Düsseldorf. An den NRW-Flughäfen herrschen chaotische Zustände. Personal fehlt, Besserung ist kaum in Sicht. Ein Überblick zu den wichtigsten Fragen.

Die Corona-Pandemie hat den Flugverkehr weitgehend lahmgelegt. Nun, da der Deutschen Reiselust zurückgekehrt ist, sind es die Massen der Reisenden, mit denen die Flughäfen zu kämpfen haben. Es fehlt an Personal vor allem an den Personenkontrollen und in der Gepäckabfertigung, stundenlange Wartezeiten, gestrichene Flüge und verschwundenes Gepäck sorgen für teils chaotische Zustände. Warum es so schwer ist, Menschen für diese Jobs zu finden und ob unter den rund 650.000 Arbeitslosen in NRW sich nicht genug finden lassen müssten, wie der SPD-Politiker Serdar Yüksel fordert – hier die wichtigsten Fragen und Antworten:

Warum kommt es etwa am Flughafen Düsseldorf zu langen Wartezeiten?

Nachdem die Essener Kötter-Gruppe den Vertrag mit der Bundespolizei nicht verlängert hatte, übernahm vor zwei Jahren die Unternehmensgruppe Piepenbrock mit ihrer Tochter DSW die Kontrollaufgaben. Zu unseren Fragen wollte sich das Unternehmen nicht äußern. Aus gut informierten Branchenkreisen verlautet aber, dass DSW für diesen Sommer nur mit einem Fluggastaufkommen von 70 Prozent im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie kalkuliert habe. Der Airport rechnet für die Ferienzeit nun mit durchschnittlich 80 Prozent. Allerdings schwankt das Passagieraufkommen stark: In den vergangenen Tagen waren es tatsächlich im Schnitt nur 70 Prozent, aber mit großen Ausschlägen nach oben, bis 100 Prozent: „In einzelnen verkehrsreichen Stunden erreicht das Passagieraufkommen dabei die Zahlen aus 2019“, so ein Airport-Sprecher.

Haben sich die privaten Sicherheitsunternehmen verkalkuliert?

Ja, sagen Branchenkenner. Vor der Hauptreisezeit seien zu wenige Mitarbeitende eingestellt worden, heißt es selbst aus Kreisen der Sicherheitsunternehmen. Der Gewerkschafter Özay Tarim, der sich bei Verdi um das Sicherheitspersonal an den NRW-Flughäfen kümmert, spricht Klartext: „Die Sicherheitsunternehmen sind gewinnorientiert, da wird an einer Stelle immer gespart: dem Personal. Das rächt sich, wenn die Gästezahlen steigen.“ Jürgen Grenz, Chef der Personalmarktforschung Index, sagt: „Der viel zu späte Start der Recruiting-Aktivitäten“ sei ein wesentlicher Grund für die aktuellen Probleme.

Was tun die Sicherheitsfirmen jetzt, um mehr Personal zu finden?

Im ersten Halbjahr 2022 haben Sicherheitsunternehmen und Flughäfen ihre Ausgaben für Stellenanzeigen in Printmedien und auf Online-Jobbörsen deutlich erhöht: Für Security-Stellen wurden Anzeigen für 710.000 Euro geschaltet, ein Plus von 65 Prozent zum Vorjahreszeitraum, ergab eine Stellenmarkt-Auswertung von Index Research. Ausgeschrieben wurden rund 1400 Stellen, 550 mehr als im Vorjahreszeitraum. Allein in Düsseldorf fehlen laut Verdi rund 500 Kontrollkräfte.

Verdi-Gewerkschafter Özay Tarim kümmert sich um das Sicherheitspersonal an den NRW-Flughäfen.
Verdi-Gewerkschafter Özay Tarim kümmert sich um das Sicherheitspersonal an den NRW-Flughäfen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Wie viele Stellen wurden den Arbeitsagenturen gemeldet?

Insgesamt sind den Arbeitsagenturen in NRW aktuell 2136 offene Stellen in Personenschutzbereichen gemeldet, zu denen auch die Luftsicherheitsassistenten gehören – wie viele genau, lässt sich nicht sagen. Fest steht: Viele Stellen melden die Arbeitgeber den Agenturen nicht. „Es wundert mich schon sehr, dass die Arbeitgeber bisher nur vereinzelt Stellen in der Jobbörse der BA aufgeben haben, z.B. in Düsseldorf nur 13 Stellen für Gepäckabfertiger und nur eine Stelle für einen Luftsicherheitsassistenten“, sagte Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) unserer Redaktion. Und: „Ich erwarte nun, dass die Arbeitgeber ihre Aktivitäten auf dem Arbeitsmarkt schnell möglichst hochfahren und sich um zusätzliches Personal bemühen.“ Securitas organisiert mit der BA Informationsveranstaltungen.

