Duisburg. Thyssenkrupp Steel will HKM verkaufen oder schließen. IG Metall wirbt für Übernahme durch CE Capital. Investor hat namhaften Unterstützer.

Im Streit um die Zukunft der Stahltochter von Thyssenkrupp geht das Schicksal des zweitgrößten deutschen Stahlwerks fast unter: Die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden kämpfen ums nackte Überleben. Die geplanten Einschnitte beim großen Nachbarn aus dem Norden der Stadt könnten HKM die Existenz kosten, Thyssenkrupp würde seine Tochter im Notfall opfern. Aktuell einziger Hoffnungsträger ist die Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners (CEC).

Der mögliche Investor meint es aber offenbar sehr ernst, sucht bereits proaktiv neue Kunden und Lieferanten für HKM, wie unsere Redaktion aus Branchenkreisen erfahren hat. CEC will HKM demnach unabhängig von den bisherigen Eigentümern Thyssenkrupp Steel (50 Prozent), Salzgitter (30 Prozent) und Vallourec (20 Prozent) aufstellen – als eigenständiges Stahlwerk, das seine Brammen selbst vermarktet. Das wäre einmalig in Deutschland, bisher produzieren nur Konzerne Stahl, die ihn zum größten Teil auch selbst weiterverarbeiten.

Hamburger Investor CE Capital Partners plant ohne Kokerei und Hochöfen

Allerdings will CEC die Produktion auch deutlich verschlanken, sich auf die Produktion von Brammen konzentrieren, Hochöfen und Kokerei dichtmachen und anders als Thyssenkrupp auch keine mit Wasserstoff betriebene DRI-Anlage bauen. Sprich: CEC will mit weniger Beschäftigten als den aktuell 3000 auskommen.

Thyssenkrupp Steel-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel und die Arbeitnehmervertreter Tekin Nasikkol und Detlef Wetzel (von links) auf dem Weg in die Zentrale des Stahlkonzerns in Duisburg.
Thyssenkrupp Steel-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel und die Arbeitnehmervertreter Tekin Nasikkol und Detlef Wetzel (von links) auf dem Weg in die Zentrale des Stahlkonzerns in Duisburg. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Nach der denkwürdigen Aufsichtsratssitzung von Thyssenkrupp Steel Europe (TKS) vor knapp drei Wochen betraf die einzige belastbare Aussage den Duisburger Standort von HKM: Das Werk werde verkauft oder andernfalls geschlossen, stellte TKS-Aufsichtsratschef Sigmar Gabriel unmissverständlich klar. Zwar fügte er an, es werde keine betriebsbedingten Kündigungen geben, weil die HKM-Beschäftigten an anderen TKS-Standorten gebraucht würden. Doch angesichts der seitdem weiter eskalierten Lage schwindet im Arbeitnehmerlager der Glaube daran.

IG Metall sieht rund 10.000 Arbeitsplätze bei Thyssenkrupp bedroht

Die IG Metall warnt inzwischen vor dem Wegfall von 10.000 Arbeitsplätzen bei TKS und HKM, sollte sich Konzernchef Miguel López im Machtkampf gegen Stahlchef Bernhard Osburg durchsetzen. Dessen Sanierungskonzept geht López nicht weit genug, er warf dem Vorstand um Osburg öffentlich „Schönfärberei“ vor und forderte ein ambitionierteres Sparpaket. Fiele wirklich mehr als jede dritte der 27.000 Stahljobs bei Thyssenkrupp und ein großer Teil der Produktion weg, sei es kaum möglich, 3000 HKM-Kolleginnen und -Kollegen mal eben zu integrieren, warnen Skeptiker.

Kein Wunder, dass die IG Metall sich den Interessenten aus dem Norden genauer anschaut. Wer sind die Finanzexperten aus Hamburg? Wie kommen sie auf die Idee, ausgerechnet in ein Stahlwerk investieren zu wollen, dessen Mutter den Stahl ihrer Tochter selbst nicht mehr haben will? Dem Präsidium des TKS-Aufsichtsrats hat CE Capital Partners (CEC) sein industrielles Konzept bereits im Juli vorgestellt. Und in den darauffolgenden Wochen waren die Hamburger alles andere als untätig, wie unsere Redaktion in der Stahlbranche hört.

