Essen. Die Raffinerie in Gelsenkirchen ist vorerst nicht gefährdet. Doch wenn ein Weltkonzern das Weite sucht, muss das Land und Stadt alarmieren.

Die Nachricht, dass der Mineralöl-Multi BP kein Interesse mehr daran hat, in Gelsenkirchen Benzin und Diesel zu produzieren, ist keine gute für den Industriestandort Ruhrgebiet. Nein, durch den beabsichtigten Verkauf ist die Raffinerie mit ihren rund 2000 Arbeitsplätzen nicht akut gefährdet. Doch wenn ein Konzern sich von einem nach eigenen Angaben „nicht wettbewerbsfähigen“ Standort trennt, kommt selten ein weißer Ritter, der zu viel Geld übrig hat.

Eher wird er versuchen, die Kosten weiter zu senken. Und da der Einfluss auf Energiepreise und Klimaabgaben begrenzt ist, wird meist am Personal gespart. Davor schrecken auch arabische Investmentfonds nicht zurück, die in der Tat genug Geld haben und aus strategischen Gründen seit Jahren in Deutschland und Europa auf großer Einkaufstour sind. Nun hat BP in Gelsenkirchen bereits die Schließung von Anlagen und die Streichung von Hunderten Stellen auf den Weg gebracht. Ob das dem neuen Eigentümer reicht, muss sich zeigen.

Thyssenkrupp, Evonik, BP: Die drei großen Industriezentren stehen unter Druck

Die Bedeutung des Raffineriekomplexes für das Ruhrgebiet ist immens: Nach der Stahlstadt im Duisburger Norden und dem Chemiepark Marl sind die Ruhr-Oel-Anlagen mit der größte Industriestandort im Revier. Alle drei Industriezentren stehen unter Druck: Thyssenkrupp Steel kämpft seit Jahren ums Überleben, 11.000 der 27.000 Beschäftigten sollen das Unternehmen verlassen. Der Essener Evonik-Konzern steht zum Chemiepark Marl, kämpft aber selbst zum ersten Mal seit seiner Gründung 2007 mit einer Nachfragekrise und will sich von 7000 Beschäftigten trennen. Nun sucht die Besitzerin der Raffinerien in Gelsenkirchen das Weite.

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Ein Statement gegen Gelsenkirchen und Ruhrgebiet war es bereits, dass BP seine Zukunftsprojekte für Wasserstoff und Biokraftstoffe lieber in Niedersachsen umsetzt. Der Plan des Ruhrgebiets, Pilotregion für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft zu werden, hat BP offensichtlich so gar nicht überzeugt.

Das Ruhrgebiet kämpft wie vielleicht keine andere Region in Deutschland um seine Industrie. Nicht, weil sie so stark wäre, sondern weil schon jetzt nur noch Überreste da sind. Denn das, woraus das Revier mit seinen fünf Millionen Einwohnern einst entstanden ist, prägt die Geschichtsbücher längst mehr als die heutige Realität. Selbst in NRW mit seinen vielen ländlichen Gebieten ist das Ruhrgebiet inzwischen eine Region mit einem unterdurchschnittlichen Anteil von Industriearbeitsplätzen.

Tausende Industriearbeitsplätze sind weg und viele weitere bedroht

Allein im letzten Jahr verschwanden 3000 weitere Stellen im produzierenden Gewerbe zwischen Duisburg und Dortmund. Die angekündigten Einschnitte etwa bei Thyssenkrupp kommen demnächst hinzu. Und die betroffenen Städte wissen: An jedem Industriearbeitsplatz hängen weitere bei den Zulieferern, im Handel und der Gastronomie rund um die Standorte. Die Deindustrialisierung sei in vollem Gange, warnen die Industrie- und Handelskammern in ihrem jüngsten Ruhrlagebericht.

Die Aufgaben der Politik sind klar und vielfach adressiert: Die Energiepreise in Deutschland müssen runter, um im Standort-Wettbewerb mit anderen Industrieländern mithalten zu können. Steuersenkungen, wie sie mehrere Parteien im Wahlkampf gerade fordern, kämen den Unternehmen ebenfalls mehr als gelegen. Wenn aber der Weltkonzern BP für sein Zukunftsgeschäft in Sachen Raffinerien Niedersachsen dem Ruhrgebiet vorzieht, müssen sich auch die Landesregierung und die Rathäuser in Gelsenkirchen und Umgebung ihre Gedanken machen.