Haltern am See. Hersteller stoppt nach Einsturz von 240-Meter-Windrad in Haltern Betrieb baugleicher Anlagen. Schon im August Schaden an baugleichem Rad bemerkt.

Nach dem plötzlichen Einsturz eines fast 240 Meter hohen Windrades in Haltern am See ist bekannt geworden, dass in einem Windpark in Jüchen am Turm eines baugleichen Windrads schon im August ein Schaden festgestellt worden war. Diese noch nicht in Betrieb genommene Anlage sei damals vorsorglich umgehend stillgelegt worden, teilte der Energiekonzern RWE als einer der Betreiber des Windparks Jüchen am Freitag mit. Der Schaden sei gemeinsam mit dem Hersteller begutachtet und eine Neuberechnung der Statik angefordert worden.

Nach der Halterner Havarie hat der Hersteller Nordex den Betrieb aller 22 baugleichen Anlagen in Deutschland vorerst gestoppt. Einige der Anlagen seien derzeit noch im Bau, sagte ein Sprecher. Weltweit seien 1222 dieser Anlagen mit baugleicher Turbine in Betrieb, jedoch in unterschiedlicher Größe und Ausrüstung. Sie seien weiterhin in Betrieb.

Derzeit gebe es noch keine Erkenntnisse zur Ursache, teilte Nordex-Sprecher Felix Losada mit. Mithilfe von Drohnen-Aufnahmen sei man dabei, die Unfallstelle zu sichern, damit Experten die Trümmer begutachten könnten. Zudem sei die „Bottom Box“ der Anlage lokalisiert. Ähnlich wie bei einer „Black Box“ in Flugzeugen, seien darin wichtige Anlagedaten gespeichert, erklärte der Sprecher.

Windrad-Havarien: Die meisten Schäden entstehen durch Brände

111 schwere Havarien bei Windrädern hat der Bundesverband Windenergie in einer seit 2005 geführten internen Liste bis dato erfasst. Der bisher jüngste Eintrag ist der Windrad-Einsturz in Haltern am See. Insgesamt wurden zum Ende Juni dieses Jahres bundesweit 29.715 Windkraftanlagen gezählt. Havarien werden nicht zentral gesammelt.

An diesem Windrad in Neuenkirchen im Kreis Steinfurt kam es am Freitagmorgen in der Gondel zum Brand. Die Feuerwehr konnte wegen der Höhe nicht löschen.
An diesem Windrad in Neuenkirchen im Kreis Steinfurt kam es am Freitagmorgen in der Gondel zum Brand. Die Feuerwehr konnte wegen der Höhe nicht löschen. © dpa | Stefan Klausing

Die meisten schweren Schäden hatten Brände als Ursache, heißt es in der Liste. Darunter überwiegend Fälle wie jüngst an einem Windrad im Kreis Steinfurt, den die dortige Feuerwehr am frühen Freitagmorgen meldete. Zweithäufigste Schadens-Meldungen sind „Rotorblattabbruch“. In sechs Fällen wurde bis dato ein „umgeknicktes Windrad“ aufgelistet. Weitere Schadensmeldungen reichen laut Verband von „Absturz Kleinflugzeug“, über „auslaufendes Öl“ bis zu „Gondel und Flügel stürzen ab“ oder „Montageunfall“.

Windkraftanlagen müssen alle zwei bis vier Jahre kontrolliert werden

„Windräder sind sehr sicher“, sagt ein Betreiber von zwei Windkraftanlagen im Kreis Recklinghausen, der seinen Namen aber nicht genannt wissen möchte. „Moderne Anlagen werden rund um die Uhr durch Sensoren überwacht“, erklärt der Windrad-Betreiber: „Bei Eis-Ansatz an den Flügeln etwa, wird unsere Anlage automatisch abgeschaltet, um Eisflug zu verhindern.“ Wie selten letztlich schwere Havarien bei Windkraftanlagen sind, ergebe sich auch aus der Höhe der Haftpflichtversicherung, meint er: „Unsere 200 Meter hohe Anlage kostet pro Jahr 110 Euro Versicherungsprämie“, sagt der Betreiber: „Das ist billiger als die Haftpflicht für ein Mofa.“