IG Metall über CE Capital: „Ein schlüssiges industrielles Konzept“

„In meiner Wahrnehmung meint es CE Capital sehr ernst und bringt ein schlüssiges industrielles Konzept mit, das es wert ist, genau geprüft zu werden“, sagte Knut Giesler unserer Redaktion, NRW-Chef der IG Metall. Aus seiner Sicht wäre ein Verkauf an die Hamburger – Stand jetzt – „die beste Lösung für HKM, auch wenn dabei absehbar ein paar Hundert Arbeitsplätze wegfallen würden“. Denn: „Umgekehrt würden rund 2000 Jobs gerettet, die bei einer Schließung des Werks dem Industriestandort NRW für immer verloren gingen.“

Die Capital Partners beschreiben sich auf ihrer Homepage selbst als „dezidierte Industrieexperten“ mit dem Fokus auf langfristige Entwicklungsstrategien für „Unternehmen in Sondersituationen“. Im Klartext: Krisen. In der deutschen Stahlbranche kennt man CEC spätestens seit der Übernahme der Mülheimer Friedrich Wilhelms-Hütte im Jahr 2021. CEC brachte die Stahlgießerei wieder auf Kurs und gab ein Jahr später die Mehrheit an den Rüstungskonzern Krauss-Maffei-Wegmann weiter, der seitdem Panzerstahl in Mülheim gießen lässt.

Früherer Saarstahl-Chef und VW-Vorstand Karlheinz Blessing für CEC aktiv

Aus der Friedrich Wilhelms-Hütte hört man auch im Nachhinein nichts Schlechtes über CEC. Die Übernahme von HKM wäre allerdings ein paar Nummern größer. Und Großes hat der potenzielle Investor auch vor mit dem Duisburger Stahlwerk, ist in der Branche zu vernehmen. Die möglichen Geldgeber haben sich für ihr Vorhaben hochkarätige Experten an die Seite geholt, darunter mit Karlheinz Blessing auch ein echtes Schwergewicht der deutschen Stahlindustrie. Blessing war Chef der Dillinger Hütte und von Saarstahl, anschließend Personalvorstand beim Autobauer Volkswagen.

Karlheinz Blessing, hier vor einigen Jahren bei einer Bilanzpressekonferenz der Volkswagen AG in Wolfsburg, ist für CE Capital in Sachen HKM aktiv.
Karlheinz Blessing, hier vor einigen Jahren bei einer Bilanzpressekonferenz der Volkswagen AG in Wolfsburg, ist für CE Capital in Sachen HKM aktiv. © dpa | Sebastian Gollnow

Um HKM aus seinen Abhängigkeiten zu Thyssenkrupp Steel und Salzgitter zu lösen, sondiert CEC bereits den Markt für potenzielle Abnehmer der Brammen. Das wären so genannte „Re-Roller“, die Warmband-Brammen kaufen und in eigenen Kaltbandwalzwerken für die metallverarbeitende Industrie veredeln. Sie bezogen ihre Brammen bisher zu großen Teilen aus Russland und der Ukraine.

Investor CEC will mit HKM Stahl aus der Ukraine und Russland ersetzen

Wegen der Sanktionen gegen den Agressor Russland und der Zerstörung des riesigen ukrainischen Stahlwerks in Saporischschja wird der Bedarf auf dem europäischen Markt zunehmend von Brammen aus China gedeckt. Die sind vergleichsweise günstig, der bürokratische Aufwand und die Lieferzeiten für Importe aus Fernost aber enorm. Weil mittelfristig viele europäische Hersteller, ob von Autos oder Windrädern, grünen Stahl benötigen werden, könnte hier eine Marktnische für einen unabhängigen Brammenhersteller und -Händler entstehen, so das Kalkül von CEC.

Grüner, günstiger Stahl – das klingt momentan freilich wie ein Paradoxon. Nicht ohne Grund rufen alle großen Stahlkonzerne nach dem Staat, weil sie die hohen Kosten für den Bau von Direktreduktionsanlagen (DRI) nicht stemmen können. In ihnen wird statt flüssigem Roheisen wie im Hochofen durch den Einsatz von Erdgas und später grünem Wasserstoff fester Eisenschwamm gewonnen. Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor Mittal hat der Bund bereits Milliardenhilfen für DRI-Anlagen genehmigt.