Warum werden so wenige Arbeitslose in Jobs am Flughafen vermittelt?

Für die Jobs am Flughafen seien viele Arbeitslose aus verschiedenen Gründen nicht geeignet, heißt es aus der BA-Regionaldirektion in NRW. Für die Fluggastkontrolle etwa als sicherheitsrelevantem Bereich müssten diverse Voraussetzungen erfüllt sein wie ein sauberes Führungszeugnis, fließende Deutschkenntnisse in Wort und Schrift sowie die Bereitschaft zum Schichtdienst und ständige Erreichbarkeit. „Alle diese Voraussetzungen bringt nicht jeder mit. Eine Alleinerziehende etwa kommt für den Schichtdienst am Flughafen nicht infrage“, sagt eine BA-Sprecherin. Für die Gepäckabfertigung, eine körperlich sehr anstrengende Arbeit, kämen ältere Menschen und solche mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht in Betracht. Die meisten Arbeitslosen gibt es nach wie vor im Ruhrgebiet, hier ist allerdings auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen mit einem oder mehreren Vermittlungshemmnissen besonders hoch. Auch müssten die Beschäftigten den Flughafen schnell erreichen können, also ein eigenes Auto haben oder in der Nähe wohnen. Weite Pendlerwege mit dem eigenen Auto sind schon wegen der aktuellen Spritpreisen wenig attraktiv. Mit Bus und Bahn zum Flughafen zu kommen, wenn die Schicht um 3 Uhr morgens beginnt, wird schwer bis unmöglich, je nachdem wie weit weg man wohnt.

Bietet die Bundesagentur Flughafenjobs wegen der Notlage bevorzugt an?

„Die Aufgabe der Arbeitsvermittlerinnen und -vermittler ist es, für jeden Erwerbssuchenden eine zu ihm passende Tätigkeit mit guten Perspektiven zu suchen“, sagt die BA-Sprecherin. Zur individuellen Beratung passe es nicht, jetzt nur noch Flughafenjobs anzubieten, weil dort die Probleme gerade am größten sind. Zudem gebe es durchaus eine große Konkurrenz auch um Personal in einfach zu lernenden Tätigkeiten. Der kräftige junge Mann, der gut in die Gepäckabfertigung in Düsseldorf passen würde, könnte zum Beispiel auch in vielen Lagern eine willkommene Verstärkung sein.

Kann die Bundesagentur nicht eine Taskforce Flughafen bilden?

Das hat sie schon – und zwar in den Städten mit großen Airports, also in Düsseldorf, Köln und Bonn. Hier arbeiten die Teams, die sich um die Belange der Arbeitgeber, in dem Fall der Flughäfen kümmern, und die Jobvermittler eng zusammen, um für die vielen offenen Jobs geeignete Arbeitskräfte zu finden, heißt es aus der Regionaldirektion. Auch sei die BA „seit dem Frühjahr sehr präsent an den Flughäfen“, in Köln/Bonn mit einem eigenen Büro, an beiden Großairports mit regelmäßigen Aktionstagen, an denen für geeignet befundene Arbeitslose mit den Arbeitgebern an den Airports zusammengebracht werden. Zudem sei die BA auch mit dem Landesarbeitsministerium im Gespräch, um die Lage verbessern zu helfen.

Zum Beginn der Sommerferien stehen Passagiere vor den Schaltern im Flughafen Düsseldorf. NRW war als erstes Bundesland in die Ferien gestartet.
Zum Beginn der Sommerferien stehen Passagiere vor den Schaltern im Flughafen Düsseldorf. NRW war als erstes Bundesland in die Ferien gestartet. © dpa | David Young

Was sagt und tut die Landesregierung?

Arbeitsminister Laumann sieht „ganz klar“ die Arbeitgeber in der Verantwortung: „Zum einen konnte das Personal über die Pandemie trotz Kurzarbeitergeld und staatlicher Unterstützung nicht gehalten werden. Zum anderen haben sich die Betreiber nicht frühzeitig vorbereitet. Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen“, sagte er unserer Redaktion. Fachkräfte, die mit Blick auf Wochenend- und Nachtschichten hoch flexibel und motiviert sein sollen und die z.B. am Gepäckband keine körperliche Arbeit scheuen, müssten auch gut bezahlt werden. Das sei im Sicherheitsdienst der Fall, „mit etwas über 12 Euro pro Stunde in unteren Lohngruppen bekommt man heute aber keine Leute mehr – und das ist auch gut so“, sagte Laumann. Sein Ministerium und die Regionaldirektion würden nun „die beteiligten Unternehmen dazu auch an einen Tisch holen, um über Lösungsansätze zu beraten.“

Wie werden Luftsicherheitsassistenten bezahlt?

