Essen. Gesundheitswirtschaft verteidigt Spitzenplatz als Jobmotor. Auch Freizeitbranche legt zu. Ein großer Wirtschaftszweig verliert Stellen.
Parkinson-Patienten leiden häufig unter Gehstörungen. Das niederländische Start-up Cue2walk hat ein kleines Gerät erfunden, das dem Knie die nötigen Impulse gibt. Inzwischen sind die Gründer auch im Ruhrgebiet unterwegs. Sie wollen die hiesige Gesundheitswirtschaft als „Sprungbrett“ nach Europa nutzen.
Cue2walk ist eines von zahlreichen Beispielen, mit denen die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Business Metropole Ruhr (BMR) wirbt. Denn die Gesundheitswirtschaft ist nicht nur der größte Arbeitgeber im Ruhrgebiet. Hier sitzen auch renommierte Spitzenmediziner, die internationale Anziehungskraft nicht nur auf Innovationen aus den Niederlanden ausüben. Gemeinsam mit hiesigen Partnern will das Start-up seine Technik auch auf den deutschen Markt bringen.
Industrie ist zweitgrößter Arbeitgeber im Ruhrgebiet
Nach Zahlen des Wirtschaftsberichts, den die BMR am Freitag in Essen vorstellte, ist inzwischen jeder fünfte Arbeitsplatz im Ruhrgebiet der Gesundheitswirtschaft zuzuordnen. Im vergangenen Jahr arbeiteten 371.087 Menschen in der Branche, das waren noch einmal knapp 4000 oder 1,1 Prozent mehr als im Vorjahr. „Der Leitmarkt Gesundheit ist nicht nur der arbeitsplatzintensivste in der Metropole Ruhr, sondern auch Aushängeschild. Unsere Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind international als Partner gefragt“, sagt BMR-Geschäftsführer Jörg Kemna.
Schon seit einigen Jahren hat die Gesundheit die Industrie als Jobmotor des Ruhrgebiets überholt. Letztere kommt immerhin noch auf einen Anteil von 18 Prozent. Doch große Konzerne wie Thyssenkrupp Steel und Evonik wollen Stellen abbauen. „Mit mehr als 333.000 Arbeitsplätzen ist die Industrie immer noch ein signifikanter Leitmarkt im Ruhrgebiet“, unterstreicht der Chefwirtschaftsförderer. „Auch wenn es für unsere Unternehmen wegen hoher Energiepreise, CO2-Abgaben, viel Bürokratie und Steueranreize etwa in den USA immer schwerer wird, wettbewerbsfähig zu bleiben.“
Gemessen am Umsatz hat die Industrie mit 83 Milliarden Euro immer noch klar die Nase vor der Gesundheitswirtschaft, die auf 23,6 Milliarden Euro kommt. Allerdings muss sich die Industrie auch im Umsatzranking mit Platz zwei zufriedengeben. Der Leitmarkt Ressourceneffizienz, zu dem unter anderem die großen Energiekonzerne RWE, Eon oder Steag gehören, kommt auf einen Umsatz von fast 124 Milliarden Euro. Auf die in die Höhe geschnellten Preise ist es wohl zurückzuführen, dass allein die Erzeugung und Verteilung von Energie im Ruhrgebiet ein Umsatzplus von 44,3 Prozent verbuchen kann.
Kemna ist mit der Entwicklung zufrieden. „Wir sehen einen Aufbau von Beschäftigung in fast allen Leitmärkten des Ruhrgebiets. Das ist ein positives Signal. Die Konjunktur hat diese gute Entwicklung nicht erwarten lassen“, sagt der BMR-Geschäftsführer. Am Stichtag 30. Juni 2023 gingen im Ruhrgebiet 1.857.371 Menschen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Das waren knapp 10.000 mehr als im Vorjahreszeitraum. „Im Ruhrgebiet haben wir damit die höchste Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter seit Beginn der Erhebung im Jahr 1978“, meint Kemna.
Flaute am Bau: Weniger Stellen
Allerdings verlief der Stellenaufbau im Revier mit 0,5 Prozent zuletzt gedämpfter als im Durchschnitt des Bundes (+0,8 Prozent) oder des Landes NRW (+0,7 Prozent). Für bemerkenswert hält der Wirtschaftsförderer dennoch, dass zuletzt trotz Wirtschaftsflaute Stellen geschaffen worden seien. „Bruttoinlandsprodukt und Beschäftigung haben sich offenbar entkoppelt. Das liegt auch am wachsenden Dienstleistungssektor, der für Schwankungen nicht so anfällig ist. Hier gibt es nicht die Notwendigkeit, unmittelbar Stellen abzubauen“, liefert Kemna eine Erklärung.
Ein Symptom der Wirtschaftsschwäche ist die Flaute auf dem Bau. Wegen stark gestiegener Preise und Zinsen ist der Wohnungsbau nahezu zum Erliegen gekommen. Das bekommt auch die Branche im Ruhrgebiet zu spüren: Der Leitmarkt Urbanes Bauen und Wohnen hat im vergangenen Jahr 4088 Beschäftigungsverhältnisse verloren, ist aber mit 11,3 Prozent immer noch der drittgrößte Arbeitgeber. Die 39.243 Unternehmen konnten ihren Umsatz um satte 8,2 Prozent auf knapp 47 Milliarden Euro steigern.
Freizeitbranche wächst wieder
Nach Ende der Corona-Pandemie hat die Freizeitbranche dagegen wieder Auftrieb. Sie steigerte ihren Umsatz um 16,3 Prozent auf 14,2 Milliarden Euro. Die Zahl der Unternehmen wuchs um 6,4 Prozent auf fast 20.000. Als Sinnbild für den Event-Standort Ruhrgebiet hat die BMR die neue Luftschiffhalle des Mülheimer Betreibers WDL als Titelbild für den Wirtschaftsbericht ausgewählt. Die Halle aus Holz und Glas stehe gleich für mehrere Branchen: Ressourceneffizienz, Mobilität und Freizeit, so Geschäftsführer Kemna.
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