Berlin. Robert Zurawski ist neuer Vattenfall-Deutschlandchef. Ein Interview über Abhängigkeit vom Wetter, das Heizungsgesetz – und Alice Weidel.

Robert Zurawski empfängt in der deutschen Hauptzentrale des Energiekonzerns Vattenfall. Frei schwebende Treppen laufen hier auf Holzkonstruktionen zu, die Bäumen nachgeahmt sind. Der Komplex wurde zum nachhaltigsten Gebäude Deutschlands gekürt – und soll damit zum Sinnbild für die deutsche Tochter des schwedischen Energiekonzerns werden. Die Zeit der Kohlekraftwerke ist bei Vattenfall passé, der Konzern setzt vollständig auf regenerative Energien. Zurawski, ein Windrad in Regenbogenfarben am Revers, war bisher für das globale Geschäft der erneuerbaren Energien im Gesamtkonzern verantwortlich. Seit dem Jahreswechsel leitet er das Deutschlandgeschäft mit seinen rund fünf Millionen Kunden – und gibt unserer Redaktion sein erstes Interview.

Herr Zurawski, ob bei Verbrauchern oder bei den Unternehmen: Die hohen Energiepreise in Deutschland belasten. Scheitert unsere Energiewende?

Robert Zurawski: Nein, sie scheitert nicht. 55 Prozent des Stromverbrauchs kommt bereits aus erneuerbaren Energien. Wir werden also abhängiger vom Wetter. Und hier ist zuletzt einiges nicht gut gelaufen. Wir sind in Deutschland nicht flexibel genug, um es auszugleichen, wenn der Wind mal nicht weht und die Sonne nicht scheint. Das gilt sowohl für die Angebotsseite, also bei Speichern, Wasserstoff oder Kraftwerken. Aber auch bei den Kunden, die ihren Verbrauch noch nicht preisgerecht steuern.  

Was muss also passieren?

Zurawski: Wir brauchen eine Flexibilitätsoffensive. Vattenfall ist der größte Betreiber von Pumpspeicherkraftwerken in Deutschland. Das sind die größten Batterien, die wir hierzulande haben. In der Vergangenheit waren diese Pumpspeicherkraftwerke mit Netzentgelten belastet, die sie fast in die Unwirtschaftlichkeit getrieben haben. Das ist absurd. Aktuell gibt es zudem zu wenig Solarkraftwerke mit ergänzenden Batteriegroßspeichern, die Mittagsspitzen bei der Solarerzeugung in die Abendstunden verlagern, wenn der Verbrauch höher ist. Bei Vattenfall bauen wir Solarparks künftig standardmäßig mit Großbatterien. Hinzu kommt: In Deutschland sind die Genehmigungsverfahren lang, die Netzanschlüsse gehen kaum voran. Andere Länder sind da weiter.

Robert Zurawski.

„Abhängig waren wir vorher vor allem vom Gas aus Russland. Jetzt sind wir an wenigen Tagen von anderen Quellen unserer europäischen Nachbarn abhängig. Da kann man sich fragen, was einem lieber ist.“

Robert Zurawski
Vattenfall-Deutschlandchef

Im Dezember hatten wir eine Dunkelflaute. Ist unsere Versorgungssicherheit gefährdet?

Zurawski: Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet. Wir haben einen funktionierenden europäischen Strommarkt. Es gibt Zeiten, da produziert Deutschland zu viel Strom und exportiert diesen. In Zeiten der Dunkelflaute ist es andersherum. Es gibt zudem noch genug Reservekraftwerke, die im Übrigen auch diesmal gar nicht angefordert werden mussten.

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Dafür schnellte der Preis in der Dunkelflaute auf mehr als 1000 Euro pro Megawattstunde nach oben.

Zurawski: Preisspitzen gibt es in einem funktionierenden Markt. Dafür gab es im Sommer zeitweise negative Strompreise.

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    Das Kraftwerksicherheitsgesetz sollte die Versorgungssicherheit mit neuen Kraftwerken erhöhen, das kommt nun nicht mehr. Wie problematisch ist das?

    Zurawski: Gaskraftwerke sind zunächst einmal teuer, haben hohe spezifische Kosten und lange Bauzeiten. Ich plädiere dafür, neue Gaskraftwerke mit Bedacht zu bauen und stattdessen mehr auf den Markt und flexible Speicher zu setzen. Preisspitzen regen dazu an, mehr in Batteriespeicher zu investieren, was dem Gesamtsystem nützt und letztendlich zu mehr Netz- und Preisstabilität führt.

