Jöhstadt/Olsberg. Energiewende ohne mehr Windkraft wird schwierig. Wie sehr, zeigt Sachsen. Die einzige Neuanlage 2021 geht aufs Konto eines Sauerländers.
Ein Sauerländer treibt die Energiewende im Freistaat Sachsen fast im Alleingang voran. Mit Blick auf den Windkraftausbau im vergangenen Jahr, stimmt diese Aussage zu einhundert Prozent.
Zugegeben, eine Momentaufnahme und auch „treiben“ ist angesichts der Dimensionen vielleicht etwas übertrieben. Dennoch: Für den Sauerländer Ingenieur Thomas Hachmann (60), Chef der New Energy GmbH aus Olsberg und Geschäftsführer von „Erzwind“ in Jöhstadt, scheint Windkraft neben dem Geschäft auch eine Herzensangelegenheit zu sein. Ende der 80er Jahre arbeitete er als Ingenieur im Anlagenbau bei der Deutschen Babcock an Rauchgasentschwefelung von Industrieanlagen, ehe er sich für frischen Wind entschied und als Windkraftanlagen-Projektierer selbstständig machte.
Seit beinahe drei Jahrzehnten wirkt Hachmann bereits in Jöhstadt im Mittelerzgebirge an der Klimawende mit. Wie es scheint, ein noch schwierigeres Unterfangen als vor der eigenen Haustür im idyllischen Hochsauerlandkreis in Nordrhein-Westfalen, wo Hachmann unter anderem 1999 am ersten Bürgerwindpark auf den Höhen bei Brilon (WP Madfeld/Bleiwäsche) mitwirkte.
Mehr Abbau als Zubau in Jöhstadt
Im Zusammenhang mit Windkraft lag Jöhstadt in Sachsen mit seinen heute noch etwa 2500 Einwohnern im stolzen Bundesland Sachsen einst ganz vorn. Auf 800 Meter Höhe über Normalnull befand sich der größte Windpark Sachsens mit zunächst zehn und letztlich immerhin 14 Anlagen. Hachmann war mit dabei, als der Park, an dem die Stadt selbst von Beginn an 51 Prozent der Anteile hielt, 1994 ans Netz ging. Eine Anlage mit 500 Megawatt Leistung ging auf die Kappe der eigens gegründeten „Erzwind GmbH“ von Hachmann und Partnern aus dem Sauerland.
Selbstverständlich war das nicht, dass „Wessis“ damals zum Zuge kamen. „Wir wurden erst einmal begutachtet“, erinnert sich der Sauerländer zurück, der über den Skiclub Olsberg Kontakte in die Partnerstadt im Erzgebirge geknüpft hatte. Die Bürger in den neuen Bundesländern hatten in den Anfangsjahren reichlich schlechte Erfahrungen mit den ach so pfiffigen Kapitalisten aus dem Westen gemacht, die beispielsweise ihre Schrottautos für viel „Begrüßungsgeld“ an die neuen Bundesbürger verklappt hatten.
Die Begutachtung durch die einheimischen Jöhstädter fiel für den Maschinenbau-Ingenieur aus dem Sauerland gut aus. Die Erzwind GmbH betreibt seitdem ein kleines Büro im Städtchen und zahlt dort brav Steuern, die beim Windkraftbetrieb anfallen. Die exponierte Lage auf 800 Meter Höhe und nicht selten frostigen Temperaturen hat den Ingenieur dazu angetrieben, die Idee einer Flügelheizung zu entwickeln und mit Enercon umzusetzen, um den Betrieb auch bei Eis und Schnee sicher zu machen.
Sachsen gehörte vor 30 Jahren zu den Bundesländern, in denen der Windkraftausbau an Land schneller Fahrt aufnahm als anderswo in Deutschland. Inzwischen hat sich der Wind aber längst gedreht, gewissermaßen um 180 Grad.
2021 verzeichnete der Freistaat tatsächlich mehr Rück- als Zubau bei der Windkraft. Die einzige neu ans Netz gegangene Anlage ist die von Hachmann. Eine Repoweringmaßnahme. Bedeutet: Die alte 500 KW-Anlage wurde durch eine modernere und leistungsstärkere ersetzt. Heutzutage sind 4- bis 5-Megawatt-Anlagen keine Besonderheit mehr. Hachmanns neues Rad auf den Höhen des Erzgebirges bringt es aber gerade einmal auf 800 Kilowatt. Eine Enercon 53. „Die kleinste noch zu kaufende Anlage“, sagt der Windkraftexperte. Mehr als diese 0,8 MW an neuer Windkraft ließen die Behörden in Sachsen vergangenes Jahr nicht zu.
BWE spricht von Blockadehaltung
Insgesamt steht damit nach dem Rückbau einiger Anlagen sogar ein Minus von 6,8 Megawattstunden für 2021 zu Buche. Im bundesweiten Vergleich der Flächenländer ist das mit Abstand der letzte Platz.
„Sachsen ist ein klimapolitischer Schurkenstaat“, findet Professor Martin Maslaton. Der Jurist mit einer renommierten auf Energiewirtschaft spezialisierten Kanzlei im Rücken, ist Vorsitzender des Bundesverbands Windenergie (BWE) in Sachsen und davon überzeugt, dass der Niedergang des Windkraftausbaus politisch motiviert sei: „Die Landesregierung tut seit 20 Jahren alles, um Windkraft zu verhindern.“
Selbst seitdem im Jahr 2019 die Grünen mit am Kabinettstisch in Dresden sitzen, habe sich nichts geändert. Die CDU blockiere. Das Kabinett unter Ministerpräsident Michael Kretschmer hat es sich selbst und vor allem den an Windkraft interessierten Projektierern mit der Abstandsregel zu Besiedlungen jüngst noch schwerer gemacht. 1000 Meter zu Wohnbebauungen ab fünf Häusern – ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen. Allerdings hält Maslaton die Ausgangslage hier für deutlich besser: „NRW erteilt im Vergleich zu Sachsen mehr Ausnahmegenehmigungen.“ Tatsächlich steht NRW viel besser da als Sachsen (siehe Infobox).
Aber auch vor der Haustür von Hachmann bleibt es schwierig. Es gebe nach wie vor viele Vorbehalte, sagt der Windkraftpionier: „Wichtig ist, Planungen früh offen zu legen, Transparenz herzustellen und Vertrauen zu schaffen. Das ist auch beim Repowering der wesentliche Punkt“, sagt Hachmann nach 30 Jahren Erfahrungen im Metier. Immerhin hat er es mit dieser Strategie im vergangenen Jahr als Einziger geschafft, ein neues Windrad in Sachsen ans Netz zu bringen.
NRW baut 2021 331 Megawatt Leistung zu
2021 wurden bundesweit 484 Windenergieanlagen (WEA) an Land neu gebaut, 230 Anlagen abgebaut. Unter dem Strich wuchs die Erzeugungsleistung um 1692 Megawatt auf 56.130 MW. 6388 MW davon sind in NRW installiert. Zubau 2021: 331 MW. In Sachsen sind es 1263 MW. Zubau 2021: minus 6,8 MW.