Essen. In vielen Industriebetrieben herrscht Krisenstimmung. Thyssenkrupp-Betriebsrat sieht „zunehmend extreme Positionen“ in der Belegschaft.

In der nordrhein-westfälischen Metall- und Elektroindustrie macht sich Pessimismus breit. Er könne sich nicht erinnern, in der Unternehmerschaft schon einmal eine derartige Mischung aus Enttäuschung, Ratlosigkeit und Unverständnis über weite Teile der Politik in diesem Land erlebt zu haben, sagt Arndt G. Kirchhoff, der erfahrene Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW.

Die Zahlen, die der Verband nach eigenen Angaben bei einer Konjunkturumfrage zum Jahreswechsel 2024/2025 ermittelt hat, deuten auf einen Abwärtstrend hin. 40 Prozent der befragten Unternehmen erwarten demnach in den nächsten sechs Monaten rückläufige Geschäfte. Nur fünf Prozent gehen von einer Verbesserung aus. Die gegenwärtige Geschäftslage beschreiben lediglich 15 Prozent als „gut“. In fast der Hälfte der Betriebe zeigen sich die Verantwortlichen „unzufrieden“ mit der aktuellen Lage. Der Wert hat sich im Vergleich zum Vorjahr von 38 Prozent auf 48 Prozent deutlich verschlechtert.

An der Umfrage haben nach Angaben von Metall NRW 369 Betriebe mit rund 90.000 Beschäftigten teilgenommen – unter anderem aus Branchen wie Maschinen- und Automobilbau, Elektroindustrie und Metallverarbeitung. Die Stimmung in den Unternehmen habe sich zum Jahreswechsel 2024/25 gegenüber der ohnehin schon düsteren Gemütslage im Vorjahr nochmals klar verschlechtert, erklärt der Arbeitgeberverband.

44 Prozent der Unternehmen wollen Investitionen drosseln

Die schwache Ertragslage und eine sinkende Nachfrage wirken sich auf die Investitionspläne der Unternehmen aus. Nur 14 Prozent der befragten Betriebe wollen ihre Investitionen im Inland ausweiten, berichtet der Verband. Im Vorjahr seien es noch 18 Prozent gewesen. Besorgniserregend sei: 44 Prozent der Firmen wollen ihre Investitionen zurückfahren – nach 41 Prozent vor einem Jahr.

NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt G. Kirchhoff: „Jedem muss jetzt bewusst sein, dass der Wohlstand dieses Landes auf dem Spiel steht.“
NRW-Arbeitgeberpräsident Arndt G. Kirchhoff: „Jedem muss jetzt bewusst sein, dass der Wohlstand dieses Landes auf dem Spiel steht.“ © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Wenn 44 Prozent unserer Unternehmen ihre Investitionstätigkeit im Inland weiter drosseln wollen, dann muss allein das schon die Politik jetzt aufrütteln“, kommentiert Kirchhoff die Pläne. Schon zum Jahreswechsel 2023/24 sei die inländische Investitionsbilanz klar im Minus gewesen. Wenn investiert werde, dann eher im Ausland. „Jedem muss jetzt bewusst sein, dass der Wohlstand dieses Landes auf dem Spiel steht“, sagt Kirchhoff.

Der Metall-Arbeitgeberpräsident führt selbst ein Familienunternehmen. Seine Firmengruppe mit Sitz in Iserlohn gehört mit weltweit rund 13.000 Beschäftigten zu den größten mittelständischen Unternehmen der Autozuliefererbranche. Kirchhoffs Firma stellt unter anderem Müllfahrzeuge her.

