Straßburg. . Die EU mischt sich in die Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten ein: Erstmals macht Brüssel ihnen maßgeschneiderte wirtschaftspolitische Vorgaben, wie sie die Krise meistern. In Deutschland blickt die EU mit Sorge auf den Fachkräftemangel.

Deutschland muss aus EU-Sicht dafür sorgen, dass mehr Frauen und ältere Menschen arbeiten. Dazu seien unter anderem mehr Kindertagesstätten nötig, sagte EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn am Dienstag in Straßburg. Er und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso machten den 27 EU-Ländern erstmals wirtschaftspolitische Vorgaben. Sie sind Teil einer stärkeren Koordinierung der Mitgliedsstaaten.

Jeder Staat bekam dabei auf ihn zugeschnittene Empfehlungen, wie er die Folgen der Krise überwinden und seine Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen kann. Das soll in der gesamten EU für Solidität und Leistungsfähigkeit sorgen. Im Sommer sollen sich die Regierungen die Vorgaben offiziell zu eigen machen und sie anschließend bei den Haushalten für 2012 und wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen einhalten. Ein Land kann aber nicht bestraft werden, wenn es die EU-Vorgaben ignoriert.

Integration von Migranten

Deutschland überstand die Krise zwar besser als viele andere europäische Staaten, hat aber aus EU-Sicht Schwachstellen. Berlin müsse auch dafür sorgen, dass mehr Menschen mit ausländischen Wurzeln eine Arbeit finden, schreiben die Fachleute der EU-Kommission. Die Bundesrepublik könne nur im weltweiten Wettbewerb mithalten, wenn sie genug gut ausgebildete Arbeitskräfte habe. Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, müssten mehr Menschen höher qualifiziert werden. Daher seien weitere Bildungsreformen nötig.

Weitere Brüsseler Ermahnungen gelten der Bankenbranche, deren Krisenfestigkeit noch nicht ausreiche. Die Hypo Real Estate (HRE) hatte nur überlebt, weil sie zwangsverstaatlicht wurde. Auch die Commerzbank geriet in der Weltfinanzkrise ins Taumeln; der Staat musste ihr beispringen. Mit Sorge sieht Brüssel die Lage einiger Landesbanken wie der WestLB, die sich in der Finanzkrise spekuliert hatten.

Schuldenabbau im Fokus

Generell fordert die EU-Kommission Deutschland und die anderen europäischen Staaten auf, Schulden abzubauen und ihre Ausgaben in den Griff zu bekommen: „Jeder Euro, mit dem Kreditzinsen abgezahlt werden, ist ein Euro weniger, der in Bildung, Forschung und Infrastruktur fließen kann.“

Fünf europäische Länder erhielten keine detaillierten Vorgaben, weil sie ohnehin am Gängelband von Geldgebern laufen. Das sind zum einen die drei Euro-Staaten Griechenland, Irland und Portugal. Sie bekommen europäische Notkredite, die an strenge Spar- und Reform-Auflagen geknüpft sind. Auch Lettland und Rumänien, die eigene Währungen haben, erhalten Finanzhilfe von der EU und dem Internationalen Währungsfonds IWF, die an ähnliche Bedingungen gebunden sind.

Die EU-Kommission stützt ihre „Empfehlungen“ auf wirtschaftspolitische Grundlinien, auf die sich die Staaten geeinigt hatten. Sie prüft, ob die Staaten die Vorgaben erfüllen, kann aber bei Missachtung keine Strafen verhängen. Öffentlicher Druck soll dafür sorgen, dass die Leitlinien dennoch beherzigt werden.