Die für Fluggast- und Gepäckkontrollen zuständigen Luftsicherheitsassistenten erhalten laut Branchentarifvertrag aktuell 19,81 Euro pro Stunde. Zum 1. Oktober 2022 steigt der Stundengrundlohn auf 20,00 Euro. Hinzu kommen Zuschläge für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Zusatzleistungen. Dazu gehören insbesondere die Jahressonderzahlung in Höhe von 25 Prozent eines monatlichen Regelentgeltes und eine monatliche Prämienleistung.

Warum tun sich die Dienstleister so schwer, die Stellen in der Fluggastkontrolle zu besetzen?

Die Securitas-Gruppe, die am Flughafen Köln-Bonn tätig ist, erklärt: „Tatsächlich sind die Schichtdienstzeiten an einem Flughafen mit 24-Stunden-Betrieb trotz tariflicher Schichtzuschläge nicht für alle attraktiv.“ Die Arbeitszeiten seien insbesondere für Beschäftigte mit Familie „eine Herausforderung“. Gewerkschafter Tarim sagt, es gebe zwar einige Interessenten, aber keiner bekomme einen Vollzeit-Vertrag. Sie würden dann in Teilzeit beschäftigt, aber in Vollzeit gebunden werden, weil die Arbeitgeber bei stark wechselnden Arbeitszeiten maximale Flexibilität verlangten.

Woran scheitern Kandidatinnen und Kandidaten für den Job als Luftsicherheitsassistent?

„Einige Kandidaten scheitern an den notwendigen Tests“, sagt der Securitas-Sprecher. Dabei gehe es insbesondere um die deutsche und englische Sprache, aber auch um Farbsehfähigkeit. Eine hohe Hürde sehen die Unternehmen vor allem in der Zuverlässigkeitsüberprüfung. Der „hohe Aufwand“ führe oftmals dazu, dass sich die Bewerberinnen und Bewerber „für andere Tätigkeiten entscheiden“. Die zehnwöchige Ausbildung mit abschließender Prüfung von der Bundespolizei habe zuweilen eine hohe Durchfallquote, sagt Verdi-Mann Tarim.

Wie lange dauert es, bis künftige Luftsicherheitsassistenten einsatzbereit sind?

„Vom Erstgespräch bis zur Aufnahme der Tätigkeit dauert es in der Regel fünf bis sechs Monate“, heißt es bei Securitas. Die hohen Qualifizierungs-Standards könne allein die Bundesregierung senken, verlautet aus der Branche. „Ein Einsatz zu den diesjährigen Sommerferien ist daher ausgeschlossen“, prognostiziert man bei Kötter. „Für uns ist das Kind in den Brunnen gefallen“, sagt auch Gewerkschafter Tarim. Weil allein die Zuverlässigkeitsüberprüfung neu eingestellter Beschäftigter sechs bis acht Wochen dauern kann, wären die Sommerferien vorbei, bevor die ersten Verstärkungen kommen.

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Und was ist mit dem Fracht- und Check-In-Personal?

Auch hier sind die Arbeitsbedingungen schwierig. Im Bereich Gepäck sei die Arbeit körperlich hart, erklärt Tarim, die Bezahlung aber trotzdem schlecht. Check-In-Mitarbeitende werden vor allem von externen Unternehmen beschäftigt – auch hier seien die Löhne nicht der Leistung entsprechend. Außerdem seien die Verträge für Neu-Einsteiger in der Regel auf zwölf Monate befristet.

Wann ist mit einer Entspannung der Lage bei den Fluggastkontrollen zu rechnen?

In der Branche rechnet niemand mit kurzfristigen Lösungen. Die nächste Nagelprobe wird bereits in den Herbstferien erwartet, die in Nordrhein-Westfalen vom 4. bis 15. Oktober angesetzt sind. Vor der Corona-Pandemie hat es am Flughafen Düsseldorf während der Herbstferien regelmäßig Tage gegeben, an denen das Passagieraufkommen noch höher war als im Sommer.