Düsseldorf. 7000 Tönnies-Mitarbeiter wurden nach dem Corona-Ausbruch unter Quarantäne gestellt. Für Firmenchef Clemens Tönnies gilt das nicht.

Nach einem großen Corona-Ausbruch mit Hunderten Infizierten im größten deutschen Schlachtbetrieb Tönnies stellt der Kreis Gütersloh die rund 7000 Mitarbeiter des Unternehmens aus Rheda-Wiedenbrück unter Quarantäne. Damit soll verhindert werden, dass sich das Virus in der Region ausbreitet und eine Pandemielage wie im früheren Corona-Hotspot Heinsberg entsteht, erklärte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Die Behörden setzten jetzt alles daran, dass sich dieses Ereignis „nur“ auf den Schlachthof konzentriere.

Chef Clemens Tönnies muss hingegen nicht in Quarantäne. „Clemens Tönnies ist auch nicht infiziert oder durch Corona krank geworden“, sagte Konzernsprecher André Vielstädte am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Der 64-Jährige sei nach einem Krankenhausaufenthalt zwar wieder bei der Arbeit, aber noch nicht mit dem sonst üblichen Arbeitspensum, sagte der Sprecher. Mit Verweis auf die Privatsphäre wollte sich Vielstädte nicht zum Grund für den Krankenhausaufenthalt äußern.

Vor Ort wächst inzwischen die Wut auf den Großbetrieb: So kam es am Donnerstagvormittag zu vereinzelten Protesten vor dem Tönnies-Werksgelände. Auch online machen viele Bürger ihrer Wut Luft. Die Auswirkungen sind bis ins benachbarte Bielefeld zu spüren: Nach Angaben der Stadt wurden am Donnerstag die Schulen und Kitas darüber informiert, dass die Kinder von Tönnies-Beschäftigen nach Hause geschickt werden müssen. Andere Kinder aus dem Kreis Gütersloh betrifft diese Maßnahme nicht, wie die Stadt mitteilte.

Expertin geht von "Superspreading-Event" bei Tönnies aus

Einer Expertin für Infektionskrankheiten zufolge ist es „extrem unwahrscheinlich“, dass die Hunderten Corona-Fälle in einer Fleischfabrik in NRW auf Familienbesuche am Wochenende zuvor zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, sodass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, sagte Isabella Eckerle, Leiterin der Forschungsgruppe Emerging Viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf.

Gereon Schulze Althoff, Leiter des Pandemiestabs beim betroffenen Unternehmen Tönnies, hatte die Kälte in der Produktion und die Heimreisen der Beschäftigten nach Osteuropa an langen Wochenenden wie um Fronleichnam als mögliche Faktoren für die Ausbreitung des Coronavirus genannt.

Körperliche Anstrengung bei der Arbeit könnte zu höherer Virusausscheidung führen

Die hohe Anzahl betroffener Mitarbeitern des Unternehmens Tönnies weise auf ein unbemerktes, schon länger vor sich gehendes Superspreading Event in dem Betrieb hin, sagte hingegen Eckerle. „Bei engem Kontakt und unter ungünstigen Arbeits- sowie Wohnbedingungen können ein Einzelner oder nur sehr wenig initial Infizierte zu einer sehr hohen Anzahl an Sekundärinfektionen führen.“

Ein weiterer Faktor könne eventuell die körperliche Anstrengung während der Arbeit sein, die zu höherer Virusausscheidung führe. Feuchte Hände, Handschuhe, Schürzen und Kleidung könnten zudem die Übertragung durch Schmierinfektionen begünstigen, so Eckerle. „Es wäre wichtig zu klären, inwieweit Masken bei engem Kontakt auf der Arbeit getragen wurden, und ob es überhaupt die Möglichkeit gibt, konstant die aktuellen Regeln wie Abstandhalten und Handhygiene einzuhalten.“

Wird jetzt Fleisch knapper in den Geschäften?

„Der Betrieb wird ab Donnerstag geschlossen, bis wir wissen, was da los ist. Ich bleibe meiner Linie treu, egal, um wen es sich handelt. Der Gesundheitsschutz hat absoluten Vorrang“, sagte Laumann im Sozialausschuss des Landtags. Am Donnerstag machten sich dennoch viele Mitarbeiter auf den Weg zur Arbeit: In Absprache mit dem Gesundheitsamt dürfen die bereits geschlachteten Tiere weiter verarbeitet werden.

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Die Schließung wird deutliche Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Fleisch und Wurst in den Supermärkten haben. Auf Tönnies entfällt etwa ein Fünftel der Fleischproduktion in Deutschland.

Bisher 650 Infizierte -- aber viele Testergebnisse stehen noch aus

In den vergangenen Tagen waren etwa 1000 Tönnies-Mitarbeiter auf eine Covid-19-Infektion getestet worden - darunter waren bisher rund 650 Infizierte. Die Ergebnisse der nun anstehenden Tests der kompletten Belegschaft dürften erst in zwei bis drei Tagen vorliegen, so der Minister. Für NRW bedeuten die positiven Tests einen starken Anstieg der Fallzahlen. In den vergangenen Tagen war die Zunahme von nachgewiesenen Infektionen geringer geworden und hatte meist um die Zahl 100 geschwankt.

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Landrat Sven-Georg Adenauer (CDU) erklärte, es werde im Kreis Gütersloh keinen allgemeinen Lockdown geben, obwohl die entscheidende Marke von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen deutlich überschritten sei. Zur Sicherheit werden aber alle Schulen und Kindergärten im Kreis bis zu den Sommerferien geschlossen. Im ostwestfälischen Kreis Gütersloh leben rund 362 000 Menschen.

Die Firma Tönnies vermutet, dass rumänische und bulgarische Werkvertrag-Arbeitnehmer das Virus nach der Rückkehr aus dem Heimaturlaub in das Unternehmen getragen haben könnten. Auch die Kühlung von Räumen dürfte zur Verbreitung des Coronavirus beigetragen haben.

"Äußerst schwierige Verhältnisse" in Sammelunterkünften

Gesundheitsminister Laumann erneuerte seine Kritik an den Arbeitsbedingungen auf Schlachthöfen. Das System der Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern durch Subunternehmer müsse ein Ende haben. Der Arbeitsschutz in NRW habe zuletzt etwa 250 Sammelunterkünfte von ausländischen Arbeitern überprüft. Während die Verhältnisse in Unterkünften für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft in der Regel „vernüftig“ seien, hätten die Prüfer in Unterkünften der Schlachtbetriebe „äußerst schwierige Verhältnisse“ angetroffen.

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Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Anton Hofreiter nannte die Zustände unhaltbar: „Die Gesundheit der Beschäftigten wird für die Profite der Fleischbarone aufs Spiel gesetzt.“ Auch für die SPD sei nach dem massiven Ausbruch erneut in der Fleischindustrie klar, betonte die Vize-Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Katja Mast: „Geschäftsmodell und Infektionsgeschehen hängen zusammen“, sagte sie. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte: „Das Hygienekonzept muss komplett versagt haben.“

Auch Greenpeace kritisierte, Branchengrößen wie Tönnies nähmen massive Infektionsrisiken in Kauf und gefährdeten die ganze Region. „Die Politik verkennt die Dimension des Problems. Die Produktion von Billigfleisch funktioniert nur auf Kosten von Gesundheit, Tier und Umwelt“, teilte Stephanie Töwe von der Naturschutzorganisation mit. (mit dpa)