Essen. NRW bleibt Stauland Nummer 1, die A 40 ist besonders vom Verkehrschaos betroffen, so die ADAC-Staubilanz. Die Experten warnen vor einem Kollaps.
Kurz Gas geben, leicht anrollen, nur um dann wieder zu stoppen – und darauf zu warten, dass es endlich weitergeht. Anstatt den verdienten Feierabend Zuhause bei der Familie zu verbringen, werden viele Pendler und Pendlerinnen im Ruhrgebiet dazu gezwungen, ihre freie Zeit im Auto zu verschwenden. Im Mittelpunkt des alltäglichen Verkehrsdramas in NRW: die A 40.
2021 wurden laut ADAC knapp 11.497 Stauereignisse allein auf der A 40 zwischen Duisburg und Essen gemeldet – auf dem 24 km langen Abschnitt kamen so übers Jahr 9991 Staukilometer zusammen, das sind 416 km Stau je Autobahnkilometer – mehr als auf jedem anderen Stück Autobahn in NRW. Auch bundesweit landet die zentrale Ost-West-Strecke durchs Ruhrgebiet unter den Top 15.
ADAC-Staubilanz: Autobahnen in NRW überlastet
Dabei ist die Konkurrenz vor allem in Nordrhein-Westfalen groß: Fast ein Drittel aller Stauereignisse in Deutschland entfiel 2021 auf das ohnehin verkehrsreiche Bundesland, das damit erneut den Spitzenplatz in der ADAC-Staubilanz belegt. So wurden laut ADAC rund 215.500 Staus auf den mehr als 2200 Autobahnkilometern in NRW gemeldet, ein Plus von 33 Prozent. Tendenz steigend.
Denn während die Corona-Pandemie den Auto- und Lkw-Fahrern 2020 so viel freie Fahrt wie lange nicht bescherte, nahm die Anzahl der Staus im vergangenen Jahr wieder um ein Drittel zu. „Wir befürchten, dass mit allmählicher Normalisierung der Corona-Situation der Pkw-Verkehr wieder rasant steigen wird. Vor allem im Ruhrgebiet käme das Autobahnsystem dann schnell wieder an seine Grenzen oder gar zum Erliegen“, warnt Thomas Müther vom ADAC Nordrhein. Nur mithilfe einer dauerhaften Homeoffice-Regelung und beschleunigten Bau- und Sanierungsprozessen ließe sich der drohende „Kollaps“ noch verhindern.
Autobahnen in NRW: Mehr Tempo bei der Modernisierung gefragt
Dass die Mobilität hierzulande zunehmen werde und daher mehr Tempo bei der Modernisierung der Straßen und Brücken gefragt sei, betont auch Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen.
„Auch deshalb und als zentrale europäische Verkehrsachse braucht Nordrhein-Westfalen zwingend eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur“, fordert Pöttering. Schließlich sei diese „Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Arbeitsplätzen“ in NRW, sagte er unserer Redaktion.
Das Problem: Wo saniert wird, sorgen Baustellen erst einmal für noch mehr Staus. „So kann das nicht weiter gehen“, zeigt sich Michael Bergmann alarmiert. „A 43, A 40, die Bochumer Cityradialen – alles marode und dringend sanierungsbedürftig. Da stellt sich mir die Frage, ob der Verkehr in den nächsten zwei Jahren überhaupt noch fließt?“, bangt der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet. Er warnt: „Unsere Unternehmen stehen schon wegen der immens steigenden Energiepreise unter Kostendruck, da würden lange Stehzeiten in der Logistik das Fass zum Überlaufen bringen.“
A 40 laut ADAC-Staubilanz besonders von Verkehrschaos betroffen
Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass durch Staus ein volkswirtschaftlicher Schaden im zweistelligen Milliardenbereich pro Jahr entsteht. Generell lag das Stauaufkommen 2021 allerdings noch deutlich unter dem Niveau vor dem Ausbruch der Pandemie. Die gemeldeten Staus waren etwa nur halb so lang (2019: 453.000 Kilometer/ 2021: 240.000) und auch die Dauer der Staus fast 38 Prozent kürzer. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr steckten Autofahrer 106.500 Stunden in Stau und stockendem Verkehr fest, 2019 waren es noch 171.000 Stunden.
