Berlin. Die Zahl der Sozialwohnungen nimmt weiter ab. Um bezahlbaren Wohnraum konkurrieren viele. Das fördert Diskriminierung, beklagt ein Bündnis.
Deutschland gibt immer mehr Geld für Sozialwohnungen aus, gleichzeitig nimmt die Zahl derselbigen aber immer weiter ab: Das ist ein Ergebnis einer Studie des Hannoveraner Pestel Instituts und des schleswig-holsteinischen Wohnungsbauinstituts Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) im Auftrag des Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Demnach hat sich die Zahl der Sozialwohnungen in sieben Jahren um 12 Prozent reduziert: Hatte Deutschland bundesweit im Jahr 2017 noch 1,22 Millionen Sozialwohnungen, so waren es Ende 2023 nur noch 1,07 Millionen. Am meisten Sozialwohnungen gab es in Nordrhein-Westfalen (426.775), gefolgt von Bayern (134.793), Berlin (99.849), Hessen (82.369) und Hamburg (81.105). Das gesamte Saarland kommt dagegen nur auf 735 Sozialwohnungen.
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Länder erhalten doppelt so viel Geld wie 2017 – voran geht es trotzdem kaum
Dabei greift der Bund den Ländern viel stärker als noch vor einigen Jahren unter die Arme. 2017 förderte der Bund den Sozialwohnungsbau mit 1,5 Milliarden Euro, nachdem zuvor lange Zeit nur rund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt wurde. Im vergangenen Jahr waren es 3,15 Milliarden Euro. Vom einstiegen Ziel der zerbrochenen Ampel-Koalition, 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr zu bauen, ist man dennoch weit entfernt. Nur rund 23.000 neue Sozialwohnungen wurden 2023 genehmigt.
Schon heute gehen viele, die Anspruch auf eine Sozialwohnung und damit auf eine günstige Miete hätten, leer aus. „Würde der Staat die Menschen, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, tatsächlich versorgen, dann wären bundesweit sogar rund 5,6 Millionen Sozialwohnungen notwendig“, sagte Matthias Günther, Chef-Ökonom des Pestel-Instituts und Studienleiter. Der einen Million Sozialwohnung stehen rund 11 Millionen Anspruchsberechtigten gegenüber. Auch abseits der Sozialwohnungen mangelt es an Wohnraum: Rund 550.000 Wohnungen würden laut Studie derzeit in Deutschland fehlen.
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Caritas beklagt Diskriminierung auf dem Wohungsmarkt
Die Konkurrenz um die preiswerten Wohnungen führe zu Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, klagt Janina Bessenich, Geschäftsführerin Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP): „Menschen mit Behinderung und benachteiligte Bevölkerungsgruppen sind vom Wohnungsmarkt quasi ausgeschlossen.“ Sie hätten schon jetzt keine Chance, eine Wohnung zu finden. „Sie werden auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert“, sagte Bessenich. Vor allem Menschen mit psychischen Erkrankungen hätten massive Probleme beim Zugang zum sozialen Wohnraum. „Wir erleben ein soziales Drama“, sagte Bessenich und erinnerte daran, dass jeder einen Anspruch darauf habe, ein selbstständiges Leben führen zu dürfen. In der Praxis gleiche die Wohnungssuche für Menschen mit Behinderungen, von denen es in Deutschland rund 10 Millionen gibt, aber eher einer Lotterie.
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Für viele der einzige Ausweg: Soziale Träger wie die Caritas mieten Sozialwohnungen an und vermieten diese an Menschen mit Behinderung unter. Knapp eine Million Menschen würden Leistungen der Eingliederungshilfe bekommen, rund 190.000 Menschen würden in Einrichtungen der Eingliederungshilfe leben. Würden sie die Einrichtungen verlassen wollen, hätten sie auf dem Wohnungsmarkt keine Chance. „Diese Menschen haben keine Wahl, wo sie wohnen möchten“, sagte Bessenich. Um Abhilfe zu schaffen, forderte die CBP-Geschäftsführerin eine „Sozial-Quote“: „Jede zehnte barrierearme Sozialwohnung, die vergeben wird, soll deshalb gezielt Menschen mit Behinderung angeboten werden.“
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Kosten von Sozialwohnungen würden sich um ein Drittel senken lassen
Aber woran liegt es, dass trotz finanzieller Förderung vergleichsweise wenig Sozialwohnungen gebaut werden? Einen Erklärungsansatz liefert ARGE-Geschäftsführer Dietmar Walberg: „Deutschland baut ‚Premium-Sozialwohnungen‘. Und die sind schlichtweg zu teuer.“ Laut des Wohnungsbau-Forschers würden sich die Baukosten bei Sozialwohnungen um ein Drittel senken lassen: Zu viel Wand- und Deckenstärke, dreifach verglaste Fenster, zu viel Klima- und Lärmschutz, Kellerräume und Tiefgaragen zählt Walberg als Einsparpotentiale auf.
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Ein Beispiel wie es einfacher gehe sei der sogenannte Gebäudetyp E. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte im September einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, der das Bauen experimenteller und vor allem einfacher machen sollte. Wenig Wochen später zerbrach das Regierungsbündnis, das Gesetz kommt nicht mehr.
Von den gesteckten Zielen ist das zu Beginn der Legislaturperiode gegründete Bauministerium nicht nur bei den Sozialwohnungen weit entfernt. 400.000 Wohnungen pro Jahr sollten neu gebaut werden, das Verbändebündnis kalkuliert in diesem Jahr nur noch mit rund 250.000 neuen Wohnungen, die tatsächlich fertig werden – viel zu wenig, um den Bedarf zu decken. „Die Nachfrage nach bezahlbaren Wohnraum ist deutschlandweit hoch. Die Länder und Kommunen können die Lücke nicht alleine füllen. Vielmehr muss der Bund die Rahmenbedingungen endlich wieder so ausgestalten, dass auch frei finanzierte Mietwohnungen wieder attraktiv werden“, sagte Christian Bernreiter (CSU), Bauminister in Bayern und Vorsitzender der Bauministerkonferenz, dieser Redaktion. Er forderte Steuererleichterungen, um den Bau anzuschieben.
Im Ministerium betont man, dass man mit der nun begonnenen Dynamik weiterbauen müsse. „Wir verstehen die Studie als Rückenwind für unseren starken Fokus auf bezahlbares Wohnen“, teilte eine Sprecherin dieser Redaktion mit. Bis 2028 würde allein der Bund knapp 22 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau geben, gerade erst seien 3,5 Milliarden Euro für dieses Jahr bewilligt worden.
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