Essen. Einige Stadtwerke haben für Neukunden gesonderte Tarife in der Grundversorgung eingeführt. Die Verbraucherzentrale NRW kritisiert das Vorgehen.
Das Vorgehen von Stadtwerken angesichts rasant steigender Energiepreise ruft die Verbraucherzentrale NRW auf den Plan. Einige kommunale Stromversorger haben einen zusätzlichen Grundversorgungstarif eingeführt, bei dem Neukunden deutlich draufzahlen müssen. „Wir sehen die Einführung dieser neuen Grundversorgungstarife kritisch“, sagt Udo Sieverding, Mitglied der Geschäftsleitung der Verbraucherzentrale NRW, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die neuen Grundversorgungstarife sind auch eine Reaktion der Stadtwerke auf die Lieferstopps von Energie-Discountern wie Stromio und Immergrün. Die Discounter mit mehreren Hunderttausend Kundinnen und Kunden hätten laufende Verträge gekündigt und ihre Kunden „rausgeworfen“, so die Verbraucherzentrale. Die Betroffenen würden automatisch vom örtlichen Grundversorger mit Strom beliefert. So haben allein die Stadtwerke Duisburg eigenen Angaben zufolge für rund 5100 Kundinnen und Kunden von Stromio die Versorgung mit Strom übernommen. In Bochum geht es nach Angaben der örtlichen Stadtwerke um rund 3000 Verträge.
Auch interessant
Die betroffenen Duisburgerinnen und Duisburger müssten sich keine Sorgen machen, dass sie um den Jahreswechsel herum ohne Strom auskommen müssen, betont Stadtwerke-Manager Christian Theves. „Selbstverständlich übernehmen wir als verlässlicher Partner für die Menschen in der Stadt die Versorgung.“ Die Betroffenen müssten dafür nichts tun, sie werden automatisch Vertragspartner bei den Stadtwerken im Grund- und Ersatzversorgungstarif.
Udo Sieverding blickt indes kritisch auf das Vorgehen der kommunalen Unternehmen. Denn bei den Preisen, die NRW-Versorger von ihren Neukunden verlangen, gebe es zum Teil erhebliche Unterschiede. Bei einigen Stadtwerken, in Münster etwa, zahlten die Betroffenen nach dem Stromio-Lieferstopp den gleichen Preis wie Bestandskunden in der Grundversorgung. Andere Stadtwerke – in Dortmund und Duisburg zum Beispiel – hätten einen neuen Grundversorgungstarif geschaffen, mit dem es gewissermaßen Kundinnen und Kunden „zweiter Klasse“ gebe, wie Sieverding kritisiert.
Erhebliche Preisunterschiede in Städten wie Dortmund, Duisburg, Essen und Münster
Die Preisunterschiede für Neukunden in der Grundversorgung seien groß. Während bei einem Verbrauch von 3000 Kilowattstunden (kWh) pro Jahr in Münster lediglich 932 Euro fällig würden, seien es bei Eon in Essen 1075 Euro und bei den Stadtwerken in Dortmund 1671 Euro. Bei den Stadtwerken Duisburg sind es sogar rund 1736 Euro. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich die Preise der Grundversorger in NRW so stark unterscheiden“, urteilt Sieverding.
Die Stadtwerke Duisburg zeigen sich irritiert über die Kritik der Verbraucherzentrale. Problematisch sei doch insbesondere das Verhalten der Discounter, die kurzfristig ihre Stromlieferung eingestellt hätten. Die Einführung eigener Tarife für Neukunden in der aktuellen Hochpreis-Phase diene auch dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die schon seit einiger Zeit die Dienste der Stadtwerke in Anspruch nehmen.
Im Sinne des Verbraucherschutzes sei es „nur fair, wenn Bestandskunden nicht für das Verhalten der Discount-Unternehmen aufkommen müssen“, argumentiert Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Da „unseriöse Billiganbieter“ ihre Kundinnen und Kunden nicht mehr belieferten, müssten die Grundversorger nun zu den „extrem hohen Preisen“ zusätzlich Energie zukaufen.
Verivox: Strompreise im Großhandel extrem gestiegen
Das Vergleichsportal Verivox berichtet, eine so starke Preisdynamik innerhalb eines Kalenderjahres wie derzeit sei beim Strom noch nie zuvor zu beobachten gewesen. An den Spotmärkten stehe der Preis für eine Megawattstunde für das kommende Jahr aktuell bei rund 325 Euro. Zum Vergleich: Im langjährigen Mittel bewegt sich der Preis im Strom-Großhandel je Megawattstunde zwischen 35 und 55 Euro.
Der Energiemarkt sei derzeit „in einem eklatanten Ungleichgewicht“, sagt Duisburgs Stadtwerke-Chef Marcus Wittig. Vielerorts seien die Tarife in der Grundversorgung zwischenzeitlich das günstigste Angebot gewesen. Diese Kalkulation gehe aber nicht auf, denn in einen Grundversorgungstarif berechneten die Stadtwerke auch „Risikovariablen wie zum Beispiel Zahlungsausfälle oder die extrem kurzen Kündigungsfristen“ mit ein. Auch der Branchenverband VKU, der 1500 Stadtwerke und kommunale Betriebe vertritt, verteidigt die gesonderten Tarife für Neukunden.
Verbraucherschützer Sieverding appelliert indes an die Stadtwerke, die Kundinnen und Kunden, die nun aufgefangen werden müssen, ordentlich zu behandeln. „Es darf nicht sein, dass Kunden, die von Energie-Discountern kommen, schikaniert werden“, sagt er. Schließlich hätten sie „nichts falsch gemacht“ bei der Wahl eines günstigen Stromanbieters.