Weil aber erst ein kleiner Teil der hiesigen Hochöfen auf diese Weise ersetzt werden kann und zudem noch völlig unklar ist, wo die Unmengen an Wasserstoff herkommen sollen, die den Stahl erst grün machen würden, zweifeln in den deutschen Stahlkonzernen nicht wenige daran, ob man das alles selbst hinbekommt – oder am Ende das Roheisen doch wird zukaufen müssen. Mit Grünstrom produzierter Wasserstoff, der grünen Eisenschwamm (DRI) erzeugen kann, lässt sich in anderen Teilen Europas und der Welt möglicherweise günstiger herstellen – und importieren.

Hochöfen und Kokerei im Duisburger Süden könnten unnötig werden

Die jetzige Flüssigphase mit den Hochöfen bräuchte man dann nicht mehr, um Stahl herzustellen und zu veredeln. Genau das hat dem Vernehmen nach CEC im Duisburger Süden mit HKM vor. Die Kokerei, die Sinteranlage und die beiden Hochöfen würden demnach hinfällig.

Knut Giesler, IG Metall-Bezirksleiter NRW: DRI-Anlagen seien nicht die „einzige Option für jedes Stahlunternehmen der Republik“.
Knut Giesler, IG Metall-Bezirksleiter NRW: DRI-Anlagen seien nicht die „einzige Option für jedes Stahlunternehmen der Republik“. © dpa | Rolf Vennenbernd

In Elektrolichtbogenöfen, die CEC noch bauen lassen müsste, könnte dann zugekauftes Roheisen und Stahlschrott geschmolzen und ins Warmband gegossen werden. Unterm Strich könnte diese Methode am Ende der Transformation eine hohe dreistellige Zahl an Arbeitsplätzen kosten, heißt es aus Arbeitnehmerkreisen. CE Capital Partners wollte sich auf Anfrage mit Verweis auf die laufenden Verhandlungen weder zum Verfahren noch zu den Entwicklungsplänen der HKM äußern.

Ohne einen tiefgreifenden Umbau des Anlagenparks im Duisburger Süden würde HKM die Existenzgrundlage entzogen: Einer der beiden Hochöfen von HKM könnte voraussichtlich noch bis ins Jahr 2028 laufen – vielleicht etwas länger, vielleicht auch etwas kürzer. Der zweite Hochofen hat eine Perspektive bis etwa 2032. Daher drängt die Zeit. Auch der Bau von Elektrolichtbogenöfen muss organisiert und finanziert werden. Aufträge an Anlagenbauer – Unternehmen wie die nordrhein-westfälische SMS Group – müssten noch vergeben werden.

IG Metall: DRI-Anlagen nicht die einzige Option für deutsche Stahlindustrie

„Thyssenkrupp, Salzgitter und Arcelor Mittal wollen mit DRI-Anlagen eigenen grünen Stahl herstellen und werden darin von der Politik unterstützt. Das ist der richtige Weg und er sollte entschlossen weitergegangen werden“, betont Gewerkschaftschef Giesler, fügt jedoch an: „Das heißt aber nicht, dass dies die einzige Option für jedes Stahlunternehmen der Republik ist.“ Dass manche Investoren den hohen Kosten- und Zeitaufwand sowie die Unsicherheit, wo und wann der dafür benötigte Wasserstoff herkommen soll, scheuen, sei nachvollziehbar.

An Thyssenkrupp dürfte ein Verkauf an CEC nicht scheitern, man habe großes Interesse an einem Verkauf, sagte TKS-Aufsichtsratsvize Wetzel unserer Redaktion. Vallourec will ohnehin nur noch raus aus dem deutschen Stahlgeschäft. Die Gespräche mit Salzgitter dürften entscheidend werden. Auch dabei geht es wieder ums Geld. So wie der Essener Thyssenkrupp-Konzern seiner Stahltochter eine hohe Mitgift auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit wird geben müssen, gilt dies auch für die TKS-Tochter HKM. Zumindest hört man aus dem Duisburger Norden, dass für die Tochter im Süden ein „negativer Kaufpreis“ geboten werde.

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