    Deutschland war lange Nettoexporteur beim Strom, jetzt sind wir Nettoimporteur. Hat uns die Abschaltung der Atomkraftwerke abhängiger gemacht?

    Zurawski: Abhängig waren wir vorher vor allem vom Gas aus Russland. Jetzt sind wir an wenigen Tagen von anderen Quellen unserer europäischen Nachbarn abhängig. Da kann man sich fragen, was einem lieber ist. Grundsätzlich ist der europäische Strommarkt dafür da, dass wir Strom zu günstigen Preisen handeln können. Dieser Markt funktioniert.

    Die Union möchte die Wiederinbetriebnahme der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke prüfen. Eine sinnvolle Idee?

    Zurawski: Einmal vom Netz genommene Kernkraftwerke lassen sich nicht einfach wieder hochfahren. Die Frage nach der Kernenergie ist eine gesellschaftliche: Der Ausstieg ist hierzulande gesellschaftlicher Konsens. In Schweden, dem Heimatland unseres Konzerns, ist das anders. Dort ist Atomkraft akzeptiert.

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    Vattenfall hat die Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel betrieben und ist an Brokdorf beteiligt. Ist es ausgeschlossen, dass eines dieser Atomkraftwerke noch mal ans Netz geht?

    Zurawski: Ja, die gehen auf keinen Fall mehr ans Netz. Unsere ehemaligen Kernkraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel sind im Rückbau, da fehlen bereits wesentliche Anlagenteile.

    Kernkraftwerk Brunsbüttel, Elbe, Schleswig-Holstein, Deutschland, Europa
    Das an der Elbe liegende Kernkraftwerk Brunsbüttel wurde von Vattenfall betrieben. © picture alliance / imageBROKER/Siegfried Kuttig | imageBROKER/Siegfried Kuttig

    Jeder Fünfte würde nach derzeitigen Umfragen die AfD wählen. AfD-Chefin Alice Weidel hat zuletzt kräftig gegen erneuerbare Energien gewettert, will Windkraftwerke in einzelnen Regionen sogar abreißen lassen. Sorgt Sie das?

    Zurawski: Ich musste meine Emotionen im Zaum halten, als ich den Satz von Frau Weidel gehört habe. Von der rechtlichen Frage des Eigentums einmal unabhängig: 2024 kam knapp ein Drittel der gesamten Stromerzeugung Deutschlands aus Windkraftanlagen. Auch der AfD würde ein Blick auf die Fakten guttun. Windkraft genießt eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. Eine jüngste Umfrage belegt, dass nur acht Prozent der Deutschen einen ‚Abriss‘ befürworten würden.

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    Welche unterschiedlichen Erfahrungen machen Sie in den Bundesländern? Gerade Bayern bremst häufig bei der Windkraft.

    Zurawski: Die Initiative der Bundesregierung, Genehmigungen zu beschleunigen, hat Wirkung gezeigt. Vielerorts geht es voran. Der Knackpunkt bleibt aber der Netzanschluss. Durch die Masse der Anträge und den schleppenden Netzausbau kommen die Netzbetreiber gar nicht mehr hinterher. Wir sind nicht groß in Bayern aktiv. In den anderen Bundesländern, etwa in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz läuft es gut.

    Wie lange dauert es in anderen Ländern im Vergleich zu Deutschland, bis neue Anlagen gebaut sind?

    Zurawski: Wir brauchen in Deutschland zwischen der Idee und der Fertigstellung für einen Solarpark im Schnitt rund drei Jahre, bei Windkraft auf dem Land sind es fünf bis acht Jahre und auf der See sechs bis acht Jahre. In den Niederlanden geht das ein bis zwei Jahre schneller.

    Woran liegt das?

    Zurawski: Bei Solarparks und Windkraftanlagen auf dem Land bremst uns der schleppende Netzausbau aus. Auf der See müssen viele Behörden zustimmen. Ein Windpark auf der See braucht beispielsweise die Genehmigungen des Schifffahrt-Bundesamtes, aber auch der Flugbehörden, damit wir ihn mit Hubschraubern erreichen können. Die Zusammenarbeit zwischen den Behörden ist ausbaufähig.

    Welche Rolle spielen gerade auf dem Meer die Interessen der Bundeswehr?

    Zurawski: Verteidigung ist in allen Ländern eine der größten Hürden speziell für Offshore-Windparks. Man will der Verteidigung nicht im Weg stehen. Das war allerdings schon vor dem Ukraine-Krieg so.

