Berlin/Essen.
Die Aussichten für die Wirtschaft in Deutschland verdüstern sich, dennoch geht die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit Forderungen von sechs bis sieben Prozent in die Tarifverhandlungen 2012. „Nachhaltige Lohnerhöhungen sind sowohl ein Gebot der Gerechtigkeit als auch ein Gebot ökonomischer Vernunft“, sagt Verdi-Chef Frank Bsirske. Deutschland brauche Binnenmarkt-Impulse durch höhere Löhne.
Tarifverhandlungen gibt es im kommenden Jahr unter anderem im Öffentlichen Dienst von Bund und Gemeinden, in der Chemie-, Metall-, und Elektroindustrie, in der papierverarbeitenden Industrie, bei den Banken und bei der Lufthansa. Verhandelt wird bereits mit der Post und der Telekom.
Höhere Löhne für die Binnenkonjunktur
Führende Wirtschaftsforschungsinstitute warnten allerdings vor weiteren Gefahren durch die Euro-Schuldenkrise. Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), Thomas Straubhaar, mahnt, die Krise sei „noch lange nicht ausgestanden“.
Auch Bsirske befürchtet einen europaweiten massiven Einbruch des Bruttoinlandsprodukts. Er fordert Kanzlerin Angela Merkel CDU) auf, die „harte Sparpolitik“ zugunsten einer wachstumsorientierten Politik zu beenden. „Wir brauchen einen neuen Kurs in Europa, sonst geraten Arbeitsplätze in Gefahr und die Wirtschaft insgesamt bricht ein.“ Mit Wachstum werde erst die Voraussetzung geschafft, um die Schulden abzubauen.
Der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen, Christoph M. Schmidt, warnt die Bundesregierung indes vor neuen Konjunkturprogrammen. Die Lage sei derzeit anders als im Jahr 2008: „Damals war die Produktion drastisch eingebrochen, jetzt droht eher eine vorübergehende Flaute.“
Schmidt sagt, die Euro-Schuldenkrise wirke kurzfristig „dämpfend auf die deutsche Konjunktur“. Denn die Finanzpolitik in vielen Ländern müsse restriktiver werden, um die Schuldenprobleme in den Griff zu bekommen. Dies belaste auch die deutschen Exporte. „Auf mittlere Sicht verbessern solide öffentliche Finanzen in Europa aber die Wachstumsbedingungen.“
Konjunktur kühlt ab
In diesem Jahr ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, trotz der Schuldenkrise um drei Prozent gewachsen. Derzeit geht die Bundesregierung von einem Wirtschaftswachstum von 1,0 Prozent im kommenden Jahr aus. Mehrere Wirtschaftsforscher haben sich bereits skeptischer gezeigt und ihre Prognosen gesenkt.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) aus Düsseldorf erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,1 Prozent. Das Münchener Ifo-Institut rechnet noch mit einem Plus von 0,4 Prozent. RWI-Präsident Schmidt geht von einer geringen Zunahme um 0,6 Prozent aus. Eine Rezession werde es jedoch aller Voraussicht nach nicht geben.