Essen. Der einstige Lobbyschreck Lauterbach hinterlässt die höchsten Kassenbeiträge aller Zeiten. Was die nächste Bundesregierung dagegen tun muss.

Nicht ganz überraschend gehen die ersten Babyboomer in Rente und reißen noch weniger überraschend ein, zwei Löcher in unsere Sozialkassen. Am offensichtlichsten und deshalb meist diskutiert ist die Belastung der Rentenkasse. Dass die Alterung unserer Gesellschaft sie an die Grenzen der Finanzierbarkeit bringen würde, wissen wir seit Jahrzehnten - und haben die Rentenversicherung trotzdem bis heute nicht ausreichend darauf vorbereitet. Doch es geht noch schlimmer: Während die schrittweise Anhebung des Rentenalters auf 67 das System zumindest etwas stabilisiert, haben wir das Gesundheits- und das Pflegesystem weitgehend sich selbst überlassen. Mit verheerenden Folgen, wie die nun anstehenden Beitragssprünge zeigen.

Bei den Dauerdebatten über die Zukunft der Rente ging in den vergangenen Jahren zuweilen völlig unter, dass eine immer älter werdende Gesellschaft auch das Gesundheitswesen vor riesige Herausforderungen stellt. Sie sind noch größer als die der Rentenkasse, denn während die „nur“ ein Finanzproblem lösen muss, gehen dem Gesundheitssektor sowohl die Beschäftigten als auch die Gelder aus.

Überhörtes Alarmsignal: Krankenkasse erstmals teurer als Rentenkasse

Dass mit der Knappschaft ab Januar zum ersten Mal eine gesetzliche Krankenkasse höhere Beiträge nimmt als die Rentenversicherung, ist ein Alarmsignal, das eigentlich nicht zu überhören sein sollte. Doch bei den wahlkämpfenden Parteien mit ihren Spitzenpolitikern scheint das Thema zweitrangig bis noch gar nicht angekommen. Dabei bleiben die Rentenbeiträge zum neuen Jahr stabil, was nach oben schießt und die Wirtschaft damit enorm belastet, sind die Beiträge der Kranken- und der Pflegeversicherung.

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Es ist fast tragisch, dass dies zum Ende der Amtszeit Lauterbachs passiert, dem einstigen Gesundheitsminister der Herzen. In der SPD war er zuvor stets der Politiker, der sich am härtesten und leidenschaftlich mit den großen Lobbyverbänden der Pharmaindustrie, der Ärzte und Apotheken angelegt hat. Als Minister liefen ihm dann aber die Kosten davon. Seine Bilanz könnte aus rein finanzieller Sicht kaum schlechter sein.

Eine einfache Lösung gab und gibt es nicht. Stattdessen muss die neue Regierung an vielen Schräubchen im System drehen. Die Kosten für Medikamente und Krankenhausaufenthalte müssen gebremst werden. Lauterbachs Klinikreform kann dazu einen Beitrag leisten, freilich nicht ohne schmerzhafte Einschnitte für Kliniken und Patienten.

Ebenso muss Lauterbachs Nachfolger und Nachfolgerin, sollte er nicht selbst in einer großen Koalition weitermachen dürfen, auch ernsthaft über Forderungen der Kassen nachdenken: Sie möchten, dass der Staat die Beiträge entlastet, indem er Steuermilliarden ins System pumpt. Das wäre, natürlich, nicht viel mehr als eine Verschiebung des Problems in einen anderen Topf. Es würde aber immerhin Geringverdiener entlasten, weil sie wenig bis keine Steuern, aber die vollen Sozialbeiträge zahlen müssen.

Sozialbeiträge sollten nicht über 40 Prozent liegen

Auch ist die Forderung aus der Wirtschaft, die Sozialbeiträge bei insgesamt 40 Prozent zu deckeln, nicht aus der Luft gegriffen. Mit diesem Versprechen war einst ein Kanzler namens Gerhard Schröder angetreten, dessen Agenda 2010 es auch vorübergehend einlöste. Inzwischen sind die Beiträge höher als zum Ende der Kohl-Ära. Höchste Zeit für eine neue Agenda, die länger als bis zur nächsten Bundestagswahl wirkt.