Essen. Die Arktis erwärmt sich schneller als der Rest der Erde. Forscher haben simuliert, wie sie im Jahr 2100 aussieht. Sie ist nicht wiederzuerkennen.

Eigentlich hätten die Staaten der Welt bis vor wenigen Tagen bei den Vereinten Nationen konkrete Pläne einreichen müssen, welche Klimaschutzziele sie innerhalb der nächsten zehn Jahre erreichen wollen. So sehen es die vereinbarten Regeln des Klimaschutzabkommen von Paris vor. Der Grundgedanke bei dem ersten weltweit verbindlichen Klimaschutzvertrag: Anstatt die Länder zu der Erfüllung von einheitlichen Vorgaben zu zwingen, können die Staaten selbst festlegen, welche Beiträge sie zum Klimaschutz leisten wollen und können. Oder anders: Basis der Zusammenarbeit ist Vertrauen.

Am 10. Februar endete die Frist. Die allermeisten Nationen ließen sie verstreichen.

Donald Trump steigt aus: US-Klimaplan ist Makulatur

Offiziell, so berichtet es das in Bonn ansässige UN-Klimasekretariat, haben von 192 Vertragsstaaten aktuell gerade einmal knapp mehr als ein Dutzend Nationen ihre Klimaschutzbeiträge eingereicht. Großbritannien war das erste Land, das voranschritt. Abgegeben haben auch die USA: Ex-Präsident Joe Biden war es, der kurz vor dem Ende seiner Amtszeit den US-Plan hinterlegt hat. Mit dem angestrebten Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaabkommen unter Präsident Donald Trump ist er nun Makulatur.

Das Fachportal „Carbon Brief“ hat ausgerechnet, dass die Länder, die ihrer Pflicht nicht nachgekommen sind, für mehr als 80 Prozent der weltweiten Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase verantwortlich sind. Neben China und Indien gehören auch die EU und damit auch Deutschland zu den säumigen Klimasündern.

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Dabei reichen schon die bisherigen Klimaschutzversprechen bei weitem nicht aus, um den Anstieg der globalen Erwärmung auf ein Maß zu begrenzen, das die Wissenschaft aller Voraussicht nach für noch beherrschbar hält: Selbst, wenn alle Länder ihre bislang eingereichten Klimaschutzversprechen einhalten würden, werde sich die Erde bis zum Jahr 2100 wahrscheinlich um 2,7 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmen, so das UN-Klimasekretariat. Stand der Forschung ist, dass schon ab einem Anstieg um 1,5 Grad Celsius eine Kaskade von Kipppunkten ausgelöst werden könnte, die das globale Klimasystem unumkehrbar verändern würde.

Studie: Was wird aus der Arktis, wenn es 2,7 Grad wärmer ist?

Wie aber würde die Welt aussehen, wenn sie in die Heißzeit eingetreten ist? Was etwa wird aus der Arktis, wenn der Planet erdgeschichtlich gesehen im innerhalb eines Wimpernschlags um 2,7 Grad wärmer wird? Eine Studie von Klimaforschern und Polarexperten, die im Fachjournal „Science“ erschienen ist, zeichnet nun das drastische Bild eines Nordpolargebietes, das in 75 Jahren kaum noch wiederzuerkennen wäre.

Sonntag, 2. Februar 2025: Die Temperatur am Nordpol liegt über dem Gefrierpunkt – mitten im arktischen Winter. Die Messdaten, die von einem schnelleren Anstieg der Erderwärmung zeugen, lösen bei den Autoren tiefe Besorgnis aus: „Unsere Ergebnisse machen deutlich, dass der Mensch schon heute die Macht hat, ganze Landschaften von der Oberfläche unseres Planeten zu tilgen“, kommentiert Polarexperte und Mitautor Prof. Dirk Notz von der Universität Hamburg.

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Gemeinsam mit der US-Forscherin Prof. Dr. Julienne Stroeve vom National Snow and Ice Data Center in Colorado hat Notz die möglichen Folgen einer ungebremsten Erwärmung untersucht – vom schwindenden Meereis über schmelzende Gletscher bis hin zu tauenden Permafrostböden. Das Ergebnis: Ganze Landschaften könnten am Ende des Jahrhunderts verschwunden sein. Bei einer Erwärmung von 2,7 Grad Celsius werde demnach das jetzt noch von Meereis bedeckte Nordpolarmeer im Sommer monatelang eisfrei sein. Ein beispielloser Zustand in der modernen Menschheitsgeschichte sei das, merkt Notz an. Längere Zeit eisfrei war die Arktis zuletzt vor rund 130.000 Jahren, so der Polarexperte.

