Essen. Fernwärme kommt häufig aus Gas- und Kohlekraftwerken. Das kritisiert die Umweltorganisation WWF. Wie Fernwärme nachhaltiger werden kann.
Um künftig klimaschonender zu heizen, setzt Deutschland neben Wärmepumpen vor allem auf Fernwärme. Doch wie grün ist Fernwärme eigentlich? Noch nicht sonderlich, zeigt eine neue Studie der Umweltschutzorganisation WWF. Demnach gehe Fernwärme im Moment „zu einem Großteil noch auf die Verbrennung fossiler Energien wie Kohle und Gas zurück“, heißt es in der Studie.
Der WWF hat untersuchen lassen, wie viele Haushalte bereits Fernwärme beziehen, in welchen Ländern sie wie stark verbreitet ist – und vor allem, wie nachhaltig die Wärme jeweils erzeugt wurde. Das Ergebnis ist ernüchternd: Weil als Wärmequellen oft noch Gas- und Kohlekraftwerke dienen, sei auch die Klimabilanz der Fernwärme nicht sehr gut. So werden in NRW pro Kilowattstunde (kWh) Wärme 300 Gramm CO2 ausgestoßen. Den höchsten Wert erreicht Bremen mit 474 Gramm CO2, die niedrigsten das Saarland mit 239 Gramm.
Fernwärme grüner machen
In NRW ist Fernwärme damit weniger grün als eine herkömmliche Gasbrennwertheizung. Laut WWF-Studie stößt eine Gasheizung im Durchschnitt 247 Gramm CO2 pro kWh Wärme aus, also gut ein Fünftel weniger als die Fernwärme im NRW-Schnitt. Um die Fernwärme grüner zu machen, müsse verstärkt auch Geothermie und Abwärme aus „unvermeidbaren industriellen Prozessen“ genutzt werden, fordert der WWF. „Im Ruhrgebiet wären das zum Beispiel viele bislang nicht an das Fernwärmenetz angeschlossene Industrieanlagen“, sagte WWF-Sprecher Sebastian Breer im Gespräch mit unserer Redaktion.
Zusätzlich könnten Großwärmepumpen helfen. Diese ziehen Wärme beispielsweise aus der Luft oder dem Boden und speisen sie dann zur Nutzung in das Netz ein. Während die handelsüblichen Wärmepumpen einzelne Häuser beheizen, können Großwärmepumpen ganze Wärmenetze speisen. „Auch zum Beispiel die Abwärme aus U-Bahn-Schächten lässt sich für Fernwärme nutzen“, sagt WWF-Sprecher Breer. Neben der Wärmequelle sei ebenso wichtig, die Gebäude so energiesparend auszustatten, dass sie möglichst wenig Wärme nach außen abgeben.
Fernwärme noch wenig genutzt
Noch ist Fernwärme in NRW nicht sehr verbreitet: Obwohl es hier mit knapp 5000 Kilometern das längste Fernwärmenetz in Deutschland gibt, sind noch nicht viele Haushalte daran angeschlossen. Mit 10,9 Prozent aller Haushalte liegt NRW laut der WWF-Studie bundesweit nur auf dem elften Platz.
Das unterscheidet sich aber nach den Regionen. Fernwärme eignet sich besonders für Ballungsräume, deshalb ist sie gerade im Ruhrgebiet bereits deutlich weiter verbreitet. In Essen etwa sind rund 30 Prozent des Wärmebedarfs durch das Fernwärmenetz der Steag-Tochter Iqony abgedeckt – und immer mehr Haushalte fragen einen Anschluss an.
Rund sechs Millionen der 43 Millionen Wohnungen in Deutschland werden derzeit mit Fernwärme beheizt, das sind etwa 14 Prozent. Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK (AGFW) hält es für realistisch, dass bis 2050 bundesweit drei Mal so viele Haushalte mit Fernwärme versorgt werden als heute. Perspektivisch wolle man auf 18 bis 20 Millionen Wohnungen kommen, vor allem in Mehrfamilienhäusern in den Städten und dicht besiedelten Gebieten, erklärte der AGFW 2023. Dieses Ziel hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) übernommen.
Nur 20 Prozent erneuerbare Energien
Zudem schreibt das aktuelle Wärmeplanungsgesetz vor, dass die Wärmeerzeugung in Deutschland bis 2045 vollständig klimaneutral werden soll. Darunter fällt auch die Produktion von Fernwärme. Nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) von Juli 2024 decken erneuerbare Energien derzeit erst rund 20 Prozent der leitungsgebundenen Wärmeerzeugung in Deutschland ab. Um die gesetzlichen Vorgaben zur Klimaneutralität bis 2045 zu erfüllen, muss also in diesem Sektor noch einiges passieren.
Das gilt auch für den Anbieter Iqony, der allein in Essen, Gelsenkirchen und Bottrop rund 275.000 Wohnungen mit Fernwärme versorgt. Das Ziel sei es, bis 2040, also noch fünf Jahre vor der gesetzlichen Frist, klimaneutral zu werden, sagt ein Sprecher. Dazu prüfe die Firma zum Beispiel im Saarland, aber eben auch im Ruhrgebiet, ob sich hier geeignete Industrieanlagen zur Nutzung der Abwärme finden.
Wärme aus Müllverbrennungsanlage zum Heizen
Schon genutzt werde beispielsweise Wärme aus Müllverbrennungsanlagen. Dabei handelt es sich um die unvermeidbaren Prozesse, die der WWF als Teil der Lösung sieht. Deshalb gilt diese Fernwärme als klimaneutral. Auch darum sieht sich Iqony auf dem Weg zu grüner Fernwärme bereits weiter als andere Versorger. Je rund 31 Prozent der Energiequellen stammten aus Erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Industrie-Abwärme. Damit stößt Iqony nach eigenen Angaben nur 90 bis 108 Gramm CO2 je kWh aus – also etwa ein Drittel des NRW-Durchschnitts.
Iqony weist aber auch auf ein Problem mit der Abwärme hin: So werde nicht immer genau dann Abwärme erzeugt, wenn sie auch in den Haushalten benötigt wird. Um diese Schwierigkeit zu überwinden, brauche man Speicheranlagen. Im Ruhrgebiet gibt es dafür bereits Pläne, so hat die Essener Firma beispielsweise bereits in einen Wärmespeicher in Gelsenkirchen investiert.
Fernwärme in der Kritik
Zuletzt war die Fernwärme häufig in der Kritik, weil die Preise in der Energiekrise 2022 enorm angestiegen sind und sich die Verbraucher nicht dagegen wehren können. Da es an jedem Ort immer nur einen Versorger gibt, kommt ihnen monopolartige Stellung zu. Allerdings haben mehrere Anbieter im Ruhrgebiet, darunter auch Iqony, angekündigt, ihre Preise zum Jahresbeginn wieder deutlich zu senken.
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