Essen/Berlin. . Ob Sommerhitze oder Winterchaos - irgendetwas ist immer, warum die Bahn zu spät kommt. In NRW kommt jeder dritte Fernzug unpünktlich. Aber auch im Regionalverkehr hakt es gewaltig.
Die tagtäglichen Erfahrungen vieler Fahrgäste liefert die Stiftung Warentest jetzt Schwarz auf Weiß: Wer mit der Bahn unterwegs ist, muss häufig mit Verspätungen rechnen. Ob Hitzepannen, technische Probleme, Laub oder Eis auf den Schienen - irgendwas bremst immer die Bahn. Die Stiftung Warentest hat dafür zwischen Juli 2010 und Februar 2011 über 1,3 Millionen Zugankünfte an 20 großen Bahnhöfen in Deutschland untersucht.
Vor allem die Fernzüge des staatseigenen Unternehmens sind unpünktlich. Nach der Untersuchung kommt jeder dritte IC oder ICE zu spät an. Mehr Verlass ist zwar auf die Regionalzüge, die im Schnitt nur halb so oft verspätet sind. Aber auch im Regionalverkehr hakt es häufig.
Immerhin 10 Prozent der Regionalbahnen und 18 Prozent der RE-Züge sind laut Stiftung Warentest bundesweit mit Verspätungen unterwegs. Das Ruhrgebiet gehört dabei mit zu den Spitzenreitern. Am untersuchten Dortmunder Hauptbahnhof waren 16 Prozent der Regionalverkehrszüge mindestens sechs Minuten zu spät dran. Zum Vergleich: In Saarbrücken sind es 7 Prozent, in Freiburg 9 Prozent gewesen. Nur im Osten Deutschlands fahren die Regionalzüge oft noch unpünktlicher. Erfurt ist mit 20 Prozent der bundesweite Spitzenreiter.
RE1 ist der unpünktlichste Nahverkehrszug im VRR
Vor allem auf den Regional-Express-Linien im Ruhrgebiet holpert es. Zu diesem Ergebnis kam ebenfalls der Qualitätsbericht des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR). Nur jeder vierte RE im VRR-Gebiet fuhr 2010 auf die Minute.
Besonders der RE1, der auch durch den von der Stiftung Warentest untersuchten Bahnhof Dortmund führt und der RE 7 fielen in dem VRR-Bericht negativ auf. Vergangenes Jahr kam jeder RE 1 mit durchschnittlich 3,5 Minuten Verspätung an. Dabei hat jeder fünfte RE1 sogar mindestens fünf Minuten, jeder zehnte mehr als zehn Minuten Verspätung. Die pünktlichste Bahn im VRR-Gebiet ist übrigens die Regionalbahn 36 von Oberhausen nach Duisburg-Ruhrort. 90 Prozent der RB-36-Bahnen fuhren 2010 minutengenau.
Viele Kunden - gerade auf den vielbefahrenen Strecken, wie dem RE1 - haben sich an die Verspätungen gewöhnt und sind offenbar abgestumpft. „Wegen fünf oder zehn Minuten beschwert sich heute niemand mehr“, sagt Sara Zühlsdorff, Leiterin der Schlichtungsstelle Nahverkehr in NRW.
Das Thema Pünktlichkeit bei der Bahn ist dennoch eines der Hauptthemen, mit der sich die Schlichtungsstelle beschäftigt. Zwar sind die Entschädigungen bei Verspätungen in den Fahrgastrechten geregelt, allerdings muss die Bahn erst nach 60 Minuten Verspätung zahlen. Im Nahverkehr spielt das jedoch kaum eine Rolle, meint Sara Zühlsdorff. Hier pendeln sich die Verspätungen zwischen fünf und 30 Minuten ein.
