Essen. NRW entschädigt Großschlachter Tönnies mit 3,2 Millionen Euro. Tausende Kleinbetriebe müssen ihre Coronahilfen zurückzahlen. Frist endet.
Fünf Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie hat das tückische Virus seinen Schrecken weitgehend verloren. Die wirtschaftliche Aufarbeitung ist allerdings noch in vollem Gange. Tausende Kleinbetriebe bundesweit ziehen vor Gericht, weil sie Corona-Soforthilfen zurückzahlen sollen. Mitten in die Klagewelle platzt nun die Nachricht, dass das Land NRW dem Großschlachter Tönnies 3,2 Millionen Euro erstattet.
Als die Zahl der Corona-Infizierten im Tönnies-Fleischbetrieb in Rheda-Wiedenbrück die Schallmauer von 1000 überspringt, zieht Krisenstabsleiter Thomas Kuhlbusch die Reißleine. Im Juni 2020 schließt er die Fabrik für 14 Tage. Landrat Sven-Georg Adenauer beklagt, dass der Schlachtriese nur lückenhaft die Adressen seiner Beschäftigten und die der der Subunternehmen vorlegen könne, um die Infektionsketten nachzuvollziehen.
Clemens Tönnies tritt als Schalke-Boss zurück
Chef Clemens Tönnies spricht am selben Tag von einer „existenziellen Krise des Unternehmens“, weil rund 8000 seiner Leute in Quarantäne seien. Wenige Tage später tritt der Milliardär als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 zurück. „Meine Aufgabe ist es, mich aktuell voll und ganz auf mein Unternehmen zu konzentrieren, es erfolgreich durch die schwerste Krise seiner Geschichte zu führen“, sagt Tönnies zur Begründung.
Bilder von zusammengepfercht wohnenden Menschen, die für den ostwestfälischen Konzern arbeiten, gehen um die Welt. Tönnies steht am Pranger und NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) platzt der Kragen: „Ich bin nicht der Auffassung, dass nur ein einziger Cent Steuergeld an die Firma Tönnies fließen sollte“, sagt er im Juli 2020.
3,2 Millionen Euro Entschädigung für Tönnies fließen in soziale Zwecke
Gut vier Jahre später klingt das alles schon wieder ganz anders. Am Tag vor Silvester geben Laumanns Ministerium und das Tönnies-Imperium bekannt, man habe eine außergerichtliche Einigung erzielt habe. Die mehr 1000 Verfahren von Beschäftigten, in denen es um Lohnfortzahlung nach dem Infektionsschutzgesetz geht, sind damit hinfällig. „Zur Abgeltung sämtlicher offener Forderungen des Unternehmens verpflichtet sich das Land in dem Vergleich zur Zahlung einer Vergleichssumme von 3,2 Millionen Euro an ein Treuhandkonto“, teilt das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales sperrig mit.
Die Steuergelder in Millionenhöhe sollen aber nicht in Tönnies‘ Firmenkasse fließen, sondern „ausschließlich für soziale Projekte zugunsten von Beschäftigten in schwierigen Arbeits- und Lebenssituationen zur Verfügung stehen“, teilt Laumanns Haus mit. Zu dem Deal gehört aber auch, dass das Land Tönnies überdies die entstandenen Gerichtskosten in Höhe von 108.000 Euro erstattet. Im Gegenzug verzichtet der Konzern auf weitere Schadensersatzforderungen.
Tönnies: Corona endgültig zu den Akten legen
Minister Laumann, der sich im Sommer 2020 noch kompromisslos gab, zeigt sich nun erleichtert. „Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, einen Schlussstrich unter die offenen Verfahren zu ziehen, weitere langwierige Prozesse zu vermeiden und zugleich einen wichtigen sozialen Impuls in Ostwestfalen zu setzen”, lässt er sich nach dem geschlossenen Vergleich zitieren.
Auch der Großschlachter Clemens Tönnies ist hochzufrieden. „Mit der einvernehmlichen Lösung ist das jahrelange juristische Hick-Hack endlich beendet. Mit den Rückzahlungen kann nun auch noch etwas sozial Sinnvolles für die Menschen in der Region getan werden“, erklärt der Unternehmer.„Damit können alle Beteiligten das Thema Corona nun endgültig zu den Akten legen.“
NRW-Rückmeldeverfahren läuft bis 26. Februar
Für die Tönnies-Gruppe mag das gelten, für viele kleine und mittlere Betriebe aber nicht. Im Sommer 2024 hatten WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung recherchiert, dass in mehr als 400.000 Fällen Firmen ihre von Bund und Ländern gezahlten Corona-Soforthilfen zum Teil oder ganz zurückzahlen mussten. Den Recherchen zufolge haben mehr als 5000 kleine Unternehmer gegen die Rückforderungen geklagt, rund die Hälfte der Verfahren sei noch offen.
Betroffene Mittelständler, Freiberufler und Solo-Selbstständige in NRW haben noch bis zum 26. Februar 2025 Zeit, am Rückmeldeverfahren teilzunehmen, das Ende Oktober 2024 begonnen hatte. Rund 75.000 Empfänger der NRW-Soforthilfe 2020 sollen nach Einreichung aller Belege ihre Schlussbescheide erhalten und damit endlich Klarheit, ob und in welcher Höhe sie Coronahilfen zurückzahlen müssen. Je nach Größe ihres Betriebs hatten sie 2020 gestaffelt bis zu 9000, bis zu 15.000 und bis zu 25.000 Euro Überbrückungshilfen für Umsatzausfälle während des Lockdowns erhalten.
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