Wageningen. . Die Zukunft der Windenergie liegt im Wasser. Doch wie kommen die Riesenwindmühlen auf hohe See? Der Essener Energieversorger RWE hat sich dafür jetzt zweiSpezialschiffe geordert. Die schwimmenden Werkbänke kosten Millionen.
Früher waren es Grubenpferde, die in den Kohlezechen tonnenschwere Lasten bewegten. Im neuen Energiezeitalter gibt es andere Helferlein: Der Energieversorger RWE hat in Südkorea zwei Spezialschiffe im Wert von je 100 Millionen Euro bauen lassen. Die schwimmenden Werkbänke – halb Schiff, halb Konstruktionsplattform, sollen weit vor den Meeresküsten die Offshore-Windparks aufbauen. Unternehmen Meeresstrom: Eine Milliardenbranche sticht in See.
Irgendwer hat den Wind angemacht. Im Maritime Research Institute Netherlands (Marin) in Wageningen bei Arnheim, das zu den weltweit führenden Schiffbau-Versuchsanstalten zählt, kommt Leben ins riesige Testbassin. Auf und nieder gehen die Wogen, heben das 6,5 Meter lange, tonnenschwere Modell des neuen RWE-Schiffes, als wäre es ein Spielzeug. Techniker überprüfen hier das Strömungsverhalten des Schiffes, steuern die Schubpropeller, die das Modell zentimetergenau über eine Stelle am Beckenboden halten sollen. Echte Frickelarbeit ist das. Und so gibt der Wellenritt im Maßstab 1:15 einen Vorgeschmack darauf, was den Ingenieuren draußen blüht: Nordsee ist Mordsee.
Bis 2030 etwa 24.000 Windenergieanlagen
Immer größere Anlagen entstehen 100 Kilometer weit vor den Küsten Europas. Die Energieriesen werden bis 2030 Investitionen von über 200 Milliarden Euro in Hochsee-Windparks tätigen, schätzt die EU-Kommission. Schon bis Ende dieses Jahrzehnts, so sagt es der Europäische Windverband EWEA voraus, sollen über 43 Gigawatt Leistung im Meer installiert sein – das ist ein Viertel dessen, was die Atomkraftwerke Europas leisten. Branchenstudien gehen davon aus, dass bis 2030 etwa 24 000 Windenergieanlagen errichtet werden könnten, eine jede über 100 Meter hoch.
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Auch an Land herrscht Aufbruchstimmung. Alleine bis 2020 bräuchten die Anlagenbauer über drei Millionen Tonnen Stahl, schätzt der Windverband. Schiffbau, die Vercharterung von Spezialschiffen und die Hafenlogistik sollen neue Arbeitsplätze an die Küstenstandorte bringen. Langfristig könnte das Offshore-Geschäft der deutschen Windenergiebranche 60 00 zusätzliche Stellen bescheren, sagen Experten.
Das RWE-Tochterunternehmen Innogy schwimmt mit auf dieser Woge. Im Herbst wird das erste Konstruktionsschiff in Bremerhaven erwartet – huckepack auf einem riesigen Schiff aus Südkorea. Dort wurde es in der Werft von Daewoo Shipbuilding & Marine Engineering (DSME) gebaut.
Von Bremerhaven aus geht es an die Errichtung des RWE-Windparks Nordsee Ost, der rund 33 Kilometer nordöstlich von Helgoland liegt. Ab 2013 könnte er den Strombedarf von 295 000 Haushalten decken, hofft das Unternehmen. Das zweite RWE-Schiff soll vier Wochen später in der Liverpool Bay vor Wales eintreffen. In der ruppigen irischen See baut Innogy den Windpark Gwynt y Mor (Wind im Meer): 576 Megawatt, 160 Turbinen, einer der weltweit größten im Bau befindlichen Parks. 2014 ist die Fertigstellung geplant.
Für den Bau der riesigen Windfarmen benötigt die Branche dringend Spezialschiffe, die bei Wind und Wetter die Anlagen zentimetergenau auf ihren Platz setzen. Rund ein Dutzend Schiffe im Wert von 1,5 Milliarden Euro sind aktuell bei Werften im Auftrag, darunter auch ein Hubschiff von Hochtief. Bauen ist die bessere Option, sagen Strategen. Eine Konstruktions-Plattform samt Crew kostet bis zu 300 000 Euro pro Tag. Die wenigen verfügbaren Charterschiffe aber sind chronisch ausgebucht. „Wer ein solches Schiff chartern will, muss bis zu zwei Jahre warten“, sagt Hans Kahle, Geschäftsführer der Innogy-Tochter Offshore Logistik Company (OLC). Das neugegründete Unternehmen betreibt und steuert von der Basis Bremerhaven aus den Einsatz der neuen RWE-Schiffe.
Halb Schiff, halb Plattform
Vier Jahre Gehirnschmalz stecken in der Entwicklung des RWE-Spezialschiffes. „Wir reden nicht von einem Schiff, wir reden von einer Maschine“, sagt Michael Neumaier, technischer Geschäftsführer bei OLC. 100 Meter lang, 40 Meter breit und acht Meter hoch ist seine Spezialanfertigung. Es ist ein Zwitterwesen: halb Schiff, halb Plattform.
Die 78 Meter langen Stahlsäulen (Jack-up legs) können liftartig auf den Meeresgrund fahren, das Schiff aus dem Wasser hieven und es so zur Bauplattform machen. Die hydraulischen Zylinder stemmen bis zu 15 000 Tonnen mit einer Geschwindigkeit von 70 Zentimetern aus dem Meer. Bei diesem Vorgang muss das Schiff präzise seine Position halten. „Das ist der kritische Moment“, sagt Neumaier. Satelliten im All und Computer an Bord steuern die Schubpropeller. Dynamisches-Positionier-System (DPS) heißt die Technik.
Von Bremerhaven aus wird das Schiff die bis zu 900 Tonnen schweren Fundamente, die Maschinenhäuser, Turmsegmente und Propellerflügel hinaus in das Windrevier schleppen. In einer Wassertiefe von über 40 Meter Tiefe sollen die Meeres-Kraftwerke errichtet werden –selbst bei fünf Meter hohen Wellen und Windstärke 7, hoffen die Ingenieure. 14 Tage ist das Schiff ununterbrochen im Einsatz. Zwei Schichten mit je 25 Mann sind als nautische Besatzung an Bord. Hinzu kommen 60 bis 80 Ingenieure und Monteure. Gemeinsam absolvieren sie Tauchübungen, simuliert Rettungseinsätze nach Hubschrauberabstürzen oder schulen das Überleben im Wasser. Raue See, harte Kerle, sagt Hans Kahle.