    Deutschlands erstes Offshore-Hotel
    Ein Crew Transport Vessel ist im Offshore Windpark „DanTysk“ des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall und der Stadtwerke München (SWM) unterwegs. „DanTysk“ liegt westlich der Insel Sylt. © picture alliance / dpa | Christian Charisius

    Was muss beim Netzausbau passieren, damit es schneller geht?

    Zurawski: Wir schätzen, dass sich der deutsche Strombedarf bis 2045 verdoppeln könnte. Die Stromnetze müssen dafür in einem außerordentlichen Umfang und Tempo ausgebaut werden. Dafür aber dauern unsere Genehmigungs- und Planungsvorhaben zu lange. Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die Batterien zukünftig beim Netzanschluss mitgedacht werden.

    Wie wird sich der Strompreis für Verbraucher 2025 entwickeln?

    Zurawski: In den vergangenen Jahren sind die größten Preisschwankungen durch Krisen wie die Corona-Pandemie oder den Ukraine-Krieg entstanden. Solche Faktoren kann niemand vorhersehen. Der langfristige Strompreis, der an der Börse gehandelt wird, tendiert derzeit eher seitwärts. Aufgrund der geopolitischen Situation und der nach wie vor gegebenen Abhängigkeit vom Gas rechne ich aber damit, dass es volatil bleiben wird.

    Sie sind bei Vattenfall auch für das globale Erneuerbare-Energien-Geschäft verantwortlich. Wie entwickelt sich Deutschland im internationalen Vergleich?

    Zurawski: Wir haben in den letzten Jahren Tempo verloren, gerade bei der Windkraft. Andere Länder machen vieles besser. Dänemark hat viel Windkraft, kann Flauten aber flexibel über Wärmepumpen, Batteriespeichern, Biomasseanlagen und Gasanlagen ausgleichen. Die Schweden haben ein Energiesystem, das auf Kernkraft, Wasserkraft und erneuerbaren Energien beruht. Mit Wasserkraft kann man flexibel reagieren. Großbritannien nutzt ebenfalls viel Windkraft und baut seine Netze gut aus. Deutschland war lange Vorreiter bei der Energiewende. Andere haben es sich angesehen und besser gemacht. Jetzt haben wir die Chance, wieder nachzuziehen.

    Weht der Wind hierzulande oft stark, müssen Anlagen häufig abgeriegelt werden.

    Zurawski: Das tut mir in der Seele weh. Wir haben den geografischen Nachteil, dass unsere Großverbraucher im Westen und Süden sitzen, wo früher auch die meisten Atomkraftwerke standen. Jetzt kommen unsere Energiequellen vor allem aus dem Norden, die Verbraucher sind aber weiter im Süden und Westen, die Netze nicht ausreichend ausgebaut. Das ist bitter. Wenn wir dagegen den Strom für Wasserstoff nutzen könnten, würde das helfen.

    Robert Zurawski / Vattenfall-Deutschlandchef
    Robert Zurawski ist Deutschlandchef von Vattenfall und zudem im Gesamtkonzern für das Geschäft mit den erneuerbaren Energien verantwortlich. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

    Der Tenor ist gerade ein anderer. Unternehmen wie Thyssenkrupp denken über eine Beendigung der Wasserstoffpläne nach.

    Zurawski: Ich fände das sehr schade. In den Niederlanden planen wir gerade einen Zwei-Gigawatt-Offshore-Windpark zu bauen, der bis zu ein Gigawatt Wasserstoff für die Industrie produzieren wird. Ich halte das für den richtigen Weg. Leider werden viele Wasserstoffprojekte hierzulande verschoben.

    Was muss also passieren?

    Zurawski: Der Knackpunkt ist der Wasserstoffpreis, der noch zu hoch ist. Ich bin kein Freund von dauerhaften Subventionen, aber es braucht eine Anschubfinanzierung.

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    Glauben Sie noch daran, dass 2030 15 Millionen E-Autos auf den deutschen Straßen fahren werden?

    Zurawski: Der Weg der E-Mobilität ist richtig. Vattenfall wird in den nächsten vier Jahren dreistellige Millionenbeträge in die Ladeinfrastruktur investieren. Wir kooperieren dabei mit Supermärkten wie Netto, Bünting und Lidl, um den Ladevorgang in den Alltag der Menschen zu integrieren. Aber auch hier bremst die Bürokratie: Es gibt rund 800 verschiedene Verteilnetzbetreiber in Deutschland, die teilweise völlig verschiedene Zulassungsformulare nutzen. Hier brauchen wir mehr Digitalisierung und einheitliche Standards.

    Würden Ladegutscheine helfen, wie Habeck sie ins Gespräch gebracht hat?

