Essen. . Politiker fordern eine Staatsinsolvenz für das hoch verschuldete Griechenland. Tatsächlich kann heute keiner sagen, was für den deutschen Steuerzahler teurer käme: ein neues Rettungspaket oder eine Staatspleite.

Die Forderung, Griechenland pleite gehen zu lassen, wird derzeit auf dem politischen Parkett gehandelt wie das Gold an den Börsen – als letzter Ausweg. Viele Bürger schließen sich dieser Meinung an, wohl in dem guten Glauben, sie wären davon nicht betroffen. Tatsächlich kann heute kein Politiker und kein Ökonom sagen, was für den deutschen Steuerzahler teurer käme: ein neues Rettungspaket oder eine Staatspleite.

Wir haben versucht, mit Hilfe von Roland Döhrn, dem Konjunktur- und Europaexperten des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), die möglichen Szenarien einer Staatspleite durchzuspielen.

Wie geht eine Staatspleite?

Hier beginnt schon das Problem: Europa hat keine Insolvenzordnung für Staaten. Was Politiker wie FDP-Chef Philipp Rösler oder CSU-Chef Horst Seehofer meinen, wenn sie von einer „geordneten Insolvenz“ reden, bleibt nebulös. Ein Staat ist pleite, wenn er seine Schulden nicht mehr bezahlt. Er selbst entscheidet, wen er prellt.

„Für Gläubiger im eigenen Land käme das einer Vermögenssteuer von 100 Prozent gleich, aber das machen Staaten nicht so gern“, sagt Döhrn. Ausländische Schuldner hätten zunächst keine Möglichkeit, an ihr Geld zu kommen. Es gibt keinen Konkursrichter und auch keine Restwerte wie bei Unternehmen, die zu Geld gemacht und aufgeteilt werden könnten.

Da ein Staat anders als ein Unternehmen nicht einfach verschwinden kann, sich also irgendwann auch wieder Geld leihen muss, wird er zu Verhandlungen bereit sein. Für solche Fälle gibt es den Londoner Club, ein Zusammenschluss von rund 1000 Banken. Er führt Verhandlungen über Schuldenerlasse bei Staatspleiten. Am Ende stünde zum Beispiel die Halbierung der Schulden, für die dann aber wieder Zinsen gezahlt werden müssten.

Wo wären die deutschen Steuerzahler betroffen?

Da die meisten Privatbanken einen Großteil ihrer griechischen Schuldpapiere (Staatsanleihen) bereits der Europäischen Zentralbank (EZB) verkauft haben, wäre die Gemeinschaftsbank der Europäer am stärksten betroffen. Derzeit hält sie griechische Anleihen im Wert von 49 Milliarden Euro. „Das würde zu einem dramatischen Verlust bei der EZB führen. Die Mitgliedsstaaten müssten Kapital nachschießen, was die Bürger über ihre Steuern aufbringen müssten“, sagt Döhrn.

Eventuell müssten auch Banken gestützt werden, die immer noch viele Griechenland-Anleihen halten. Direkt bürgt der deutsche Steuerzahler bereits jetzt für griechische Anleihen im Wert von 6,3 Milliarden Euro. Sie liegen bei der Bad Bank der verstaatlichten Hypo Real Estate. Nicht zuletzt wären die bereits aus dem europäischen Rettungsschirm gezahlten 38 Milliarden Euro weg. 8,4 Milliarden stammen aus Deutschland.

Was passiert, wenn Griechenland pleite geht, aber im Euro bleibt?

„Staatspleiten gab es schon viele, aber es wäre das erste Mal, dass ein Land einer Währungsunion in Konkurs geht“, sagt RWI-Experte Döhrn. Banken müssten ihre Griechenland-Papiere abschreiben und wären womöglich gezwungen, weniger Kredite zu vergeben. Für Griechenland bedeutet die Pleite zunächst, dass es von allen Ratingagenturen als zahlungsunfähig eingestuft und keine neuen Kredite mehr erhalten würde.

In beiden Fällen, ob die Griechen im Euro bleiben oder zur Drachme zurückkehren, bestünde die Gefahr eines Dominoeffekts: Anleger, die bisher nicht geglaubt haben, dass die EU ein Euroland pleite gehen lassen würde, dürften auch gegenüber anderen Schuldenstaaten wie Portugal und Italien skeptisch werden. Sie würden ihnen nur noch gegen sehr hohe Zinsen Geld leihen und damit die Schuldenspirale beschleunigen. Ebenfalls in beiden Fällen wären griechische Banken, die zu den größten Gläubigern ihres Staates gehören, pleite.

Was passiert, wenn die Griechen zur Drachme zurückkehren und pleite gehen?

Das hätte vor allem für die Griechen selbst Vor- und Nachteile. Der größte Vorteil wäre, dass sie ihre eigene Währung nach Belieben abwerten könnten. Dadurch würden Exportwaren und Ferien in Griechenland günstiger, was die Wirtschaft ankurbeln könnte. Dieser Vorteil ist nicht zu unterschätzen, da die aktuellen Sparpakete die Rezession enorm verschärft haben.

Doch die Nachteile wären ebenfalls enorm. Da Griechenland seinen Gläubigern nach wie vor Euro schulden würde, macht eine schwache eigene Währung die Rückzahlung noch teurer. Es würde länger dauern als im Euro, bis die Griechen sich wieder frisches Geld zu erträglichen Zinsen leihen können. Für die Griechen würden zudem ausländische Waren unerschwinglich.

Durch die Einführung der Drachme würde mithin dem Land eine hohe Inflation drohen. Die wiederum würde die Binnenkonjunktur abwürgen.