„Alle zwei bis vier Jahre sind bei Windkraftanlagen Prüfungen vorzunehmen“, teilt der Bundesverband Windenergie mit. Verantwortlich sind die Betreiber der Anlagen. „Alle standsicherheitsrelevanten Komponenten“ seien regelmäßig zu begutachten. Zudem machten auch die Versicherer Vorgaben zur Betriebssicherheit. Der Verband kommt zu dem Schluss: „Mit den bestehenden Regelungen, Richtlinien, Normen und Gesetzen besteht ein anerkanntes, gefestigtes und in der Praxis bewährtes System unterschiedlicher Überwachungen und Prüfungen von Windenergieanlagen.“

TÜV-Verband: Windräder sind „tickende Zeitbomben“

Das Unternehmen Nordex, Hersteller der eingestürzten Anlage in Haltern, spricht von 20 bis 25 Jahren Lebensdauer seiner Anlagen. Beim Verband Windenergie heißt es dazu: „Die Lebensdauer bzw. Gesamtnutzungsdauer (von Windenergie-Anlagen; Red.) wird in der Regel größer sein als die zeitlich angesetzte Entwurfslebensdauer von 20 Jahren.“ Während die Festpreisvergütung für den erzeugten Strom bei Windkraftanlagen nach 20 Jahren endet, rechne es sich nach Informationen aus der Branche inzwischen zudem vielfach, Anlagen länger zu betreiben, die Rede ist von 30 Jahren und mehr. Grund sind steigende Strompreise und damit bessere Vermarktungschancen für den ‘grünen’ Strom.

Vom Windrad in Haltern am See blieb nur ein etwa 40 Meter hoher Torse des Standturmes stehen.
Vom Windrad in Haltern am See blieb nur ein etwa 40 Meter hoher Torse des Standturmes stehen. © dpa | Guido Bludau

Der Verband der Technischen Überwachungsvereine (VdTÜV) sprach Anfang 2019, nach einem Rotorbruch an einem Windrad im Kreis Soest zu dem Urteil, angesichts des zunehmenden Alters seien solche Anlagen „tickende Zeitbomben“. Betreiber sehen das anders. Auf Kosten der Sicherheit gehe dies nur dann, „wenn Betreiber ihre Anlagen auf Verschleiß fahren“, sagt ein Branchenkenner. Doch dies sei wirtschaftlich angesichts von Millionen-Investitionen in solche Anlagen nicht sinnvoll. Betreiber von Windrädern hätten in der Regel einen Wartungsvertrag, der regelmäßige Kontrollen und schnellstmögliche Reparaturen umfasst, sagt ein Betreiber: „So eine Anlage soll schließlich Geld verdienen.“ Kommt es zu einem Zwischenfall, müssten die Betreiber zudem bei eigenem Verschulden haften.

Windrad-Hersteller Nordex: „Havarien liegen im Promille-Bereich“

Der Windkraftanlagen-Hersteller Nordex teilt auf Anfrage mit, der Standturm des Windrads in Haltern am See sei von einem Zulieferunternehmen bezogen worden. Es handle sich um eine Hybrid-Bauweise aus Betonfuß und Stahlturm. Zur Einsturzursache gebe es noch keine Einschätzungen. Nordex baue seit 35 Jahren Windkraftanlagen und habe inzwischen insgesamt 35 Gigawatt Leistung weltweit installiert, sagte Sprecher Felix Losada: „Havarien passieren, sie liegen aber im Promille-Bereich.“

Nicht immer können Kontrollen Unfälle vermeiden: Im April 2020 knickte bei einer Windkraftanlage in Haltern am See ein Rotorblatt ab. Die Blätter seien erst wenige Monate zuvor umfangreich begutachtet worden, teilte der Betreiber damals mit, so wie es alle zwei Jahre vorgeschrieben sei. Acht Monate stand die Anlage daraufhin still. Seit Dezember 2020 läuft sie wieder, mit drei neuen Rotorblättern. Als Ursache des Vorfalls stellte sich laut Betreiber ein Produktionsfehler heraus: Es gab Lufteinschlüsse innerhalb der übereinander verklebten GFK-Schichten bei der Herstellung des über 100 Meter langen Flügels, der plötzlich zerbrochen war. Er war erst fünfeinhalb Jahre alt.