Essen. Geschlossene Betriebe, Berufsschule im Distanzunterricht, die Lehrwerkstatt dicht. Azubis meistern die Krise – doch weniger Nachwuchs kommt nach.
„Wo ist denn die Bundespolizei?“, jemand tippt Tobias Wynands am Arm an, als er im Essener Hauptbahnhof den Aufzug zu Gleis 4/6 ansteuert. Der 26-Jährige ist Fragen nach dem richtigen Gleis oder der nächsten Zugverbindung gewöhnt: „Mit dem DB-Aufnäher am Pulli wird man häufig angesprochen.“
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Schon seit drei Jahren ist Wynands als Mechatroniker-Azubi bei DB Services im Einsatz. In den Ruhrgebiets-Bahnhöfen klettert er in die Steuerungskästen unter den Rolltreppen und oberhalb der Fahrkabine in die Aufzüge – repariert also als angehender Mechatroniker Anlagen, elektronisch gesteuert werden. Seinen Arbeitsalltag hat die Coronakrise – bis auf die Maske im Gesicht – nicht verändert. (-> Lesen Sie hier: Gute Chancen als Azubi bei der Deutschen Bahn)
Azubi: Berufsschulunterricht fiel zunächst ersatzlos aus
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Anders sieht es im theoretischen Teil seiner Ausbildung aus. „Als Corona los ging, war das erstmal eine Umstellung, weil auch der Ausbildungsbetrieb zuerst nicht so genau wusste, wie die Ausbildung nun vonstatten geht“, sagt Tobias Wynands. Zunächst fiel der Berufsschulunterricht ersatzlos aus, mittlerweile habe sich das Distanzlernen aber gut eingespielt.
Ausbildung bei der Deutschen Bahn
Die Deutsche Bahn stellt in 2021 so viele Nachwuchskräfte wie noch nie ein: Bundesweit starten 5000 Azubis und Dualstudierende, in NRW sind es rund 750.
Im Ruhrgebiet sucht die DB vor allem Auszubildende als FahrdienstleiterIn, MechatronikerIn, ElektronikerIn, GleisbauerIn sowie für die Logistik-Tochter DB Schenker als FachlageristIn oder Speditionskauffrau oder Kaufmann.
Mit etwa 50 Ausbildungsberufen und 11.000 Azubis über alle Ausbildungsjahre hinweg, gehört die DB bundesweit zu den größten Ausbildern.
Da die betriebseigene Lehrwerkstatt zwischenzeitlich geschlossen war, lernten Wynands und die anderen Azubis zunächst über eine Online-Plattform. „In der DB-Lernwelt konnten wir die Übungen zwar nicht selbst machen, aber uns die praktische Arbeit in Videos ansehen,“ sagt der 26-Jährige, „Mittlerweile dürfen wir wieder an die Anlagen ran und Steuerungen an Stempel- und Sortieranlagen programmieren.“ Praktische Übungen, die coronabedingt ausgefallen sind, würden nun stückweise nachgeholt. (-> Lesen Sie hier: Nach Corona droht Fachkräfte-Ebbe)
Berufsschullehrer-Verband: Manche Lehrkräfte sind überfordert
„Wie gut der Fernunterricht der Berufsschulen funktioniert, ist abhängig von der Branche, aber auch vom Schulträger – also mit welchem Engagement und mit welcher Schnelligkeit dieser reagiert hat“, sagt VLBS-Vorsitzender Michael Suermann, Vorsitzender des Verbands der Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs in NRW (VLBS). „Wir haben Lehrkräfte, die ganz innovativ sind, und solche, die überfordert sind.“ (-> Lesen Sie hier: Viele direkte und indirekte Wege führen zum Ausbildungsplatz)
Die Tatsache, dass Lernserver aktuell häufig zusammenbrechen, zeige, dass die Plattformen für den Distanzunterricht viel genutzt werden. In Ausbildungsberufen im IT-Bereich oder der Elektrotechnik kämen die Azubis gut mit dem Distanzlernen klar, sagt Suermann. „Im Bereich der Reinigungstechnik ist es schwieriger, weil da bei den Auszubildenden oft das Geld für mobile Endgeräte, aber teilweise auch die Technikaffinität fehlt.“ (-> Zahl der Jugendarbeitslosigkeit steigt alarmierend)
Zehn Prozent weniger Bewerbungen für Ausbildungen in NRW
Der VLBS-Vorsitzende sieht ein großes Problem im Einbruch der Bewerberzahlen für betriebliche Ausbildungen. „Meines Erachtens liegt das daran, dass die berufliche Orientierung nicht so wie üblich stattgefunden hat – das ist ein riesiger Verlust, eine Orientierungslosigkeit. Die Schüler sind im Grunde sitzengeblieben, obwohl sie versetzt wurden.“ (-> Lesen Sie hier: Firmen treffen künftige Azubis virtuell)
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NRW-weit ist die Zahl der Bewerbungen von Auszubildenden im Coronajahr um zehn Prozent gesunken. Auch acht Prozent weniger Ausbildungsstellen werden angeboten, gibt die Agentur von Arbeit an. „Für den IHK-Bereich in NRW haben wir 13 Prozent weniger Ausbildungsverträge“, bilanziert Robert Schweizog, Geschäftsführer für Bildung und Fachkräfte bei den IHK NRW.
Beruhigend sei, dass bei den durch die IHK durchgeführten Azubi-Prüfungen im vergangenen Jahr 90 Prozent der Prüflinge bestanden haben, im Vorjahr waren es 91 Prozent – und das, obwohl nicht pauschal die Prüfung vereinfacht wurde. „So konnten wir sicherstellen, dass der Berufsabschluss 2020 nicht weniger Wert ist als in anderen Jahren“, sagt Schweizog.
Schließungen wegen Corona – Ausbildungen könnten verlängert werden
Bei Azubis in der Veranstaltungsbranche oder im Hotel- und Gaststättenbereich sei die Situation allerdings schwieriger. „Je langfristiger eine Branche geschlossen ist, desto schwieriger ist es, die Ausbildung aufrecht zu erhalten – und desto mehr ist es nötig, dass beispielsweise überbetriebliche Bildungsstätten Teile der Ausbildung übernehmen“, so Schweizog. In diesen Bereichen könnten die Ausbildungsverträge coronabedingt um ein halbes oder ganzes Jahr verlängert werden. (-> Lesen Sie hier: Corona bremst den Ausbildungsmarkt in Gelsenkirchen)
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DB-Mechatroniker-Azubi Tobias Wynands glaubt nicht, dass er aufgrund der Corona-Pandemie in seiner Ausbildung einen Nachteil hat. „Wegen meiner Leistungen darf ich die Ausbildung um ein halbes Jahr verkürzen. Im Sommer bin ich fertig, danach folgt die Übernahme.“ (-> Lesen Sie hier: Schüler-Praktika in der Pandemie)