Essen. Mitarbeiter und NGG kritisieren den Getränke-Lieferdienst scharf. Offener Brief an die Geschäftsführung, Flaschenpost weist die Vorwürfe zurück.
Der Getränke-Bringdienst Flaschenpost wächst seit Jahren rasant, die Corona-Krise gibt der Lieferung an die Haustür einen weiteren Schub. Das im Ruhrgebiet besonders stark vertretene Start-up aus Münster beschäftigt inzwischen rund 8000 Mitarbeiter an 23 Standorten, liefert täglich Zigtausende Kisten Wasser, Limonade und Bier aus. Ein harter Job für die Fahrer und Lagerarbeiter. Schlechte Arbeitsbedingungen und das Torpedieren von Mitbestimmung beklagen nun einmal mehr Beschäftigte, in einem Brief an die Geschäftsführung erheben sie schwere Vorwürfe. Die Gewerkschaft NGG bekräftigt diese, das Unternehmen weist sie zurück.
Vorwurf: Bei Kritik Kündigung
An den Vorstand um Flaschenpost-Chef Stephen Weich schreiben „Teamleiter, Lageristen und Fahrer“, die nach eigenen Angaben in verschiedenen Regionalgesellschaften angestellt sind. Sie wollen anonym bleiben, weil sie harte Konsequenzen befürchten. Dass Mitarbeiter, die Kritik äußern oder gar Betriebsräte gründen wollen, mit Abmahnungen, Kündigungen oder dem Auslaufen ihrer oft befristeten Verträge rechnen müssten, ist auch der Kern ihrer Kritik. Sie werfen Flaschenpost „rüdes Verhalten im Umgang mit uns Mitarbeitern“ vor.
Im Anschreiben an die Medien zu diesem offenen Brief erklären die Verfasser, „ein Austausch oder auch nur die Kontaktaufnahme mit der Gewerkschaft oder den Medien“ habe „bisher in nahezu uns allen bekannten zur Beendigung der Arbeitsverträge“ geführt, wenn die Geschäftsführung auf die entsprechenden Kollegen hätten rückschließen können. Im Brief an die Geschäftsführung beklagen sie, deren „autoritärer Führungsstil“ habe „eine neue Qualität“ erreicht. Von den versprochenen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen sei bis auf die höhere Sauberkeit der Lager-Toiletten nichts umgesetzt worden.
Streit in Düsseldorf dauert an
In der Firmenzentrale in Münster, wo der Online-Unternehmer Dieter Büchl Flaschenpost 2016 gründete, ist derlei Kritik nichts Neues. „Wir möchten den Vorwürfen klar widersprechen, da es uns widerstrebt, Mitbestimmung oder die Artikulation von Mitarbeiterbedürfnissen zu beschränken oder gar zu verhindern“, erklärte ein Unternehmenssprecher auf Anfrage unserer Redaktion.
Im Frühjahr war der Streit um die Gründung des ersten Standort-Betriebsrats in Düsseldorf eskaliert, Flaschenpost ging dagegen vor Gericht. Begründung war die schwache Beteiligung wegen der kurzen Vorlaufzeit zur Betriebsratswahl von neun Tagen, weshalb zu wenige daran teilgenommen hätten. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat der Anfechtung der Wahl zugestimmt, die NGG dagegen Beschwerde eingereicht, die Entscheidung steht noch aus.
Die Gewerkschaft sieht ganz andere Motive: „Die Leute sind der Wahlversammlung aus Angst vor Repressalien ferngeblieben“, sagt Zayde Torun, NGG-Geschäftsführerin der Region Düsseldorf-Wuppertal. Das habe sich im Nachhinein als berechtigt erwiesen, viele, auch anwesende Team- und Schichtleiter, hätten wenig später das Unternehmen verlassen müssen. Landesarbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach seinerzeit von einer „Sauerei“.
Flaschenpost weist Kritik zurück
Dass Entlassungen am Düsseldorfer Standort mit der Wahl des Betriebsrates zusammenhingen, weist Flaschenpost ebenfalls „nachdrücklich zurück“. Die Personalentscheidungen hätten ausschließlich Führungskräfte des Standorts betroffen und seien „in der mangelhaften Führung des Standorts begründet“ gewesen, so ein Unternehmenssprecher.
Weil vom 22-köpfigen Betriebsrat laut NGG inzwischen nur noch ganze sechs im Unternehmen sind, wurde nun eine Neuwahl angemeldet. Aber: „Viele scheuen sich auch jetzt zu kandidieren, vor allem, wenn ihre Arbeitsverträge befristet sind“, berichtet Torun. Es gehöre ohnehin zum „Modell Flaschenpost“, dass befristete Mitarbeiter spätestens nach zwei Jahren gehen müssten, um Personalkosten zu sparen. Und Mitbestimmung sei wie bei anderen Start-ups in der Plattform-Ökonomie nicht gern gesehen, das passe offenbar nicht zur von den Gründern vorgelebten Hipster-Kultur.
Flaschenpost: Offen für Gründung von Betriebsräten
Man stehe der Gründung von Betriebsräten offen gegenüber, „sofern das Gründungsverfahren transparent, rechtskonform und fair abläuft“, widerspricht das Unternehmen. Tatsächlich gibt es bis heute aber nur den einen Betriebsrat in Düsseldorf. „Mich haben viele Kollegen aus anderen Regionen angesprochen, die ebenfalls Betriebsräte gründen wollten“, sagt NGG-Funktionärin Torun, „doch daraus ist bisher nirgends etwas geworden“. Offenbar habe Flaschenpost in Düsseldorf ein abschreckendes Exempel statuiert.
Der Getränke-Lieferdienst hat eine rasante Entwicklung hinter sich und investiert nach wie vor „viel, um weiter zu wachsen“. Bis zu 400 Mitarbeiter arbeiten an den jeweiligen Standorten mit Fuhrparks von bis zu 150 Fahrzeugen. Das Versprechen an die Kunden, nach Bestellung binnen zwei Stunden an die Wohnungstür zu bringen, auch unters Dach, ist für das Unternehmen eine logistische und für die Beschäftigten eine körperliche Herausforderung.
Keine Gewerkschafts-Mitglieder im Ruhrgebiet
Im Ruhrgebiet ist Flaschenpost in Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, Bottrop und Recklinghausen vertreten, also fast flächendeckend. So präsent ist der Bringdienst sonst nirgends in Deutschland. Die Gewerkschaft kriegt trotzdem im gesamten Revier keinen Fuß in die Tür des Unternehmens. „Wir haben leider keine Mitglieder bei Flaschenpost“, sagte eine Sprecherin des NGG-Bezirks Ruhrgebiet unserer Redaktion.
Das Unternehmen betont, den Dialog mit den Beschäftigten an den jeweiligen Standorten aktiv zu suchen – etwa mit Lagerrunden, wo drängende Themen mit der Standortthemen diskutiert würden. Das habe bereits konkrete Verbesserungen gebracht, „zur Arbeitserleichterung oder zuletzt eine flächendeckende Gehaltsanpassung in der Logistik“, so Flaschenpost.