld zusätzlich ausgeben; etwa in den Bordshops, für Massagen im Spa-Bereich, für Landausflüge oder Cocktails. „Alkoholische Getränke sind oft sehr teuer“, so Scholl. „Da ist die Gewinnspanne hoch.“ 50 Euro gibt jeder Urlauber im Schnitt pro Tag aus, sagen die Reeder.
Einkaufsstraßen schmücken die Decks der Kreuzfahrtschiffe
Die „Disney Fantasy“ hat inzwischen das Ems-Sperrwerk bei Gandersum passiert. Jetzt sind es nur noch ein paar Kilometer bis Eemshaven. Von dort starten in den nächsten Tagen Probefahrten. Ob dabei jemand den „Aqua Duck“ testet? Die Wasserrutsche aus durchsichtigem Plexiglas ragt auf Deck 12 ein paar Meter über die Reling hinaus. Wer sich traut, rutscht für ein paar Sekunden 50 Meter über dem Meeresspiegel.
Schiffskonstrukteure lassen sich immer wieder was Neues einfallen. Ganze Einkaufsstraßen schmücken die Dampfer von heute, dazu Wildwasserbahnen, Eisflächen und Karussells, gigantische Arenen mit waghalsigen Stunt-Shows, Brauhäuser, in denen Bier an Bord gebraut wird. Auch Casinos sind wieder im Kommen. Von unzähligen Spezialitäten-Restaurants ganz zu schweigen. Irgendwie muss es immer ein Stück gigantischer werden.
Allerdings: Oliver Scholl glaubt, dass die Havarie der „Costa Concordia“ eine Folge haben könnte. „Das Bestreben, immer mehr Menschen auf immer größere Schiffe zu bekommen, wird wohl erstmal gebremst.“