    Zurawski: Was nicht passieren darf, ist, dass Förderungen noch einmal kurzfristig gestrichen werden. Ein Ladegutschein ist eine Kaufförderung, nur anders verpackt. Wichtig ist Verlässlichkeit bei der Förderung.

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    Bis 2045 könnte sich der Stromverbrauch in Deutschland verdoppeln. Geht der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell genug, um dieses Ziel zu erreichen?

    Zurawski: Wir brauchen klimaneutrale Investitionen in den Wirtschaftsstandort Deutschland, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und Wohlstand und Arbeitsplätze zu sichern. Wir als Vattenfall möchten hierzu unseren Beitrag leisten. Das Ziel ist eine günstige, sichere und resiliente Energieversorgung.

    Was für eine Energiepolitik erwarten Sie von einer künftigen Bundesregierung?

    Zurawski: Ich erwarte Verlässlichkeit, Flexibilität und einen klaren energiepolitischen Kurs für Investitionen in fossilfreie Erzeugung. Gerade bei offshore brauchen wir bessere Rahmenbedingungen. Ein Kostencheck der Energiewende ist ebenfalls sinnvoll – wenn es nicht zulasten der Geschwindigkeit geht.

    Müsste häufiger auf Freileitungskabel statt auf Erdkabel gesetzt werden?

    Zurawski: Ein Erdkabel ist viel teurer, ich störe mich nicht an Freileitungen. Am Ende muss aber die Bevölkerung vor Ort mitgenommen werden. Auf jeden Fall sollten die bereits begonnenen Projekte jetzt zügig umgesetzt werden.

    Würde es sich lohnen, mehr Pumpspeicherkraftwerke zu bauen?

    Zurawski: Ja, Pumpspeicherkraftwerke sind die größten verfügbaren Batterien, sofort verfügbar und sehr flexibel. Ihre Rolle hat sich gewandelt. Einst wurden sie gebaut, um nachts die Braunkohlekraftwerke am Laufen zu halten. Heute sind sie die Speicher für erneuerbare Energien und die Garanten für Netzstabilität. In Thüringen planen wir gerade den Bau eines neuen Pumpspeicherkraftwerks. Es gibt noch weiteres Potenzial in Deutschland.

    20 Jahre Vattenfall Pumpspeicher Goldisthal
    Das Oberbecken und der etwa 300 Meter tiefer gelegene Stausee des Pumpspeicherwerkes Goldisthal. Vattenfall betreibt hier bereits seit mehr als 20 Jahren mit 1060 Megawatt eines der leistungsstärksten Pumpspeicherkraftwerke in Deutschland. © picture alliance/dpa | Michael Reichel

    Sind im Zuge der gestiegenen Energiepreise die Verträge mit Ökostromtarifen zurückgegangen?

    Zurawski: Wir bieten bei Neuabschlüssen nur noch Ökostromtarife an.

    Sie kooperieren mit immer mehr Handwerksbetrieben, um etwa Wärmepumpen zu verbauen. Spüren Sie, dass das Wärmepumpengeschäft wieder anläuft?

    Zurawski: Das letzte Jahr war kein gutes Verkaufsjahr für die Wärmepumpe. Aber wir sehen ein großes Potenzial für die Energiewende im eigenen Zuhause. Die Wärmepumpe wird die günstigste Alternative werden, wenn Erdgas angesichts steigender CO2-Preise und höherer Netzkosten für immer kleinere Gasverteilnetze in den nächsten Jahren immer teurer wird. Deshalb glaube ich an das Potenzial der Wärmepumpe.

    Muss die Politik das Heizungsgesetz noch einmal anpassen?

    Zurawski: Das Heizungsgesetz sollte nicht abgeräumt werden. Die Grundidee ist gut. Aber: Wenn man nachjustiert, muss man die Menschen mitnehmen. Eine Verunsicherung wie beim letzten Mal darf nicht noch mal passieren.

    Zur Person: Robert Zurawski

    Seit dem Jahreswechsel ist Robert Zurawski der Deutschlandchef von Vattenfall. Der 48-Jährige kennt den schwedischen Energiekonzern bestens: Seit 2003 ist er im Unternehmen, nachdem er zuvor bei den Vereinigten Energiewerken (VEAG) tätig war. Bei Vattenfall machte der zweifache Vater eine steile Karriere, angefangen im Bereich Finanzen und Controlling, war er in verschiedenen Funktionen für Vattenfall Europa tätig, ehe er seit 2015 das globale Erneuerbare-Energien-Geschäft im Konzern verantwortete.