Besonders belastet waren die Autobahnen A 3, A 40, A 1 und A 46. Der Abschnitt mit den meisten Stauereignissen war die A 46 zwischen Düsseldorf und Wuppertal. Am längsten im Stau steckten Autofahrerinnen und Autofahrer auf der A 3 zwischen Köln und Oberhausen, nämlich insgesamt 7412 Stunden.
Corona-Pandemie hat großen Einfluss auf Verkehr in NRW
Wie sehr die Corona-Pandemie das Verkehrsaufkommen in NRW beeinflusst, zeige ebenfalls die Verkehrsentwicklung innerhalb des vergangenen Jahres. „Zu Beginn war die Mobilität durch den Winter-Lockdown noch stark eingeschränkt. Mit zunehmendem Verkehrsaufkommen gab es ab Juni dann deutlich mehr und längere Staus. Berufspendler sind aus dem Homeoffice zwischenzeitlich wieder verstärkt ins Büro zurückgekehrt“, sagt ADAC-Verkehrsexperte Roman Suthold.
So gab es im Juli (plus 14 Prozent), August (plus 49 Prozent) und September (plus 14 Prozent) sogar mehr Staumeldungen als 2019. Dass die Pandemie langfristig zu einer neuen Mobilitätskultur führen könnte, sei daher insgesamt „mehr als fraglich“ – was laut ADAC fatale Folgen für den Straßenverkehr in NRW habe.
„Wenn der Pkw-Verkehr in kürzester Zeit wieder rasant ansteigt und noch mehr Menschen das Auto nutzen als vor der Pandemie, droht dem Autobahnsystem in Nordrhein-Westfalen ein Kollaps“, lautet die Befürchtung. Um vor allem den Berufsverkehr – die meisten Staus traten 2021 unter der Woche vor allem zwischen sechs und neun Uhr morgens sowie zwischen 14 und 18 Uhr nachmittags auf – zu entzerren, sollten Homeoffice und Mobiles Arbeiten langfristig etabliert werden, fordert der ADAC. Außerdem müsse der ÖPNV weiter ausgebaut werden, um eine dauerhafte Alternative zum Auto zu schaffen.
Flutkatastrophe und marode Brücken: Verkehrschaos in NRW
Zusätzlich zur Pandemie wurde das vergangene Verkehrsjahr in Teilen Nordrhein-Westfalens von der Flutkatastrophe geprägt. Insbesondere im Großraum Köln/Bonn sei das Autobahnsystem „am Limit“ gelaufen. Neben dem Rheinland sei auch das Ruhrgebiet insgesamt ein „stautechnisch sehr sensibles Gebiet“, warnt Thomas Müther: „Schon ein oder zwei Sperrungen können zu einem Verkehrschaos im gesamten Ruhrgebiet führen.“ Umso besorgter blicke er auf den „katastrophalen“ Zustand der Brücken im gesamten Land.
„Zentraler Engpassfaktor bleiben ungeachtet vieler Fortschritte die vielen maroden Brücken im Land“, bestätigt Pöttering vom Unternehmerverband NRW. Es brauche mehr Tempo beim Brückenersatzbau und bei der Erhebung von Brückenschäden, um „Totalausfälle“ wie die Sperrung der Talbrücke Rahmede in Zukunft zu verhindern.
ADAC-Staubilanz: In Zukunft mit noch mehr Staus in NRW zu rechnen
Welche Folgen Brücken-Sperrungen haben können, macht die Brücke auf der Sauerlandlinie A 45 mehr als deutlich, zeigt auch die Bilanz des ADAC: Zwischen den Anschlussstellen Hagen-Süd und Lüdenscheid-Nord (Fahrtrichtung Gießen) gab es im Oktober und November 2021 insgesamt 75 Staus. Einen Monat später waren es 505 Staus.
„Zu befürchten ist, dass sich Auto- und Lkw-Fahrer auf den ohnehin stark belasteten Autobahnen A 1, A 3, A 4 in den kommenden Jahren auf noch mehr Staus einstellen müssen“, alarmiert der ADAC. Um sicherzustellen, dass nicht „eine Brücke nach der anderen“ in NRW gesperrt wird und es zu einem „Domino-Effekt“ kommt, müsse massiv in ihren Erhalt und ihre Erneuerung investiert werden.