Forscher füttern Klimamodelle mit Satellitendaten

Die schmelzenden Gletscher in Grönland würden laut Studie 20 Zentimeter zum Anstieg des globalen Meeresspiegels beitragen. An Land werde der Permafrostboden zunehmend tauen, mit weitreichenden Folgen: Zum einen werde zusätzliches CO2 freigesetzt, was den Klimawandel weiter beschleunige. Zum anderen würden Böden für Häuser, Straßen und Brücken instabil.

Tauender Permafrost in Arktis-Regionen
Tauender Permafrost in den Böden wird in den Polarregionen zum Problem. Das Bild zeigt eine Hütte, die am kanadischen Mackenzie-Flussdelta zerstört wurde. © Uni Wien/DPA | Angus Alunik

Für ihre Studie kombinierten die Forscher die Simulationen von Klimamodellen mit Messdaten von Satelliten. Dabei konzentrierten sie sich auf drei Bereiche der arktischen Umwelt: das arktische Meereis, den Grönländischen Eisschild und den arktischen Permafrost. Für diese drei Bereiche zeichneten sie die Entwicklung von der vorindustriellen Zeit über den heutigen Zustand bis hin zu einem Szenario für das Jahr 2100 mit 2,7 Grad Celsius weltweiter Temperaturerhöhung nach.

Geht die Erderwärmung ungebremst weiter, sehen die Forscher zum Ende des Jahrhunderts zusammengefasst folgende Auswirkungen auf die Arktis:

  • Die Lufttemperaturen werden vermutlich an jedem Tag des Jahres die vorindustriellen Temperaturextreme übersteigen
  • Der Arktische Ozean wird jeden Sommer für mehrere Monate frei von Meereis sein
  • Die Fläche des Grönländischen Eisschilds, die mehr als einen Monat lang Oberflächentemperaturen über null Grad Celsius aufweist, wird sich im Vergleich zu vorindustriellen Bedingungen vervierfachen. Das wird zu einem schnelleren Anstieg des globalen Meeresspiegels führen
  • Der oberflächennahe Permafrost wird im Vergleich zum vorindustriellen Niveau um 50 Prozent zurückgehen.

In 75 Jahren: Ökosystem Arktis bis zur Unkenntlichkeit verändert

„Unsere Analyse zeigt deutlich, dass bei einer globalen Erwärmung von 2,7 Grad Celsius die Arktis, wie wir sie heute kennen, bis zur Unkenntlichkeit verändert wird“, schreiben die Wissenschaftler. Die Folgen dieser Entwicklungen seien drastisch, sowohl für das Ökosystem Arktis als auch für die dort lebenden Menschen.

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Arktische Fische und Plankton seien nicht an das Leben im wärmeren Wasser angepasst, die entsprechenden Bestände würden voraussichtlich schrumpfen. Ebenso bedroht bis hin zum möglichen regionalen Aussterben seien Eisbären und manche Seevogelarten.

Das Schmelzen des Meereises werde zudem Jagd- und Transportwege für indigene Gemeinschaften zerstören. Ferner erhöhe der Anstieg des Meeresspiegels das Risiko für Küstenerosion, Überflutungen und den Salzwassereintrag in Süßwasserreservoirs.

Prof. Dirk Notz, Polar-Experte vom Exzellenzcluster CLICCS an der Universität Hamburg

„Die Arktis ist nur ein Beispiel, tatsächlich liegt die Zukunft des gesamten Planeten in unseren Händen.“

Prof. Dirk Notz, Polarexperte der Uni Hamburg

Hauptautorin Julienne Stroeve, die am US-amerikanischen National Snow and Ice Data Center (NSIDC) und an der kanadischen Universität Manitoba forscht, fasst zusammen: „Die Arktis erwärmt sich viermal schneller als der Rest des Planeten. Bei einer globalen Erwärmung von 2,7 Grad Celsius werden wir in dieser Region extremere und kaskadenartigere Auswirkungen erleben als anderswo, darunter Meereis-freie arktische Sommer, ein beschleunigtes Abschmelzen des Grönländischen Eisschilds, einen weit verbreiteten Verlust von Permafrost und extremere Lufttemperaturen.“ Diese Veränderungen würden Infrastrukturen, Ökosysteme, gefährdete Gemeinschaften und die Tierwelt zerstören.

„Wir haben noch nicht einmal das extremste Szenario untersucht. 2,7 Grad Erwärmung bekommen wir, wenn alle Staaten ihre vereinbarten Klimaziele erfüllen – was nicht garantiert ist“, ergänzt Notz. „Wir verändern den Planeten radikal und sollten uns unserer Macht und Verantwortung deutlich bewusst sein. Die Arktis ist nur ein Beispiel, tatsächlich liegt die Zukunft des gesamten Planeten in unseren Händen.“

Das ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung.

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