Essen. Auf der Onlineplattform Kununu bewerten Beschäftigte anonym ihren Arbeitgeber. Jetzt drängt der Marktführer nach NRW - mit einem Ziel.
Wer einen neuen Job sucht, der liest nicht nur Stellenanzeigen. Der hört sich um: Wie gehen Vorgesetzte in einem interessanten Unternehmen mit ihren Mitarbeitenden um? Wie schätzen Beschäftigte die Karrierechancen ein und wie beschreiben sie die Arbeitsatmosphäre? Kununu gilt als das größte Online-Bewertungsportal für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im deutschsprachigen Raum. Hier berichten Beschäftigte anonym über ihren Arbeitsplatz und sollen so Entscheidungshilfen für potenzielle Bewerberinnen und Bewerber geben. In NRW will das Wiener Start-up an Marktmacht gewinnen - das gefällt nicht jedem.
„NRW ist die Region mit der größten Dichte an Arbeitnehmenden in Deutschland. Wir sehen hier viel Potenzial zu wachsen“, sagt Sprecherin Yenia Zaba. Das Bundesland sei spannend, weil sich hierzulande so viele Unternehmen mit dem Fachkräftemangel auseinandersetzen müssten, es zugleich viele klassische Bürojobs gebe. „Hier kann man sehen, wie sich die Menschen mit dem Thema Arbeit beschäftigten, was ihnen wichtig ist und wie Arbeitgeber mit ihren Beschäftigten umgehen.“
Bis zu 15.000 neue Kommentare in einer Woche: Kununu wächst
Kununu, das auf Suaheli „unbeschriebenes Blatt“ bedeutet, wächst seit Jahren rasant. Erst 2007 gegründet, zählt das Wiener Unternehmen mit inzwischen rund 230 Mitarbeitenden jeden Monat rund sechs Millionen Aufrufe. Beobachtern zufolge soll es wertvoller sein als der Mutterkonzern „New Work“, zu dem auch das Karriere-Netzwerk „Xing“ gehört. Für über 380.000 Firmen gibt es laut Kununu bereits Bewertungen und jede Woche kommen bis zu 15.000 neue Beurteilungen dazu - wie viele es allein in NRW sind, sagt Kununu nicht.
„Wenn wir relevant für die Nutzer sind, sind wir relevant für die Unternehmen.“
Nutzerinnen und Nutzer können kostenfrei und anonym bis zu fünf Sterne für verschiedenste Kategorien vergeben, Kommentare verfassen und eine Empfehlung für ihren Arbeitgeber oder Ex-Chef hinterlassen. Firmen wiederum können zwar kostenfrei auf Kritik und Lob antworten - damit sie sich als Arbeitgeber online aber auch profilieren können und über neue Bewertungen informiert werden, braucht es ein kostenpflichtiges Profil.
Die Gebühr richtet sich nach der Firmengröße und kann laut Kununu bei 3000 oder 30.000 Euro im Jahr liegen. Im Gegenzug gibt es auch Zugang zu erhobenen Daten: Bis zu zwei Millionen Datenpunkte sammelt Kununu im Jahr, veröffentlicht Gehaltsvergleiche und kürt gut bewertete Ausbildungsbetriebe. Derzeit gibt es rund 10.000 zahlende Kunden.
Tummeln sich also viele Menschen aus NRW auf Kununu, können Unternehmen im Kampf um Fach- und Arbeitskräfte das kaum ignorieren. „Wenn wir relevant für die Nutzer sind, sind wir relevant für die Unternehmen“, fasst Unternehmenssprecherin Zaba zusammen. Kununu profitiere von dem Bedürfnis der Menschen nach Orientierung, gerade Nachwuchskräfte suchten oft nach Informationen und Referenzen. Mit Werbekampagnen, Sport-Sponsoring und gezielter Unternehmensansprache wolle man in NRW mehr Nutzer gewinnen: „Wir wollen erreichen, dass die Menschen eine bessere Entscheidung für sich und ihren nächsten Arbeitsplatz treffen. Das hilft auch Unternehmern, die so eher die passenden Leute finden.“ Kununu investiere eine einstellige Millionensumme in den NRW-Vorstoß.
Unternehmen befürchtet Rufschädigung - ob Kritik berechtigt ist oder nicht
Darauf blicken Firmen vor Ort vielfach skeptisch. Kein Wunder: Negative Kommentare sind oft harsch formuliert. Auf einem beispielhaften Profil muss sich ein Unternehmen aus dem Ruhrgebiet mit Vorwürfen öffentlich auseinandersetzen, dass dort bis zum Umfallen gearbeitet werde, die Atmosphäre schlecht und die Bezahlung ausbaufähig sei. Wenn jemand anonym vom Leder ziehe, bedeute das für einen Arbeitgeber im schlimmsten Fall einen deutlichen Reputationsverlust, egal, ob die Bewertungen gerechtfertigt sind oder nicht, sagt Wolfgang Schmitz, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbands NRW.
Viele Personalabteilungen hätten zwar klare Strategien im Umgang mit Kununu und anderen Anbietern. „Aber dass eine anonyme Bewertungsplattform als Ventil für unzufriedene aktuelle oder ehemalige Beschäftigte dient, in der der Kontext fehlt und sich Vorwürfe nicht nachprüfen lassen – das ist in Zeiten des Fachkräftemangels für Unternehmen natürlich eine Herausforderung“, sagt Schmitz.
Unlängst hatte ein Unternehmen in Norddeutschland geklagt, weil es den Klarnamen eines besonders kritischen Nutzers wissen wollte. Es gewann in erster Instanz, in zweiter bekam Kununu vorerst recht.
Kununu: Jede Bewertung wird automatisiert geprüft und geht bei Problemen offline
Die Plattform selbst betont, dass jede Bewertung automatisiert geprüft werde, bevor sie online geht. Fake- oder Mehrfachbewertungen sollen so herausgefiltert werden. Wenn eine gültige Mailadresse fehlt oder Führungskräfte namentlich genannt und beleidigt werden, schalten sich Mitarbeitende ein. Das Feedback geht dann zunächst offline. Unternehmen und andere Nutzerinnen und Nutzer können bedenkliche Inhalte zudem melden. Nicht zu prüfen sei, ob jemand tatsächlich bei einem Unternehmen gearbeitet habe. Der Prozess werde aber immer wieder verbessert, sagt Yenia Zaba.
Peter Diekmann berät als Fachmann für Krisenkommunikation Unternehmen mit bis zu 2000 Beschäftigten. Er empfiehlt Firmen, digitale Kanäle im Blick zu haben. „Nur weil meine Firma kein eigenes Google-Konto hat, verhindert das nicht, dass Menschen auf Google über mich sprechen. Man sollte das als Chance sehen, das Gespräch positiv zu begleiten.“ Auch unverschämte Pauschalkritik könne man etwas Gutes abgewinnen: „Firmen zeigen, dass sie souverän mit solchen Angriffen umgehen. Auch das ist Werbung.“
Kununu-Sprecherin Zaba verweist auf eine Studie, nach der drei Viertel der Nutzerinnen und Nutzer auf die Firmenantworten schauten. Die Art und Weise der Arbeitgeberkommunikation sei für viele entscheidend bei der Frage, ob ein Unternehmen für sie infrage komme oder nicht.