Dortmund. Dortmunder Stadtwerke: Energietochter legt Bilanz mit roten Zahlen vor. Was sie über die Skandale um Stadtenergie, Fehleinkäufe und Heim aussagt.
Die von Skandalen geplagte Dortmunder Energie- und Wasserversorgung (DEW21) hat im vergangenen Jahr einen Nettoverlust von 3,6 Millionen Euro eingefahren und ihre Gewinnprognose für das laufende Jahr kassiert. Das geht aus dem Geschäftsbericht hervor, den das Unternehmen am Freitag ohne Ankündigung auf seiner Homepage veröffentlicht hat. Einen Tag, nachdem unsere Redaktion eine Rekonstruktion der Vorgänge bei DEW21 und ihrer Ökotochter Stadtenergie veröffentlicht hat.
Wer sich vom Geschäftsbericht Aufklärung darüber erhofft hatte, was bei DEW21 so schiefgelaufen ist und warum die ehemalige Geschäftsführerin Heike Heim nach ihrer Beförderung Chefin der Holding DSW21 fristlos entlassen wurde, wird aber enttäuscht. Die Probleme bei der Energiebeschaffung im Zuge der Gaskrise nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 sowie das angebliche Verheimlichen wichtiger Fakten vor dem Aufsichtsrat kommen allenfalls am Rande vor.
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In unserer Rekonstruktion der Vorgänge bei DEW21 während der Zuspitzung der Energiekrise 2022 berichten Insider und Beteiligte, die sämtlich anonym bleiben wollen, wie die Energiebeschaffung im Jahr 2022 zeitweise völlig aus den Fugen geriet und der Handel sogar für vier Wochen ausgesetzt werden musste. „Wir waren im totalen Blindflug”, sagte einer, der damals dabei war.
Auf der Suche nach dem 100-Millionen-Euro-Schaden unter Heike Heim
In der nun veröffentlichten Bilanz für das Folgejahr 2023, die laut Geschäftsbericht stark von den Beschaffungsproblemen geprägt war, spiegeln sich diese massiven Probleme jedoch inhaltlich allenfalls in Ansätzen und in den Zahlen gar nicht wider.
Insbesondere liefert auch diese Bilanz wie schon die der Stadtwerkemutter DSW21 für 2023 keinerlei Nachweis dafür, wie der immer wieder kolportierte Schaden von angeblich 100 Millionen Euro zustande kommen soll, den das Unternehmen der seinerzeitigen DEW21-Chefin Heike Heim anlastet, die im Juni als DSW-Chefin wegen angeblicher Verfehlungen noch bei DEW fristlos entlassen wurde. Heim hat inzwischen Klage gegen ihre Entlassung eingereicht, wie das Landgericht Dortmund am Freitag bestätigte.
DEW21-Bilanz gibt keinen Aufschluss über die Folgen der Einkaufspolitik
Als Quelle für den 100-Millionen-Schaden hatten Insider immer wieder auf ein PwC-Gutachten verwiesen, das den Aufsichtsräten von DSW und DEW vorgelegt wurde. Allerdings haben nicht die von den Kontrolleuren beauftragten Wirtschaftsprüfer diese Summe errechnet, sondern die Geschäftsführung von DEW21 selbst, also Heims Nachfolger bei der Energietochter.
Nach unseren Recherchen steht im PwC-Gutachten etwa, dass man 70 Millionen Euro Gewinne gegenrechnen müsste, die durch Verkäufe von Teilmengen der als zu hoch kritisierten Risikopuffer zwischenzeitlich erzielt werden konnten. Es komme weniger auf die Zahlen an, mehr auf die Sachverhalte, rudert das Unternehmen inzwischen zurück. Fast folgerichtig fehlen auch in der DEW-Bilanz für 2023 Zahlen dazu.
Die Folgen der vom Unternehmen selbst eingeräumten zu teuren Einkaufspolitik unter Heim werden nun im Geschäftsbericht nicht beziffert. Der kommunale Energieversorger hat im vergangenen Jahr netto 3,6 Millionen Euro verloren und deshalb nicht wie geplant 30 Millionen Euro an die Muttergesellschaft DSW21 überwiesen, was auch deren Bilanz ins Minus gezogen hat. Vor Steuern liegt das Minus von DEW bei 2,8 Millionen Euro nach einem Gewinn von 71,2 Millionen Euro im Jahr 2022.
Rückstellungen von 74 Millionen Euro für Stadtwerke-Betrugsskandal
Die Differenz erklärt DEW ausschließlich mit ihren Rückstellungen für den Stadtenergie-Skandal in Höhe von 74 Millionen Euro. Sie entsprächen „dem voraussichtlichen Verlust der Stadtenergie“. Die Ökotochter hatte Zehntausenden ihrer Kunden zu hohe Preise berechnet und insgesamt 36 Millionen Euro zu viel kassiert. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugsverdachts.
