Bochum. Der neue ThyssenKrupp-Chef heißt Heinrich Hiesinger. Ehemals Vorstand von Siemens, zieht der 50-jährige Manager für seine neue Position aus dem schicken München mitten ins Ruhrgebiet. Die Berufung des Elektrotechnik-Ingenieurs gilt als Signal für eine Neuorientierung des Stahlriesen.
Von der Schicki-Micki-Metropole München ins graue Essen, vom reichen Technikkonzern Siemens zum hochverschuldeten Stahlriesen ThyssenKrupp: Welten trennen den alten Arbeitsplatz von Heinrich Hiesinger als Siemens-Vorstand von seinem neuen Wirkungskreis als Chef des größten deutschen Stahlproduzenten. Als ThyssenKrupp-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme im Mai vergangenen Jahres den Nachfolger des langjährigen Konzernchefs Ekkehard Schulz präsentierte, war die Überraschung groß. Die Berufung des Elektrotechnik-Ingenieurs gilt als Signal für eine Neuorientierung des Stahlriesen.
Denn Hiesinger hatte zuvor keine Verbindung zur Stahlindustrie. Der Bauernsohn aus dem nordwürttembergischen Bopfingen ist ein echtes Siemens-Gewächs. Beim dem Münchener Konzern arbeitete er sich seit 1992 Stück für Stück nach oben und war zuletzt Vorstandschef der Industriesparte - verantwortlich für 34 Milliarden Euro Umsatz und fast drei Milliarden Euro Gewinn. Doch war ihm ein weiterer Karriereschritt in München nach dem Amtsantritt des nur wenig älteren Siemens-Chefs Peter Löscher wohl verbaut - und das machte den Wechsel nach Essen in den Augen des begeisterten Motorradfahrers sicherlich attraktiv.
Der 50-jährige Manager hat sich denn auch mit großem Engagement in die neue Aufgabe hineingeworfen. Die Monate vor seinem Amtsantritt nutzte er bereits, um das Essener Traditionsunternehmen kennenlernen. Er besuchte Standorten in Europa, Asien, Nordamerika und Brasilien und verschaffte sich aus erster Hand einen Überblick über die Situation.
„Weiterentwicklung ohne Bruch“
Die Berufung des Ingenieurs gilt als Signal, dass ThyssenKrupp in Zukunft mehr Augenmerk auf sein industrielles Standbein richten wird. Zuletzt hatte der Konzern durch den Neubau von Stahlwerken in Brasilien und den USA vor allem seine Stahlsparte gestärkt. Weil dabei die Kosten dramatisch aus dem Ruder liefen, kamen nach Ansicht von Branchenbeobachtern die anderen Konzernsparten zu kurz. Dabei produziert nicht nur Stahl, er baut auch schlüsselfertige Zement- und Düngemittelfabriken, ist einer der weltgrößten Aufzugbauer und ein wichtiger Zulieferer der Autoindustrie.
Die einseitige Stärkung der Stahlsparte ist für den Konzern nicht unproblematisch, da sich diese Branche in der Vergangenheit als besonders konjunkturanfälllig erwiesen hat. Sie glänzt in Boomzeiten mit hohen Gewinnen, kann aber in Krisenzeiten auch schnell Milliardenverluste produzieren.
Eine vorrangige Aufgabe des neuen Konzernchefs Heinrich Hiesinger wird es deshalb sein. Die Technik-Sparten des Konzerns zu stärken und so für mehr Ausgeglichenheit im Konzern-Portfolio und eine geringere Konjunkturanfälligkeit zu sorgen - auch wenn die leeren Kassen große Sprünge nicht zulassen. So setzt der Manager nach eigenen Worten auf eine „Weiterentwicklung ohne Bruch“. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt für Thyssen-Krupp betonte Hiesinger: „Stahl wird ein starkes Standbein bleiben.“ Denn nach den Milliardeninvestitionen der vergangenen Jahre müssten nun auch die damit verbundenen Wertsteigerungen realisiert werden. Doch würden die Technik-Sparten an Bedeutung gewinnen. Zu Details seiner Pläne äußerte sich der Manager allerdings nicht. Erst in einigen Monaten dürfte er seine Strategie vorstellen. (dapd)