Essen. NRW streicht vielen Kliniken lukrative Stationen, Widerstand ist programmiert. Warum das aus Patientensicht trotzdem richtig ist.

Minister Laumann tut mit seiner Klinikreform vielen weh: Einzelnen Kliniken, die im Zweifel ihre rentabelste Abteilung verlieren, Stadtteilen, in denen bestimmte Operationen, Geburten oder Krebsbehandlungen gar nicht mehr angeboten werden. Was soll daran gut sein, wenn die letzte Frühchen-Station in der Nähe geschlossen wird oder in der Stadt keine Wirbelsäulen mehr operiert und keine Knieprothesen mehr eingesetzt werden? Hinzu kommt noch die Finanzierungsreform des Bundesgesundheitsministers Lauterbach, die viele Kliniken ebenfalls mehr als Bedrohung denn als Verbesserung wahrnehmen. Reformieren Bund und Land unsere Kliniklandschaft kaputt?

Nein, insgesamt nicht, aber schon gar nicht im Ruhrgebiet. Stattdessen haben beide Reformen das Potenzial, die Versorgung gerade in Ballungsgebieten zu verbessern, sie sind im Grunde gemacht für das Ruhrgebiet. Doch das ist nicht leicht zu verstehen. Was helfen kann, ist ein Perspektivwechsel: Landauf, landab wird über das marode deutsche Gesundheitssystem geklagt, darüber, dass Ärzte und Pflegepersonal kaum noch Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben - und trotzdem alles immer teurer wird. Wenn das stimmt, und in vielen Bereichen tut es das vor allem in den Krankenhäusern, dann braucht dieses System dringend Veränderungen. Vor diesem Hintergrund verdienen es die nun vorgelegten Reformen, nicht nur an ihren Härten gemessen zu werden, sondern vor allem daran, was sie verbessern können.

Die Liste der Grausamkeiten soll Spitzenmedizin für alle zum Standard machen

Und hier wiederum hilft es, die Perspektive der Patientinnen und Patienten einzunehmen statt die der Klinkmanager. In der aktuellen Liste der Grausamkeiten von Laumann, die bestimmte Operationen und Behandlungen nur noch einigen Kliniken erlaubt und anderen wegnimmt, geht es um Spitzenmedizin, um hochspezialisierte Bereiche, nicht um die Grundversorgung. Es geht um komplizierte Eingriffe, die bestmögliche Behandlung von Frühgeborenen, um Organtransplantationen, Prothesen-Chirurgie und besonders schwierige Krebs-Operationen.

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Jede und jeder Betroffene befindet sich in einer Ausnahmesituation und hofft zu Recht auf die bestmögliche Behandlung. Und die bieten erwiesenermaßen vor allem Kliniken, die sich auf solche Eingriffe und Behandlungen spezialisiert haben. Wer das weiß, wird eine etwas längere Fahrt ins Krankenhaus gerne auf sich nehmen.

Und in fast keiner anderen Region gab und gibt es mehr Kliniken und mehr Doppelstrukturen als im Ruhrgebiet. Und in wahrscheinlich wirklich keiner anderen Region bleiben die Wege zur nächsten Spezialklinik trotz Laumanns Reform so kurz. Für die Patientinnen und Patienten bringt das große Vorteile, das unterstreicht sogar die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, also die oberste Kliniklobby in NRW.

Lauterbachs Finanzreform muss zu Laumanns Strukturreform passen

Doch klar ist auch: Viele Krankenhäuser trifft der Verlust einträglicher Abteilungen hart, einige wird es in existenzielle Schwierigkeiten bringen, manche müssen womöglich schließen. Bedrohlich wird es vor allem dort, wo Lauterbachs geplante Finanzreform, die ab 2025 greifen soll, ebenfalls die Einnahmen drückt. Er will weg von den reinen Fallpauschalen. Die haben dazu geführt, dass lukrativere Eingriffe besonders oft und nicht selten auch unnötig durchgeführt wurden. Jedes einzelne Haus wird das abstreiten, doch die Daten sprechen eine eindeutige Sprache.

Glücklich waren die Kliniken mit den Fallpauschalen nie, eigentlich müssten sie sich über Lauterbachs Pläne freuen. Aber nur eigentlich. Denn er kehrt nicht zur früheren Praxis zurück, die tatsächlichen Kosten der OP und des Klinikaufenthaltes zu bezahlen. Auch das setzte Fehlanreize, etwa für unnötig lange Klinikaufenthalte. Künftig soll es zweierlei geben: Fallpauschalen wie bisher und Pauschalen für das Vorhalten von Betten und Personal, sprich für die tatsächlichen Betriebskosten. Je nach Art der Abteilung schwanken die Anteile der beiden Einnahmequellen zwischen 40 und 60 Prozent.

Wer sich gut mit den Fallpauschalen arrangiert hat, fürchtet die Reform

Auch das neue Bezahlsystem wird für viele Häuser heikel, denn es hat ebenfalls zum Ziel, dass sich bestimmte Bereiche, in denen eine Klinik nur wenige Fälle behandelt, nicht mehr rechnen und geschlossen werden. Darüber hinaus haben die kaufmännischen Klinikchefs ihre Häuser selbstredend bestmöglich auf das Fallpauschalen-System eingestellt. Je besser sie das geschafft haben, desto eher erwarten sie durch die Lauterbach-Reform mehr Nach- als Vorteile.

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Deswegen wird entscheidend sein, ob beide Reformen zusammenpassen oder nicht. Laumann und Lauterbach sind zwei sehr erfahrene Gesundheitspolitiker, mit die besten in Deutschland. In ihren Analysen und Zielen unterscheiden sie sich kaum. Deshalb wäre es eine Katastrophe, wenn sich ihre Reformen nicht ergänzen, sondern wechselseitig derart verstärken, dass sie übers Ziel hinausschießen. Und Stationen oder gar ganze Kliniken schließen müssen, die noch gebraucht werden. Laumann lehnt es deshalb ab, dass Lauterbach mit darüber entscheiden will, welche Stationen in welcher Klinik wo schließen sollen. Verständlicherweise, denn das ist Ländersache.

Der Staat muss den Kliniken beim Umbau finanziell helfen

Laumanns Strukturreform zwingt fast jedes Krankenhaus dazu, sich zu verändern, seine Leistungsstruktur, aber auch seine Räumlichkeiten umzubauen. Das kostet Geld. Die Mahnung der Krankenhausgesellschaft, die Kliniken nicht auf diesen Transformationskosten sitzen zu lassen, ist mehr als berechtigt. Auch muss der Minister die zu erwartenden massiven Widersprüche aus den Städten in jedem einzelnen Fall ernstnehmen.

Die Kliniken bewegen sich nicht in der freien Wirtschaft, sondern werden im Wesentlichen durch das Solidarsystem der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Nur deshalb darf der Staat ihnen Reformen wie diese zumuten. Doch er muss sie aus demselben Grund auch finanziell stützen, wenn er ihnen Veränderungen auferlegt. Auch das ist im Sinne der Allgemeinheit.