Ohne Zahlen zu nennen, werden die problematischen Energieeinkäufe 2022 im Geschäftsbericht an mehreren Stellen beschrieben und für den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der DEW21 verantwortlich gemacht. Bei der Prognose für das laufende Jahr heißt es etwa: Die zuletzt für 2024 angepeilten 55 Millionen Euro Vorsteuergewinn würden „nicht erreicht werden“. Und zwar neben dem Stadtenergie-Skandal und weiter gesunkener Marktpreise wegen „der bereits im Wesentlichen in 2022 erfolgten Beschaffung der Energiemengen“.
Massive Kundenverluste durch hohe Preise bei DEW21
Nach unseren Recherchen haben Fehlkalkulationen bei Verbrauchsprognosen, Beschaffungsmengen und Preisprognosen 2022 zu verlustträchtigen Energieeinkäufen geführt, die das Unternehmen noch bis ins kommende Jahr hinein belasten werden. Zudem mussten die Dortmunder Stadtwerke wie die anderer Kommunen auch Tausende Neukunden von insolventen oder abgetauchten Billiganbietern aufnehmen und den von ihnen benötigten Strom und das Gas zu den teuren Marktpreisen zukaufen. Die auch durch Risikozuschläge für die Kundinnen und Kunden stark gestiegenen DEW21-Tarife hätten besonders 2023 zu massiven Kundenverlusten geführt.
Damit kämpft der Energieversorger nach wie vor: „Während die zu sehr hohen Preisen beschafften Energiemengen die Wettbewerbsfähigkeit von DEW21 beeinträchtigt hat, sind parallel viele Anbieter mit teils aggressiven Preisen an den Markt zurückgekehrt“, beschreibt das Unternehmen dies nun in seiner Bilanz, macht also äußere Umstände für die schwierige Lage verantwortlich. Denn die aktuell niedrigen Einkaufspreise nützen vor allem der Konkurrenz, insbesondere den wiedererstarkten Energiediscountern.
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Freilich hatten alle Grundversorger das Problem gestrandeter Kunden von Energiediscountern. In Dortmund gingen die Probleme tiefer, in den heißen Wochen Anfang 2022 sorgten zahlreiche interne Probleme von der IT bis zur Kommunikation zwischen Vertrieb und Handel für „Chaos“ und einen „Blindflug“, wie es Beteiligte von damals beschreiben.
DEW-Geschäftsführung lobt „hohes Maß an Kompetenz“ im Energiehandel
Die damalige DEW-Chefin Heike Heim ließ daraufhin die Beschaffungssystematik ändern. Zur obersten Stadtwerke-Chefin befördert wurde sie im Jahr darauf, bis Mai 2023 war sie für DEW21 verantwortlich. Und für jenes Jahr schreibt das Unternehmen nun in seinem Geschäftsbericht, die infolge der Krise besonderen Herausforderungen im Energiehandel zu meistern, erfordere „ein hohes Maß an Kompetenz, die DEW21 auch 2023 unter Beweis stellen konnte“. Zumindest für die ersten fünf Monate zeichnete dafür Heim verantwortlich, die ein Jahr später wegen ihrer damaligen Einkaufspolitik fristlos entlassen wurde.
Der vielleicht schwerwiegendste Vorwurf gegen Heim, sie habe in der Energiekrise ihre Geschäftsführungskollegen und den Aufsichtsrat nicht ausreichend über die Probleme bei der Energiebeschaffung informiert, ist natürlich kein Thema im Bilanzbericht. Zumindest irritierend klingt in diesem Zusammenhang aber die in solchen Berichten obligatorische Versicherung des Aufsichtsrates, er sei „regelmäßig und umfassend über den Gang der Geschäfte, die Entwicklung und Lage der Gesellschaft informiert“ worden. „Auch Fragen der Risikolage und des Risikomanagements wurden eingehend thematisiert“, heißt es ausdrücklich.
DEW-Aufsichtsrat: Wurden „regelmäßig und umfassend“ informiert
Im PwC-Gutachten, das der DSW-Aufsichtsrat unter Führung von Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) in Auftrag gegeben hatte, steht das Gegenteil: „Die (schriftliche) Aufsichtsratsinformation scheint wenig aussagekräftig.” Dies freilich für die Zeit der Beschaffungskrise im Jahr 2022, aber ebenfalls unter Führung von Heim. In dem sich abzeichnenden Rechtsstreit zwischen Heim und den Dortmunder Stadtwerken dürfte die Frage, wer was wann gewusst und wem gesagt hat, eine entscheidende Rolle spielen.
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