Fahrgäste stumpfen ab
In NRW haben die Bahnkunden seit vergangenem Jahr deshalb etwas mehr Rechte auf Entschädigung. Hier gilt seither eine Mobilitätsgarantie, die Reisenden schon nach 20 Minuten Verspätung Entschädigungen zubilligt. Am Ende sind die Fahrgäste aber oft auf die Kulanz des Verkehrsbetriebes angewiesen, weiß Sara Zühlsdorff von der Schlichtungsstelle.
Schlimmer als im Regionalverkehr trifft es jedoch Bahnfahrer, die mit Fernzügen der Deutschen Bahn unterwegs sind. Der Anteil der Verspätungen von Fernzügen war laut Stiftung Warentest in Erfurt mit 43 Prozent wiederum am höchsten, gefolgt von Leipzig mit 39 Prozent, Hamburg mit 38 Prozent und Berlin und Köln mit jeweils 37 Prozent. In München und in Kassel-Wilhelmshöhe lag der Anteil der Fernzüge mit Verspätungen ab sechs Minuten bei jeweils 34 Prozent. In Dortmund waren es 32 Prozent.
Warum sich die Bahn im Regionalverkehr um mehr Pünktlichkeit bemüht, hat offenbar auch finanzielle Gründe. Auf den Nahverkehrsstrecken fährt sie im Auftrag von Verkehrsverbünden wie dem VRR. Bei Verspätungen muss sie Strafen zahlen. Die Kehrseite: Die Regionalzüge warten häufig nicht mehr auf Anschlussreisende, so verpassen viele Kunden ihre Anschlusszüge, bemängelt die Stiftung Warentest.
Bahn hält an 90-Prozent-Quote fest
Die Bahn dagegen bleibt bei ihrer ausgegebenen Pünktlichkeitsquote von mehr als 90 Prozent im Personennahverkehr. „Die Stiftung Warentest hat Durchschnittswerte für Pünktlichkeit ermittelt“, sagte ein Sprecher der Bahn. Dabei seien die Streiktage und der harte Winter 2010 völlig außer Acht gelassen worden. Die Studie verkenne, dass an den meisten Tagen die Pünktlichkeit wesentlich besser gewesen sei.
Stiftung Warentest hatte die Verspätung über die Zugauskunft auf der Webseite der Deutschen Bahn ermittelt. Solche Einzelbetrachtungen erweckten aber einen falschen Eindruck, sagte der Bahnsprecher. Die Pünktlichkeit unterläge großen saisonalen und regionalen Schwankungen. Der Fahrgastverband Pro Bahn hält den Bericht dagegen für repräsentativ. Wahrscheinlich müsse man die Zahlen sogar weiter nach oben korrigieren. „Die Verspätungen auf der Internetseite der Bahn werden oft geringer ausgewiesen, als sie in Wirklichkeit sind“, kritisierte Pro-Bahn-Chef Karl-Peter Naumann.
Sparkurs der Bahn
Insbesondere das Spardiktat der Bahn ist nach Ansicht von VRR und Stiftung Warentest die Ursache für die Pünktlichkeitsprobleme. Der VRR hatte unter anderem beklagt, dass die Bahn schlecht auf Witterungsverhältnisse im Herbst und Winter 2010 vorbereitet gewesen sei. „Wenn aus Spargründen die Vorsorge für sie Infrastruktur zu kurz kommt, haben darunter (...) insbesondere die Fahrgäste zu leiden“, schimpfte der VRR-Vorstandschef Martin Hussmann. Die Stiftung Warentest resümiert: „Das Bahnnetz braucht Investitionen, damit Engpässe und störanfällige Technik beseitigt werden können.“
Pro Bahn gibt indes der Politik eine Mitschuld. „Die Probleme sind teilweise hausgemacht“, so Pro-Bahn-Sprecher Matthias Oomen. Die Politik investiere jedes Jahr eine Milliarde Euro zu wenig in den Ausbau und die Pflege des Schienennetzes. Die Bahn sei damit auch „Opfer falscher Verkehrspolitik“. (mit dapd)