Arbeitgeberpräsident Kirchhoff warnt vor „De-Industrialisierung“

Die Liste der Probleme am Standort Deutschland sei lang, sagt Kirchhoff und erwähnt aus seiner Sicht hohe Steuern und Abgaben, steigende Lohnzusatzkosten, eine „lähmende Bürokratie“ und „quälend lange“ Planungs- und Genehmigungsverfahren. Eine Fragestellung rage heraus: „Das Energiethema bleibt die Kardinalfrage, ob Deutschland – und damit auch Nordrhein-Westfalen – ein Industrieland bleibt oder nicht“, sagt Kirchhoff. „Nur wenn dies gelöst wird, sehe ich wirklich Chancen für einen nachhaltigen Stimmungsumschwung. Sonst wird hier nicht mehr investiert – mit der Folge einer weitreichenden De-Industrialisierung.“

Mit dem Negativtrend in der Industrie zeichnen sich Folgen für den Arbeitsmarkt ab. In den vergangenen sechs Monaten haben der Umfrage von Metall NRW zufolge bereits 27 Prozent der Unternehmen Jobs abgebaut. Für die nächsten sechs Monate planen 31 Prozent mit einer rückläufigen Beschäftigung. Auch der Anteil der Unternehmen mit Kurzarbeit wird nach Angaben von Metall NRW größer und lag in den vergangenen sechs Monaten bei 27 Prozent. Für die nächsten sechs Monate sei mit einem Anstieg auf 39 Prozent zu rechnen.

Der Chef der NRW-Arbeitsagentur, Roland Schüßler, hatte die Lage schon Anfang Dezember als „ernst“ bezeichnet. „Unternehmen suchen schon im zweiten Jahr nacheinander deutlich weniger Arbeitskräfte als in wirtschaftlich starken Zeiten“, so Schüßler. „Wer arbeitslos wird, hat es aktuell schwer, wieder einen neuen Job zu finden.“

IG Metall plant „Aktionstag“ kurz nach der Bundestagswahl

Mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar fordert NRW-Arbeitgeberpräsident Kirchhoff, die wirtschafts- und industriepolitische Debatte müsse in den Mittelpunkt gerückt werden. Auch die IG Metall hat bereits einen Forderungskatalog entwickelt, um einen befürchteten „Kahlschlag in den Betrieben“ zu verhindern. Wenige Wochen nach der Bundestagswahl, am 15. März, will die IG Metall Zehntausende Beschäftigte zu einem „Aktionstag“ auf die Straße bringen – mit Kundgebungen in Köln, Hannover, Frankfurt, Stuttgart und Leipzig. Die IG Metall fordert unter anderem eine finanzielle Entlastung von energieintensiven Betrieben und massive Investitionen in die öffentliche Infrastruktur.

Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol sagt, mittlerweile seien viele Beschäftigte wütend und überfordert: „Das führt auch dazu, dass einige von ihnen politisch drastische Maßnahmen fordern. Sie nehmen zunehmend extreme Positionen ein. Das macht mir Sorge.“
Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol sagt, mittlerweile seien viele Beschäftigte wütend und überfordert: „Das führt auch dazu, dass einige von ihnen politisch drastische Maßnahmen fordern. Sie nehmen zunehmend extreme Positionen ein. Das macht mir Sorge.“ © dpa | Rolf Vennenbernd

„Es war noch nie so herausfordernd“, sagt Benjamin Gruschka, Betriebsratschef von Ford in Köln, in einem Doppel-Interview mit Thyssenkrupp-Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol in einem Gewerkschaftsmagazin. „Nicht nur Thyssenkrupp und Ford haben große wirtschaftliche Probleme“, so Gruschka. In der Autoindustrie gebe es auch bei großen Arbeitgebern wie ZF, VW, Bosch und Conti Stellenabbau. Hinzu kämen viele kleine Unternehmen. „Es geht also um die ganze Branche und die Industrie im Land“, sagt der Ford-Betriebsrat.

„Die Beschäftigten befinden sich schon zu lange im Krisenmodus und fragen, warum niemand diesen Zustand beendet“, sagt Tekin Nasikkol. „Mittlerweile sind sie wütend und überfordert. Das führt auch dazu, dass einige von ihnen politisch drastische Maßnahmen fordern. Sie nehmen zunehmend extreme Positionen ein. Das macht mir Sorge.“

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