Essen. Essener Elektronikhändler Medion gehört jetzt zu 100 Prozent dem Konzern Lenovo. Zeit der Verluste vorbei, die Krise geht aber weiter.
Der Aldi-Zulieferer Medion befindet sich seit einigen Wochen zu 100 Prozent in chinesischer Hand. Das teilte der Essener Elektronik-Händler am Montag mit. Die letzten Aktien wurden auf den chinesischen Konzern Lenovo übertragen, der offenbar weitere Einschnitte am Unternehmenssitz in Essen plant.
In den 1980er Jahren war Medion die Erfolgsgeschichte, die das Ruhrgebiet abseits von Kohle und Stahl so dringend benötigte. Als Computer, Bildschirme und Drucker allmählich in jeden Privathaushalt einzogen, kam Gerd Brachmann 1983 auf die Idee, seine Videotheken-Kette Medion in einen Elektronik-Anbieter umzuwandeln. In Mülheim entstand ein Milliarden-Unternehmen, das fortan den Discounter Aldi mit PCs, Laptops, Handys, Fernsehern und Elektrogeräten belieferte.
Medion-Gründer Brachmann: „Phantom des Ruhrgebiets“
Die Nachfrage war so groß, dass es Medion in Mülheim alsbald zu eng wurde und die Firma auf das Gelände der ehemaligen Gustav-Heinemann-Kaserne in Essen-Kray umzog. Dort befinden sich bis heute die Zentrale und ein Fabrikverkauf. Gerd Brachmann, der auch als das „Phantom des Ruhrgebiets“ bezeichnet wird, weil es von ihm bis heute kein Foto gibt, war so erfolgreich, dass der Umsatz zeitweise auf drei Milliarden Euro anwuchs.
Doch im Jahr 2006 geriet Medion erstmals in die Krise und schrieb rote Zahlen. Brachmann, gebürtiger Bochumer, verkaufte im Jahr 2011 die Mehrheit des Unternehmens an den chinesischen Elektronik-Riesen Lenovo, der zuletzt 98,06 Prozent der Anteile besaß. Vorstandsvorsitzender ist der inzwischen 65-jährige Gründer bis heute. Am Montag teilte Medion nun mit, dass auch die letzten Aktien „gegen Gewährung einer von der Hauptaktionärin zu zahlenden angemessenen Barabfindung in Höhe von 14,28 Euro“ je Stück an den Mutterkonzern, die Lenovo Germany Holding mit Sitz in Essen, übergegangen seien.
Medion baut hunderte Stelle ab
Der Deal geht in Krisenzeiten über die Bühne. Das Geschäftsjahr 2022/23 hatte Medion mit einem schmerzlichen Fehlbetrag von 33 Millionen Euro abgeschlossen. Das geht aus dem Finanzbericht hervor. Der Umsatz war um 16 Prozent auf 877 Millionen Euro eingebrochen. Das Unternehmen verordnete sich eine „Restrukturierung“, die offenbar vor allem den Abbau von Arbeitsplätzen auch in Essen vorsah. Mit Ende des Geschäftsjahrs 2023/24 war die Zahl der Beschäftigten von 1018 auf 897 und zum Stichtag 30. September 2024 noch einmal auf 803 geschrumpft. Immerhin konnte Medion das Geschäftsjahr 23/24 wieder mit einem positiven Ergebnis vor Abzug von Zinsen und Steuern (Ebit) in Höhe von 15 Millionen abschließen.
Das reicht den Eigentümern aus China aber offenbar nicht. Zumal sich die Absatzkrise auch von April bis September 2024 fortgesetzt hat, wie im Halbjahresbericht nachzulesen ist. Umsatz und Ergebnis seien „unter den Erwartungen“ geblieben, heißt es darin. „Hintergrund sind insbesondere die nach wie vor schwache Nachfrage nach PC-Produkten (…) sowie Verzögerungen bei der Umsetzung der Restrukturierungsmaßnahmen.“ Der Personalaufwand sei nur unterproportional 4,1 Prozent zurückgegangen.
Chinesen wollen Medion von der Börse nehmen
Auf Anfrage unserer Redaktion wollte sich Medion nicht dazu äußern, wie viele weitere Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Diese Sorge dürfte aber auch die Beschäftigten am meisten umtreiben. Denn das Unternehmen geht davon aus, dass die Konsum-Zurückhaltung und der Wandel im Handel „nicht nur temporäre Effekte“ seien. Ziel sei es deshalb, „die meisten Restrukturierungsmaßnahmen bis zum Ende des Geschäftsjahres 2024/2025 umzusetzen“. Das wäre bis Ende September – in nur neun Monaten.
Zunächst aber wollen die chinesischen Eigentümer Medion von der Börse nehmen. Die Notierung „wird in Kürze eingestellt“, heißt es in einer Adhoc-Mitteilung vom Montag. Die Kursentwicklung des Essener Papiers war ohnehin nicht sonderlich erfreulich. Auch die Dividende ist mager: Die Aktie warf von April bis September 2024 gerade einmal ein Ergebnis zwei Cent pro Stück ab.
Offenbar Hacker-Angriff auf Medion
Ende November wurde der Elektronikhändler überdies Opfer eines Hackerangriffs. Aktivisten des Erpressungstrojaners Black Basta verbreiteten die Nachricht, Medion erfolgreich attackiert und dabei große Mengen Daten über Beschäftigte und Geschäfte kopiert zu haben. Medion selbst sprach von „IT-Störungen“. Inzwischen ist die Homepage aber längt wieder erreichbar.
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